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Kirchen in Deutschland
"Wirtschaftsbetriebe mit religiösem Etikett"

Die christlichen Kirchen in Deutschland erzielen mehr Umsatz als die Automobilindustrie. Ihre Vertreter sitzen in Rundfunkräten und als Gottesfraktion im Bundestag. Und ihr Einfluss auf die öffentliche Meinung ist enorm. Diese Thesen vertritt der Politologe Carsten Frerk in seinem Buch "Kirchenrepublik Deutschland". Im DLF sagte er, Kirchen seien nichts anderes als Lobbyisten.

Carsten Frerk im Gespräch mit Benedikt Schulz | 14.12.2015
    Mitglieder der Deutschen Bischofskonferenz
    Mitglieder der Deutschen Bischofskonferenz (dpa / picture-alliance / Arne Dedert)
    Benedikt Schulz: Am Wochenende ist der Weltklimagipfel in Paris zu Ende gegangen. Auch die Kirchen haben ihren Senf wieder mal zur Klimadebatte abgegeben. Aber warum eigentlich? Was haben die Kirchen mit dem CO2-Ausstoß zu tun. Eine ganze Menge findet etwa der Theologe und Sozialethiker Gerhard Kruip vor kurzem in dieser Sendung:
    "Seit dem 19. Jahrhundert interessiert sich die Kirche und interessieren sich die Kirchen für soziale Fragen, die mit Gerechtigkeitsproblemen zu tun haben, und treten dafür ein, dass zum Beispiel im 19. Jahrhundert man den Rechten der Arbeiter und Arbeiterinnen gerecht wird. Und ein ähnliches Gerechtigkeitsproblem haben wir heute auch aufgrund des Klimawandels. Und wenn es um Gerechtigkeit geht, finde ich, da haben die Religionsgemeinschaften und die Kirchen etwas dazu zu sagen."
    Und dass die Kirchen Gelegenheit bekommen, etwas dazu zu sagen, das liegt auch daran, weil sie von den Medien in schöner Regelmäßigkeit dazu befragt werden. Wie oft, wenn es um soziale, menschliche oder im weitesten Sinne ethische Fragen geht, der erste Reflex lautet da oft: Was sagen denn die Kirchen dazu? Carsten Frerk ist Politologe und hat sich als Autor von kirchenkritischen Büchern einen Namen gemacht. Sein aktuelles Buch heißt: "Kirchenrepublik Deutschland – Christlicher Lobbyismus. Eine Annäherung." Mit ihm will ich über den Einfluss der Kirchen auf die öffentliche Meinung und auf die Gesetzgebung in Deutschland sprechen. Ich grüße Sie.
    Carsten Frerk: Guten Tag.
    Schulz: Dass die Kirchen sich als Interessenvertreter zu bestimmten Fragen äußern, die auch nur ansatzweise oder entfernt ethische Dimensionen haben, das gilt irgendwie in Deutschland als selbstverständlich. Aber – vielleicht mal die Gegenfrage: Wer, wenn denn nicht die Kirchen, sollten sich gerade in politischen Debatten um Gerechtigkeitsfragen kümmern?
    Frerk: Zum einem will ich mal historisch was sagen zum Eingangszitat: Was war in den Jahrhunderten seit Christi Geburt bis zum 19. Jahrhundert, als dann die Kirchen die Gerechtigkeitsfragen entdeckten? Das ist auch mal eine andere spannende Frage. Es gibt inzwischen so viele gesellschaftliche Organisationen, die sich mit Fragen von Gerechtigkeit, Verteilungsfragen und so etwas beschäftigen. Da ist die Kirche mittlerweile nur eine Stimme unter anderen – eigentlich.
    Schulz: Aber sollte nicht die Kirche in der Gesellschaft so eine Rolle einnehmen als ethische Instanz in Deutschland?
    Frerk: Wer die Kirche als ethische Instanz haben will und möchte und mag, für den gilt das sicherlich. Und für diejenigen, die das nicht so wollen, die sich eine eigene Meinung bilden, ich denke, die brauchen die Kirchen nicht.
    Schulz: Nehmen wir mal die aktuelle Flüchtlingslage: Da wird doch ein bisschen zu Recht erwartet, dass die Kirchen sich hinstellen und sagen: So, Leute! Und nicht so, Leute!
    Frerk: Gut, das passiert ja zum Teil. Aber wenn ich mir dann mal in der Konkretion anschaue, was die Kirchen machen, so verkleinert der Bischof von Hannover, Ralf Meister, sehr sympathisch seine sehr große Bischofswohnung um 40 Quadratmeter, um dort eine Wohnung für zwei Flüchtlinge einrichten zu lassen. Alles in Ordnung. Und dann wird diese Wohnung an die Stadt Hannover vermietet von der Kirche – zur ortsüblichen Miete. In Bayern wurden Caritas-Heime angeboten zu etwas überhöhten Preisen. Ob das dann so die gelebte Nächstenliebe ist, von außen betrachtet, das frage ich mich dann schon.
