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Kirche in Simbabwe
Prophetin im eigenen Land

Hohe Arbeitslosigkeit, tiefe Wirtschaftskrise: Der frühere Staatschef Robert Mugabe hat dem Land viele Probleme hinterlassen. Die lutherische Kirche hat den Diktator lange gestützt, jetzt sucht sie nach einem neuen Selbstverständnis. Für Pfarrer Kenneth Mtata bedeutet das auch kritischer Einmischung.

Von Sebastian Engelbrecht | 23.10.2018
    Kenneth Mtata predigt in seiner Gemeinde
    In Simbabwe will die Kirche Teil der Lösung sein (Deutschlandradio / Sebastian Engelbrecht)
    Kenneth Mtata fährt nach Sonnenuntergang durch die dunklen Straßen von Harare. Er hört religiöse Musik. "Engel, komm herunter, rette mich", singt einer auf Schona, der wichtigsten Sprache im Land. Mtata, lutherischer Pfarrer und Generalsekretär des Simbabwischen Kirchenrates, erklärt den Song wie einen Bibeltext und bezieht ihn auf die Lage im Land: Es braucht dringend einen Neuanfang nach 37 Jahren Mugabe-Diktatur. 90 Prozent Arbeitslosigkeit, Landwirtschaft und Industrie funktionieren nicht mehr.
    Kirche als Werkzeug der Unterdrückung
    Kenneth Mtata, 47 Jahre alt, trägt eine eckige schwarze Brille, am Leib ein wild gemustertes buntes Gewand. Er glaubt, dass die Kirchen helfen können, das Land aus der Krise zu führen. 87 Prozent der 16 Millionen Simbabwer gingen jeden Sonntag in die Kirche, sagt er. Da sei der Einfluss der Kirche enorm.
    "Wir können eine Wählerschaft, eine riesige Wählerschaft der Nation entwickeln, die Religion als Mittel zur Befreiung nutzt, und nicht um Unterdrückung fortzusetzen. Denn das haben wir ja in den vergangenen 37 Jahren gesehen: Die Politiker haben begonnen zu erkennen, dass sehr viele Simbabwer religiös sind. Und sie haben diese Religion zur Unterdrückung genutzt und dazu, dass die Leute passiv bleiben."
    Nach 37 Jahren Mugabe-Herrschaft aber, meint Mtata, müsse die Kirche ihre Rolle in der Gesellschaft neu entdecken. Seit 1980 hätten die Kirchen sich dem Projekt eines unabhängigen Simbabwe verschrieben – ohne zu begreifen, dass sie mit der Zeit zu hörigen Anhängern eines Präsidenten wurden, eines Willkürherrschers. Der gesellschaftliche Druck war groß: Die Kirchen, deren Mitglieder mehrheitlich Schwarze waren, sollten ihren Beitrag zum Gelingen des neuen Staates leisten. Als Mugabe sich vom Revolutionsführer zum Diktator wandelte, wagten die Kirchen nicht, den Kurs zu wechseln.
    "Es gab Zeiten, da Kirche und Religion in Simbabwe und in Afrika insgesamt konservativer wurden und begannen, eine passive Haltung der Simbabwer zu fördern. Ich denke, die Kirche muss ihre kritische Stimme wiedergewinnen."
    "Gute Führer müssen ihre Herde kennen"
    Am Sonntag predigt Kenneth Mtata in einer lutherischen Gemeinde über das Thema Führung. Gute Führer müssten ihre Herde kennen. Sie dürften nicht manipulieren, sondern müssten sich selbst aufopfern, sagt er. Vielleicht ist die Stellungnahme des Simbabwischen Kirchenrates in diesem Sinne zu verstehen, die Generalsekretär Mtata im August zu den "harmonisierten Wahlen" im Lande veröffentlichte.
    Kenneth Mtata, lutherischer Pfarrer und Generalsekretär des Simbabwischen Kirchenrates
    Kenneth Mtata, lutherischer Pfarrer und Generalsekretär des Simbabwischen Kirchenrates (Deutschlandradio / Sebastian Engelbrecht)
    Darin bestreitet der Kirchenrat die Unabhängigkeit der staatlichen Wahlkommission. Es gebe Gründe, das Wahlergebnis anzuzweifeln. Die laute Kritik der Opposition erfordere eine "pastorale und eine prophetische Antwort" der Kirchen. Wenn die Opposition vor Gericht mit ihrer Anfechtung des Wahlergebnisses nicht durchdringe, würden die Kirchen andere Plattformen bereitstellen, heißt es in der Erklärung des Kirchenrates. Und auch auf anderen Feldern sieht Mtata eine neue Aufgabe der Kirchen: nämlich die, sich einzumischen.
    "Wir führen gerade eine Fürsprache-Kampagne zum Thema sauberes Wasser. Denn unser Wasser hier in Harare ist nachweislich nicht sauber, möglicherweise ist es verseucht. Wir haben in der Kampagne darauf aufmerksam gemacht, dass das Thema dringend behandelt werden muss. Die Kirche ist jetzt sehr präsent im öffentlichen Raum."
    "Wir müssen eine nationale Vision entwerfen"
    Seit November 2017, seit der Absetzung des Langzeit-Herrschers Mugabe, bemühen sich die Kirchen, in die Lücke vorzustoßen, die das offenere politische System geschaffen hat. Gemeinsam mit einer Reihe zivilgesellschaftlicher Organisationen bildeten sie die "National Envisioning Platform" – eine Art runden Tisch zur Zukunft Simbabwes.
    "Wir müssen sehen, wie wir die Nation einen, die verschiedenen Akteure der Nation: sei es die Zivilgesellschaft, die Regierung, Kirche, Gewerkschaften, Studentenvereinigungen, Frauenorganisationen und so weiter. Sie alle müssen zusammenkommen und sagen: Was ist unsere Vision von dieser Nation – im Blick auf Gesundheit, Erziehung, Dienstleistungen und so fort. Wir müssen eine gemeinsame nationale Vision entwerfen."
    Auch nach dem Wahlergebnis vom 30. Juli sieht Kenneth Mtata die gesellschaftliche Aufgabe der Kirchen in kritischer Einmischung, ja in der Kontrolle der Mächtigen im Lande. Die Kirche dürfe sich mit der Macht nicht identifizieren, sagt der Generalsekretär des Kirchenrates – sonst verliere sie ihre prophetische Funktion.