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Kirchenchöre
Probezeit!

Eine halbe Million Sängerinnen und Sänger sind mindestens einmal in der Woche dabei. In den Notenmappen liegen Messen, Kantaten, aber auch Popsongs. Und immer häufiger auch neue Kompositionen, die auf die Probleme der Chöre abgestimmt sind: Die Jungen fehlen - und die Disziplin oft auch.

Von Thomas Daun | 28.12.2016
    Das kirchliche Pop-Oratorium Luther feiert am Reformationstag, Samstag (31.10.2015), in Dortmund mit mehr als 3.000 Saengern Premiere. (Foto vom 30.10.2015 bei der Generalprobe) Auf der Buehne der Westfalenhalle stehen zudem Stars der Musical-Szene und ein grosses Symphonie-Orchester. Zu den beiden Auffuehrungen in der Westfalenhalle am Reformationstag erwarten die Veranstalter bis zu 15.000 Besucher. Das Stueck des Hamburger Musical-Autors Michael Kunze und des Duesseldorfer Komponisten Dieter Falk erzaehlt von Martin Luthers Ringen um die biblische Wahrheit und von seinem Kampf gegen Obrigkeit und Kirche. (Siehe epd-Bericht vom 31.10.2015) Generalprobe zum Luther-Oratorium in der Westfallenhalle in Dortmund Copyright: epd-bild/FriedrichxStark
    Luther holte den Gemeindegesang in die Kirche - und wird mit Pop-Oratorium Luther am Reformationstag 2015 in der Westphalenhalle in Dortmund von mehr als 3.000 SängerInnen besungen. (imago stock&people)
    "Eine Kantorei gehörte früher zu jeder Gemeinde dazu. Wir haben hier vor ein paar Jahren Jubiläum gehabt und dann haben die Alten geschwärmt: 70 Sänger, die ganze Empore war voller Chorsänger. Das ist natürlich heutzutage ein Traum. Wenn sie 15 sind, sind sie gut - und oft scheitert es auch daran, dass der Chor auftritt, wenn die Männerstimmen gerade wieder mal ausgefallen sind. Weil die Tenöre halt sehr schlecht besetzt sind. Das ist manchmal nur einer, mit Mühe und Not mal zwei."
    Nichts für junge Mädels?
    Beate Hadlich ist evangelische Pfarrerin in der sächsischen Kleinstadt Rodewisch im Vogtland. Schon 1892 wurde der dortige Kirchengesangverein gegründet. Man führte große Oratorien von Mendelssohn und Händel auf, sang Messen von Mozart und Bach. Heute ist so etwas kaum mehr zu schaffen: Es fehlt der Nachwuchs.
    "Das sind auch verschiedene Vorstellungen vom Singen. Wenn junge Mädels dann mal sagen - ooch neee, die Literatur, und mit den Alten zusammen, das mit den Stimmen, das klingt manchmal nicht mehr und ist auch nicht unser Geschmack! Wie das so ist – es ist eher schwierig", sagt sie.
    Dabei liegt das Singen eigentlich im Trend - das belegt die Statistik des Deutschen Musikinformationszentrums. Mehr als zwei Millionen Sängerinnen und Sänger sind in registrierten Chören organisiert. Außerdem gibt es unzählige lockere Formationen, die sich regelmäßig zum gemeinsamen Singen treffen. "Ich-kann-nicht-singen-Chöre" für Sänger ohne Erfahrung und Notenkenntnis genießen in vielen Großstädten fast Kultstatus. Mitsing-Konzerte und Offenes Singen sind beliebt wie nie zuvor. Warum können die Kirchenchöre von diesem Boom nicht profitieren?
    Den Generationenwechsel einleiten
    Noch zwölf Jahre früher als die Kantorei in Rodewisch wurde der Kirchenchor St. Cäcilia im rheinischen Leichlingen gegründet. Er probt jeden Mittwochabend im Pfarrheim der Gemeinde St. Johannes Baptist. Etwa 40 Sängerinnen und Sänger widmen sich aus vollem Herzen lateinischen Messgesängen und neuen geistlichen Liedern - inspiriert und angeleitet von Dirigentin Pia Gensler. Die blickt vorsichtig optimistisch in die Zukunft.