    "Wir alle haben eine Weltanschauung – eine religiöse oder nicht-religiöse"
    Schulz: Wie erklären Sie sich die – ich sag einfach mal – Phantasielosigkeit deutscher Medien, dass zu allen Dingen gefragt wird: Was halt wohl der Reinhard Marx zum Klimawandel zu sagen?
    Frerk: Ob die so einfallslos sind, das weiß ich gar nicht so sehr, sondern sie bedienen natürlich eine gewisse Erwartungsstruktur. Es gibt genügend Presseabteilungen, die das auch in die Medien hineinbringen von den Seiten der Kirchen aus. Das passiert ja nicht nur so, dass die Medien auf die Kirche zugehen, sondern die Kirche selber hat ja natürlich genug Fachleute, die die Kirche ins mediale Spiel hineintragen.
    Schulz: Zum Beispiel im Radio. Wir sind ja jetzt im Radio. Finden Sie das problematisch, wenn wir Kirchenvertreter in Hörfunkräten haben oder – wie bei der Deutschen Welle zum Beispiel – auch Vorsitzende der Hörfunkrates?
    Frerk: Wenn ich mir die Entwicklung in der Bevölkerung anschaue, dass wir mittlerweile ein Drittel Kirchenmitglieder haben, katholisch, und noch ein Drittel, etwas weniger, evangelisch, und eine etwas größere Gruppe, die nicht mehr Kirchenmitglieder sind, dann würde ich doch erwarten, dass sich diese Veränderungen auch in diesen Gremien öffentlich-rechtlicher Sender allmählich darstellt. Und auch gerade jetzt bei der Neubesetzung des ZDF-Fernsehrates ist das überhaupt nicht berücksichtigt worden. Da finden sogar die Muslime allmählich eher eine Stimme, weil sie organisiert sind, weil sie ein Potenzial darstellen, als die vielen Konfessionsfreien in Deutschland. Das finde ich, ist schon problematisch. Dass die Kirchen dabei sind als Akteure, das ist überhaupt nicht das Problem oder das Thema. Aber dass die anderen fehlen, das ist, finde ich, das Problem.
    Schulz: Viele Menschen, die in den Medien unterwegs sind, sind konfessionsgebunden – einfach als Privatpersonen. Ist das dann problematisch, wenn dann jemand, der in seinem Privatleben sehr kirchlich engagiert ist, wenn der dann in einem Hörfunksender vielleicht in einer Chefetage arbeitet?
    Frerk: Das finde ich vom Grundsatz her überhaupt nicht problematisch. Wir alle haben eine Weltanschauung – eine religiöse oder nicht-religiöse. Das ist ja auch irgendwie eine Frage von biografischem Zufall. Das haben wir ja gar nicht selber manchmal zu verantworten. Die Frage ist ja: Spielt das in diese Arbeit, in die fachliche Arbeit, in die journalistische Arbeit, spielt das da hinein? Wenn ich das mal politisch sehe: Einer der bekanntesten Bundespräsidenten, Gustav Heinemann, war ein sehr engagierter evangelischer Christ, Präsens der Synode der EKD und so weiter. Das hat man aber seiner Amtsführung, auch seiner Amtssprache nicht angemerkt.
    Schulz: Aber die Zugehörigkeit zu einer Religion ist ja – sag ich mal – etwas anderes als, ein Parteibuch von der SPD oder der CDU zu haben.
    Frerk: Wieso das denn? Ich frage es einfach nur mal so.
    Schulz: Na, weil die Zugehörigkeit zu einer Partei ist ja eine politische Entscheidung oder Ausdruck einer politischen Zugehörigkeit. Aber, die die sich selbst als Christen im Allgemeinen oder als Muslime sehen, für die ist es ja ein integraler Bestandteil der eigenen Persönlichkeit. Und da frage ich Sie halt: Lässt sich das dann immer trennen?
    Frerk: Das sehe ich bei einigen Parteileuten, denen ich begegne, genauso. Das sind schon Konservative oder Sozialdemokraten in der dritten Generation. Die sind das mit Eifer und Engagement - und das würde genau alles auf die zutreffen, was Sie für die Religiösen sagen. Dass es Bestandteil der Persönlichkeit ist - das ist bei jeder Weltanschauung so. Auch bei den Nicht-Religiösen ist es Bestandteil der Persönlichkeit, wie ich Welt organisiere und ordne. Nur wenn ich in einem Medium arbeite, das sich eben nicht nur an religiöse Hörer wendet - wenn es der Evangeliums-Rundfunk ist als Beispiel oder Bibel-TV, da sollen die ihre religiösen Bekenntnisse abgeben, wie sie wollen und möchten und rauf und runter - aber nicht in einem öffentlich-rechtlichen Sender! Das Verfassungsgericht hat mal gesagt, der Staat ist die Heimstatt aller Bürger. Und diesen Auftrag sehe ich auch für zumindest die öffentlich-rechtlichen Medien. Also ein Sender für alle Bürger. Und wenn es dann eine Spezialsendung gibt, wie eben Gottesdienst am Morgen oder Morgenandacht, da ist ja auch die religiöse Bekenntnisebene klar auch benannt, so angesprochen, da würde ich mich sehr wundern, wenn da etwas Atheistisches kommen würde.
