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Kirchenasyl
Die Freiheit endet am Gartenzaun

Für viele Flüchtlinge stellt das Kirchenasyl die letze Chance dar, der Abschiebung zu entgehen. Diese Form der Nothilfe bietet einen Schutzraum für Verfolgte, aber keinen rechtsfreien Raum. Denn Sonderrechte hat die Kirche nicht.

Von Anke Petermann | 23.07.2014
    Holzkreuz in einer Kirche
    Holzkreuz in einer Kirche (AFP/Olivier Morrin)
    Großes Hallo an der Haustür der städtischen Flüchtlingsunterkunft am Rande von Friedrichsdorf bei Bad Homburg. Nach monatelangem Kirchenasyl, verteilt auf zwei evangelische Gemeinden, kehrt der junge Somalier Abaas Ismail zu seinen vier Landsleuten zurück.
    Zwei Jahre Flucht durch Afrika
    Im Garten hinterm Haus entstauben die fünf ein paar Plastikstühle, um unter windzerzausten Bäumen gemeinsam mit ihren Unterstützern das neue Leben des 19-Jährigen zu feiern. Der Sohn einer somalischen Bauernfamilie floh vor der Zwangsrekrutierung durch die Shabaab-Miliz. Seinen Bruder hatten die Islamisten für dessen Verweigerung vor Abaas' Augen erschossen, da war er 16. Zwei Jahre lang floh der traumatisierte Junge quer durch Afrika, landete schließlich in Malta, im Gefängnis. Er wirkt still, schüchtern. Aber mit dem Bescheid des Bundesamtes in der Hand, dass er nicht nach Malta zurück muss, dass er seinen Asylantrag in Deutschland einreichen kann – da strahlt er.
    "Als wir hierher fuhren - ich habe ihn hierhergefahren - sagte er, juchhu, hurra, ich bin wieder in Freiheit."
    Regina Trenkle-Freund engagiert sich zusammen mit Gemeindemitgliedern im Arbeitskreis Asyl. Das Kirchenasyl ist zwar kein Gefängnis, aber Abaas' Bewegungsfreiheit endete tatsächlich am Gartenzaun. Nur auf Gemeinde-Terrain konnte er sicher sein, nicht abgeschoben zu werden.
    "Er musste einiges aushalten, aber wir haben ein Netzwerk geschaffen, das täglich eine Person ihn besucht hat. Und die Ressource andere Flüchtlinge darf man nicht vergessen. Seine Freunde hier, die sind gekommen, haben mit ihm gespielt, mit ihm Fußball geguckt, haben für ihn eingekauft. Dass heißt, das Ganze war getragen von einer großen Hilfsbereitschaft der anderen Personen. Und insofern war die Last für keine Kirchengemeinde zu groß. Auf verschiede Schultern verteilt, konnten wir das toll tragen.
    Geeignete Räume, ein Unterstützerkreis und Rechtsberatung im Vorfeld machen erfolgreiches Kirchenasyl aus.
    "Es gibt eine wunderbare Unterstützung von 'Asyl in der Kirche'. Da gibt es Checklisten, Hilfestellung. Der Hessische Flüchtlingsrat hat uns beraten. Wir haben eine Liste von Anwälten gemeinsam mit anderen zusammen erstellt und mussten uns natürlich noch mal kundig machen, wie sieht die aktuelle Situation für Somalia aus, wie sehen die Anerkennungsquoten beim Verwaltungsgericht in Frankfurt – klar haben wir uns da beraten, und man muss das Rad nicht neu erfinden, da gibt es ganz großartige Unterstützung."
    Kirchenasyl versus Dublin-Verordnungen
    Fördert die Evangelische Kirche in Deutschland zivilen Ungehorsam, gar Rechtsbruch, indem sie auf Arbeitshilfen fürs Kirchenasyl verweist? "Rechtsfrei ist dieser Schutzraum nicht", stellt die Frankfurter Dekanin Ursula Schoen klar. Ihn anzubieten, habe mit zivilem Ungehorsam nichts zu tun.
    "Zunächst mal ist es unumgänglich, dass die Flüchtlinge umgehend gemeldet werden, auf verschiedenen Ebenen, da kann man sich bei der Clearingstelle in Frankfurt beim Diakonischen Werk erkundigen. Das Ganze geht nur in enger Abstimmung mit den Behörden, weil man sonst den Vorwurf hat, und das ist ein juristischer Vorwurf, dass die Person untergetaucht ist, dass man die Klärung einer Rechtslage verschleiert , und dann heißt das für diesen Menschen, sind auch die Konsequenzen viel härter."
    Mit dem Asyl in Gemeinderäumen unterlaufen die evangelische und vereinzelt auch die katholische Kirche aber die EU-Dublin-Verordnungen, in Härtefällen torpedieren sie Abschiebungen in die als sicher geltenden, aber faktisch völlig überlasteten EU-Randstaaten. Die Dekanin betont:
    "Das Kirchenasyl ist keine strukturelle, flächendeckende Lösung für die wirklich traurige Situation von wirklich vielen Menschen, die in diesen Dublin-Verfahren stecke. Das Kirchenasyl hat einen hohen symbolischen Wert, aber genau um den zu erhalten, braucht es immer die politische Begleitung. Und das heißt, dass wir als Kirchen auch dafür eintreten zusagen: Durch Dublin II und III geschieht Menschen Unrecht, werden sie jahrelang in unklaren, unwürdigen Situationen gehalten, also wir müssen das immer aufeinander beziehen."
    Am Gartentisch der Friedrichsdorfer Flüchtlingsunterkunft schaut Regina Trenkle-Freund zufrieden in die Runde. Das erste erfolgreiche Kirchenasyl im Hochtaunuskreis.
    "Und wir sind überwältigt, dass das erste Kirchenasyl im Hochtaunuskreis jetzt so positiv beendet werden kann. Ich glaube und ich hoffe, dass das anderen Menschen Mut macht, sich in dieser Flüchtlingsfrage auch zu engagieren und den Menschen zu einem würdigen Leben in Europa zu verhelfen."
    Die Trauer über die Katastrophe von Lampedusa – regierungsamtlich nur mit Krokodilstränen beweint? "Der Toten zu gedenken, sollte bedeuten, die Überlebenden zu schützen", steht über einem offenen Brief, den Geflüchtete und ihre Unterstützer soeben veröffentlichten. Eigenartigerweise richtet er sich nur an die Kirchengemeinden, nicht an die Politik.