    Ein Kirchen-Chor singt am 29.11.2015 in der Domkirche St. Eberhard in Stuttgart (Baden-Württemberg) während des Gottesdienstes zur Eröffnung des Lateinamerika-Hilfswerks Adveniat. Die Weihnachtsaktion des Lateinamerika-Hilfswerks Adveniat findet Bundesweit statt. Foto: Christoph Schmidt/dpa | Verwendung weltweit
    Manche Kirchenchöre schaffen es jünge Sängerinnen und Sänger zu gewinnen. (dpa / Christoph Schmidt)
    "Also hier in Leichlingen, im katholischen Kirchenchor, können wir mit Stolz sagen, dass wir den Generationenwechsel eingeleitet haben. Er ist nicht vollzogen, aber es sind viele Ältere gegangen und wir haben das Glück, dass wir einen deutlichen Zuwachs an jüngeren interessierten Sängerinnen und Sängern haben", sagt Gensler.
    Die Kantorei Rodewisch und der Chor St. Cäcilia Leichlingen zählen zu den mehr als 25.000 Kirchenchören deutschlandweit; etwa eine halbe Million Sängerinnen und Sänger wirken darin regelmäßig mit. Doch ob in Sachsen oder im Rheinland, ob evangelisch oder katholisch - Kirchenchöre kriseln. Menschen treten aus der Kirche aus, Gemeinden altern, Singen ist nicht mehr im alltäglichen Leben verankert, reizvolle Freizeitangebote gibt’s in Hülle und Fülle.
    Kinder und Jugendliche sind sehr kritisch
    "Solange eine Kirche so aufgestellt war, dass sie vom Kindesalter bis zum Greisenalter Bestandteil eines jeden Lebens war, war das kein Problem. Heute ist das nicht mehr so. Diese Chöre als Gemeinschaft sind dann, man nennt das heute Milieu, das in sich ein Stück weit abgeschlossen ist und eben den mittleren und jüngeren Teil der Bevölkerung eigentlich überhaupt nicht mehr integrieren kann", sagt Chordirigent Matthias Balzer. Er leitet die Bischöfliche Kirchenmusikschule in Trier und ist Präsident von "Pueri Cantores", dem katholischen Jugendchorverband.
    "Vor 50 oder 100 Jahren, da ist man in den Chor gegangen - und wenn da ein Chorleiter war, der einem auch mal eine Watschen gegeben hat, hat man da nicht drüber nachgedacht, sondern das ist halt so. Und man hat auch das gemacht, was der gesagt hat. Das ist heute nicht mehr so. Heute muss ich die Menschen, mit denen ich zu tun habe, die muss ich überzeugen können. Gerade Kinder und Jugendliche sind da sehr kritisch."
    Mit Luther kommt der Gesang in den Gottesdienst
    Bis zur Reformation im 16. Jahrhundert ist die Musik im Gottesdienst eher schmückendes Beiwerk. In Kathedralen und Stiftskirchen präsentieren hochbezahlte Berufssänger und virtuose Instrumentalisten abendfüllende Werke, prunkvolle Motetten und lateinische Messen, die zur Erbauung des Adels und Selbstdarstellung der Kirchenfürsten dienen. Erst Martin Luther holt den Gemeindegesang in die Kirche und macht ihn zu einem wesentlichen Bestandteil des Gottesdienstes.
    "Die Reformation hat etwas Wunderbares geschaffen, das kann man auch mal sagen vielleicht gerade jetzt im Anlauf zum 500 Jahre Jubiläum der Reformation, dass wir den Reformatoren sehr viel verdanken", erklärt Stefan Klöckner, Theologe, Musikwissenschaftler und Dozent an der Folkwang Hochschule in Essen.