    Schulz: Es gibt ja Journalisten-Ausbildungseinrichtungen, die auch konfessionell gebunden sind. Zum Beispiel das Institut zur Förderung des publizistischen Nachwuchses, das der katholischen Richtung entstammt, oder die Evangelische Journalistenschule. Beides Einrichtungen, die sich über Jahrzehnte auch um die journalistische Landschaft in Deutschland durchaus verdient gemacht haben. Ist das problematisch?
    Frerk: Na, wollen wir mal sagen, sie haben sich gekümmert. Also, ob sie sich verdient gemacht haben, das ist wieder eine Frage der Bewertung. Sollen sie, warum nicht? Alle Verbände – auch die Kirchen als Lobbyorganisation schauen, dass sie eben Einfluss auf die öffentliche Meinung bekommen. Und natürlich sind die Kirchen auch Lobbyisten. Es sind eigentlich die größten Lobbyisten. Der Leiter des Katholischen Büros hat mal in Berlin gesagt: Wir sind nicht wie die anderen Lobbyisten, die nur ein Thema haben, wir haben alles auf dem Schirm.
    "Es gibt im Bundestag eine so genannte Gottesfraktion"
    Schulz: Es ist ja die Argumentation der Kirchen, kurz gefasst, keine klassischen Interessenvertreter zu sein, wie zum Beispiel die Gewerkschaften, die sich um Arbeitsnehmerrechte kümmern. Es geht hier um übergeordnete Interessen, Menschenrechte, Ethik... Ist es nicht so?
    Frerk: Nein, nein. Das ist Lobbyismus. Kirche ist ein großer wirtschaftlicher Akteur in allen Dienstleistungsbranchen, die wir in Deutschland haben. Von der Wiege bis zur Bahre christliche Talare. Und das wird auch mit Unternehmen, Reisen, Fernsehsendern, Agenturen etc. abgedeckt. Und dieser ganze Bereich der Wirtschaft im Raum der Kirchen als Geldfluss sind 129 Milliarden Euro pro Jahr. Die deutsche Automobilindustrie hat ein Gesamtinlandsumsatz – eine vergleichbare Größe – von 127 Milliarden. Aber bei den Kirchen wird immer übersehen, wie stark sie wirtschaftliche Akteure sind.
    Schulz: Einer der Kernthesen in Ihrem Buch – so verstehe ich es – ist, dass Kirchenlobbyisten besondere Lobbyisten sind, die anders als Gewerkschaften oder Wirtschaftsverbände sozusagen den normalen geltenden Lobbyregeln nicht folgen müssen.
    Frerk: Und auch nicht tun. Es gibt zum Beispiel im Bundestag 40 Prozent Gewerkschaftsmitglieder. Aber es gibt keine Gewerkschaftsfraktion im Bundestag, weil da die Interessen der Gewerkschaften doch sehr, sehr unterschiedlich sind, gerade was politische Umsetzung anbelangt. Aber es gibt im Bundestag eine so genannte Gottesfraktion. Ich habe das gerade jetzt am 6. November erlebt, als die Strafbarkeit der Sterbehilfe abgestimmt wurde. Und das ist das Faszinierende, dass es eine übergreifende Fraktion gibt über die politischen Felder. Und da werden die Kirchen in der Form eines Nebenparlaments aktiv und beeinflussen das auch ganz konkret. Und das, ohne dass sie politisch dafür ein Mandat haben.
    Schulz: Sollte es denn eine Art gesetzliche Regelung für kirchliche Beteiligung am Gesetzgebungsprozess geben – wie es für andere Lobbygruppen genauso gilt?
    Frerk: Ja sicher. Für mich sind die Kirchen in Deutschland speziell Wirtschaftsunternehmen mit religiösem Etikett. Und sie sollen genauso wie alle anderen Wirtschaftsunternehmen auch behandelt werden. Aber sie haben – und das ist ja eben ein Teil dieser öffentlichen Wahrnehmung – erfolgreich bisher verhindert, dass sie im Lobby-Register sich eintragen müssen. Mir hat einmal der pensionierte leitende Jurist des Katholischen Büros gesagt: Natürlich gucken wir, was im Bauministerium passiert. Wir haben immerhin 87.000 Immobilien außerhalb der Kirchen. Natürlich gucken wir, was im Landwirtschaftsministerium passiert. Wir beiden Kirchen haben zusammen 830.00 Hektar in Deutschland, wir sind der größte Grundbesitzer. Und diese ganzen materiellen Interessen, die werden normalerweise überhaupt nicht wahrgenommen. Und das ist, finde ich, erstaunlich.