    "Sie haben die Bedeutung der Kirchenmusik in eine ganz andere Dignität gehoben. Das heißt, da ist durch eine Neubewertung und Umbewertung der Aufgabe der Musik und der Rolle der Gemeinde schon früh etwas geschehen, was in der katholischen Kirche erst sehr spät rezipiert worden ist."
    Kirchenchöre erst seit der Romantik
    Auch im evangelischen Bereich etablieren sich schon zur Lutherzeit professionelle Strukturen: Stellen für Kantoren und Organisten sowie Singschulen, die häufig von bezahlten Stadtpfeifern unterstützt werden. Die ersten Gemeindechöre entstehen erst nach der Aufklärung, als das Selbstbewusstsein des Bürgertums wächst.
    "Unser Kirchenchorwesen, das wir heute haben, flächendeckend Laien, die sich zu singfähigen Formationen zusammen finden, das ist eine relativ junge Entwicklung, das stammt aus der Romantik", sagt Klöckner. "Das hat mit bestimmten Musikalisierungsstrategien im 19. Jahrhundert zu tun, mit kultureller Identität der Religion im 19. Jahrhundert, als das wirklich Teil des Volksgutes wurde. Bürgerliche Kultur ist eben Laienmusizieren. Das ist das, wovon wir heute profitieren, was wir heute haben. Das ist aber relativ jung erst."
    Zwischen Kirchturmdenken und Sponti-Chor
    Ob Blaskapelle, Männergesangsverein oder Kirchenchor: die Mitgliedschaft in einem Ensemble, das sich regelmäßig zum Musizieren trifft und bei wichtigen örtlichen Festen auftritt, galt früher fast als selbstverständlich, war identitätsstiftend - kann aber im wahrsten Wortsinn auch zu "Kirchturmdenken" verleiten.
    Ein Posaunenchor posiert in dem Ortsteil Barkow.
    Posaunenchor - identitätsstiftend oder "Kirchturmdenken" fördernd? (dpa / picture alliance / Winfried Wagner)
    Als etwa Pfarrerin Beate Hadlich und ihr Kantor im vogtländischen Rodewisch die Zusammenlegung mehrerer Kirchenchöre anregten, stießen sie bei den Sängerinnen und Sängern auf Ablehnung.
    Sie erzählt: "Die von Rodewisch hätten sich das vorstellen können. Aber die auf den Dörfern - ja, das hat was mit Lokalpatriotismus zu tun und nicht zugeben mögen, dass man es nicht mehr alleine gut hinkriegt. Ist ja auch verständlich. Wenn man immer einen Chor hatte und miteinander gesungen hat in Gottesdiensten, und miteinander musiziert hat, dann plötzlich zu sagen: Wir schaffen das nicht mehr und müssen uns dann mit anderen zusammenzutun."
    Ausgeprägten Lokalpatriotismus gibt es vielleicht noch in abgelegenen ländlichen Gegenden. Ansonsten richten sich soziale Bindungen heute jedoch nur selten nach Wohnort oder Nachbarschaft. Der Trend geht in die Stadt, man ist mobil, der Freundeskreis lebt weit verstreut, man organisiert sich mit Gleichgesinnten auf virtuellem Wege, per What’s App oder Facebook. Wer Interessenten für den Kirchenchor werben will, braucht neue Ideen und Initiativen.
    "Dazu gehört der Sponti-Chor, wo wir uns vor der Liturgie eine Stunde treffen und ganz leichte Dinge einstudieren", sagt Pia Gensler. "Da kommen Fremde, die wir nicht kennen, da kommen aber auch die erfahrenen Sänger aus dem Kirchenchor, so lernt man sich kennen, ganz unverbindlich. Man lernt auch mal die Nase von der Chorleiterin kennen und dann ist auch direkt ein Einsatz in der Liturgie. Das wird immer wieder wahrgenommen, auch von Leuten die plötzlich auftauchen, auch wieder verschwinden; dann kommen sie irgendwann mal wieder und ich denke, über die Schiene werden wir über kurz oder lang den einen oder anderen hier noch einbinden."
    Singen mit Jüngeren nimmt wieder zu
    Pia Gensler setzt viele Hebel in Bewegung, um neue Mitglieder für ihren Kirchenchor St. Cäcilia zu rekrutieren. So spricht sie regelmäßig die Eltern von Kindern an, die im Jugendchor mitwirken.
    "Ich sag in jedem Elternabend: wenn ihr Kind singen kann, dann fällt der Apfel nicht weit vom Stamm, dann sind Sie auch musikalisch. Kommen Sie doch mal zum Kirchenchor, haben Sie sich das schon mal überlegt? Das ist jahrelang auf taube Ohren gestoßen und jetzt hat es aber doch plötzlich funktioniert und es ist eine ganze Reihe von Eltern, auch Männer, auch Elternpaare gekommen."
    In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts verlor das selbstverständliche Singen, das selbst Singen, rapide an Bedeutung. Radio und Fernsehen erlaubten es, singen zu lassen. Pädagogen verbannten das Lied aus der Schule. Ganze Generationen wuchsen ohne Gesang auf. In neuerer Zeit hat sich dieser Trend umgekehrt - vor allem bei den Jüngeren.
    Stefan Klöckner sagt: "In den letzten 20 Jahren hat durch die Neubewertung des Bereichs 'Singen mit Kindern und Jugendlichen' eine große Blüte eingesetzt, gerade im kirchlichen Bereich, was Kinder- und Jugendchor betrifft, was Singen mit Kindern und Jugendlichen betrifft. Das war vor 20 Jahren noch nicht so der Fall. Da ist etwas in Bewegung gekommen, was sehr mutmachend ist, was nicht unbedingt das Kirchenchorwesen rettet, aber was auf jeden Fall die singende Kirche rettet."
    Nachhaltig kann diese Entwicklung jedoch nur sein, wenn die Chorleiter ihr Augenmerk verstärkt auf die Bedürfnisse der jungen Sängerinnen und Sänger richten.
    Singende Kinder bei der Liederbörse SING!
    "In den letzten 20 Jahren hat durch die Neubewertung des Bereichs 'Singen mit Kindern und Jugendlichen' eine große Blüte eingesetzt" (Peter Adamik Rundfunkchor Berlin)
    "Das Wichtigste ist: das was man mit den Kindern macht, muss gut sein - und da ist es egal, ob das von Mozart ist oder von Prince ist - es muss einfach gut sein", hat Matthias Balzer erfahren. "Es muss die Kinder und Jugendlichen fordern und ernst nehmen. Das heißt, sie müssen das Gefühl haben, das ist was, was uns auch, ja wo wir Spaß haben, das zu machen. Und es muss auch eine Brücke herstellen, ich muss irgendwo ihnen sagen: was du da singst, das hat was mit dir zu tun."
    Neue Chorsätze - leicht singbar und musikalisch wertvoll
    Trotz mancher positiver Trends, trotz kreativer Ansätze und guter Ideen ist die Zukunft vieler Kirchenchöre ungewiss. Die Verantwortlichen stellen sich darauf ein - etwa beim Butz-Verlag in Bonn, der sich auf Notenmaterial für Chöre spezialisiert.
    Verlagschef Hans Peter Bähr fasst die Lage so zusammen: "Man singt häufig nicht mehr vierstimmig, Sopran, Alt, Tenor, Bass, sondern nur noch dreistimmig. Sopran, Alt, Bariton – also nur eine Männerstimme. Und es gibt auch schon Chöre, die müssen ganz auf Männer verzichten und singen nur im Oberstimmenbereich: zwei Soprane und ein Alt zum Beispiel. Und das Ende der Entwicklung könnte man fast schon prognostizieren. Wir haben eine Reihe, die heißt "Sologesang mit Instrumenten und Orgel": Da haben wir dieses Jahr auch die erste Messe herausgegeben, so dass man im Extremfall sogar mit einem Solosänger oder einem Duett einen ganzen Gottesdienst gestalten kann. Das wäre dann irgendwann eine Entwicklung, wenn es gar keine Chöre mehr gibt."
    Hans Peter Bähr und sein Mitarbeiter Meik Impekoven stehen in engem Kontakt mit ihren Kunden; Chorleiter aus ganz Deutschland melden sich beim Butz-Verlag mit konkreten Vorstellungen und Anregungen. So werden etwa für die alternden Stimmen Werke benötigt, die leichter singbar und trotzdem musikalisch wertvoll sind.
    "Wir bieten ganz bewusst auch für diese Chorgruppen oder dieses Stimmfach Literatur an, das den Schwierigkeitsgrad in einem bescheideneren Rahmen hält, auch den Stimmumfang nicht exaltiert in die Höhe treibt, so dass man sagen kann: Man kann mit gutem Gewissen gute Musik machen, bei der sich jeder wohlfühlt und auch die Sänger nicht das Gefühl einer permanenten Überforderung haben. Singen hat ja auch sehr viel mit dem körperlichen Wohlfühlen zu tun", sagt Meik Impekoven.
    Der kürzlich verstorbene Engländer Christopher Tambling gehörte zu den Komponisten, die regelmäßig im Auftrag des Verlags Chorwerke schreiben.
    "Eines seiner meistgesungenen Stücke ist ein Laudate Dominum, was es auch in einer vierstimmigen Version gibt und auch in einer dreistimmigen Version, Sopran, Alt, Bariton, die auch miteinander kompatibel sind, so dass, wenn Chöre sich treffen, dass drei- und vierstimmige Chöre zusammen dieses Stück singen können", sagt Hans Pater Bähr. "Das ist ein gutes Beispiel für zeitgenössische Chormusik, die aber in einer romantischen Klangtradition steht."
    Projektchöre - kein Wundermittel gegen Kirchenchorschwund
    Wer solche Stücke singen will, muss üben. Doch Woche für Woche zur Probe zu kommen, an Wochenenden und Feiertagen aufzutreten, noch dazu in der Kirche - sich derart dauerhaft zu verpflichten ist schwierig, gerade für die mittlere Altersgruppe.
    Pia Gensler: "Kirchenchor ist ja nun auch regelmäßig, das bedeutet viel Zeit zu opfern und sich einzusetzen und den Punkt zu finden: Jetzt mach ich das zu meinem wirklichen Hobby und geh da einmal die Woche hin. Diese Regelmäßigkeit, die Musik, ein Chortraining auch bedarf, wird dann auch mal ausgesetzt. Das ist dann auch ein Spannungsfeld, das muss ein Chor auch ertragen, also ein übriger Chor, die, die das ernst nehmen oder mehr Zeit haben oder mehr Interesse oder mehr Engagement oder wie auch immer. Dann hat man eben die ganz Engagierten und die Lauen und alles was dazwischen ist."
    Viele Chorleiter setzen seit einigen Jahren auf Projektchöre. Da ist der Zeitraum überschaubar, am Ende steht ein Konzert, danach trennt man sich wieder, einige wechseln vielleicht in einen Dauerchor. Doch auch da braucht es Probendisziplin. Gerade in ambitionierten Projektchören, die schwierige Literatur einstudieren, führen die Unterschiede zwischen Engagierten und Lauen schnell zu Spannungen unter den Mitgliedern. Ein Wundermittel gegen den Kirchenchorschwund sind sie nicht:
    "Wenn man ein Klangbild vor Augen hat und Ziele hat und die Proben abgezählt hat bis zum nächsten Einsatz und denkt: Das schaff ich in fünf Proben - und dann sind die Leute nur in zwei da - dann fällt die Hälfte des Repertoires halt hinten runter", so Pia Gensler.
    Mehr ehrenamtliche, weniger professionelle Kirchenmusizierende
    Im Zeitalter ständig schrumpfender Gemeinden und Zusammenlegung von Pfarrstellen werden vielerorts auch Stellen für Kirchenmusik eingespart. Für die Gestaltung des Gottesdienstes hat das Folgen. Wie soll ein Kantor sonntags in verschiedenen Kirchen gleichzeitig Orgel spielen und den Chor leiten?
    Beate Hadlich kennt die Situation: "Ich habe jetzt gerade noch mit dem Kantor telefoniert, der morgen im Gottesdienst spielen wird. Das ist jemand, der das ehrenamtlich macht. Dann muss der Kantor, der das berufsmäßig macht, der die Anstellung hat, das organisieren, wenn er plötzlich vier Kirchen oder sechs Kirchen zu bespielen hat, dann ist das so einfach natürlich nicht mehr möglich. Dann ist er dafür zuständig, Ehrenamtliche zu finden oder nebenberuflich Spielende oder selber auch weiterzubilden, junge Leute auszubilden auf der Orgel, dass die auch die Gottesdienste begleiten können."
    Klangkunst: Der Stadtkantor von Korbach spielt auf der neuen Orgel
    Wie soll ein Kantor sonntags in verschiedenen Kirchen gleichzeitig Orgel spielen und den Chor leiten? (Dirk Gebhardt)
    So löblich das Engagement von Ehrenamtlern sein mag: eine professionelle Kirchenmusik ist dadurch nicht zu ersetzen.
    Dazu Stefan Klöckner: "Sie brauchen eine bestimmte Struktur an hauptamtlich Verantwortlichen. Das weiß man in der Schule, das funktioniert nur, wenn Sie einen guten Schulmusiker oder Schulmusikerin vor Ort haben. Das ist in der Kirche genauso: Sie brauchen verantwortliche Kirchenmusikerinnen und Kirchenmusiker, die diese schwere Arbeit auch des Organisierens und Begleitens übernehmen können. Und da hakt es, bei vielen deutschen Diözesen und Landeskirchen hakt es da."
    Noch im Jahr 2002 betrug die Zahl der Kirchenmusiker-Stellen in beiden Konfessionen jeweils etwa 2000; während diese Zahl in der evangelischen Kirche bis 2009 fast konstant blieb, wurden im katholischen Bereich mehr als 600 Stellen gestrichen – eine Reduktion um ein Drittel.
    "Ich möchte jetzt nicht weiter ins Konkrete gehen und einzelne Bistümer an den Pranger stellen, aber mir fallen sofort einige ein, wo ich sage, das ist jämmerlich, was da getan wird für die Kirchenmusik angesichts der Möglichkeiten, die man mit ihr hätte", kritisiert Klöckner.
    Inzwischen hat der Spardruck auch die evangelische Kirche erreicht, in der die Musik traditionell tiefer verankert ist.
    Musik - was Worte nicht vermögen
    Ohne Musik fehlt etwas, künstlerisch wie geistlich. Das Erlebnis des gemeinsamen Singens bindet die Chormitglieder an die Gemeinde; ein musikalisch ansprechend gestalteter Gottesdienst wertet den sonntäglichen Kirchenbesuch auf; und der Gesang kann ausdrücken, was Worte nicht vermögen.
    "Es ist ja auch ein Wesen der Musik, dass die Musik eben nicht so ist, dass man alles erklären kann. Sondern es passiert auch einiges, wenn man singt, was über das Verständnis hinausgeht. Das ist gerade die Brücke zur Religion und zum Glauben, die eben dort viel leichter gebildet werden kann als eben mit der Sprache", sagt Matthias Balzer.
    "Suche nicht nach Worten, als könntest Du Gott erklären. Singe Gott!
    Was du mit dem Verstand nicht erfassen und mit Worten nicht erklären kannst, lässt sich mit dem Herzen singen. Das Herz freut sich ohne Worte."
    Die Worte des Kirchenvaters Augustinus gelten auch heute noch, davon ist Chorsängerin Ursula Walbaum aus Leichlingen überzeugt.
    "Ich glaube, solange es Gottesdienste gibt, wird es immer auch Gruppen geben, die den Gottesdienst singend gestalten. Ob das jetzt ein Konzertchor, ein Kammerchor, ein Kirchenchor, Kinder- oder ein Spontichor ist. Es wird immer gesungen werden und es wird immer auch eine Ansingegruppe, Schola geben."