Donnerstag, 28. März 2024

Archiv

Kirchenmusik
Abendstille von der Insel

Der Evensong hat in der Anglikanischen Kirche eine lange Tradition - und trifft die Gemütslage gestresster Sinnsucher von heute. Auch in Deutschland wird das gesungene Abendgebet allmählich Kult.

Von Thomas Daun | 15.02.2018
    Der Kinderchor der St. Paul's Cathedral in London
    In der St. Paul's Cathedral in London findet der Evensong täglich um 17 Uhr statt. (imago stock&people /i Images )
    "Te lucis ante terminum - Bevor des Tages Licht vergeht,
    bitten wir Dich, oh Schöpfer der Dinge, dass Du in Deiner Güte
    unser Beschützer und Wächter seist."
    Wenn die ersten drei Sterne am Himmel sichtbar werden, beginnt mit der Nacht eine neue Zeit; schon die Regel des Heiligen Benedikt verlangt, dass die Mönche unmittelbar vor der Nachtruhe ihre Komplet beten und sich Gott anvertrauen. Im Evensong der Anglikanischen Kirche knüpfte man an diese alte christliche Tradition an - und fasste Vesper und Komplet, also klösterliches Abend- und Nachtgebet, in einem Gottesdienst zusammen:
    "Die meisten englischen Kathedralen haben einen Chor, der die täglichen Stundengebete singt. Das geht auf die frühe Zeit der Klöster zurück. Als nach der Reformation die Klöster aufgehoben wurden, hielt die Anglikanische Kirche an diesen täglichen Gottesdiensten fest", sagt David Flood.
    Werktags um 17:30 Uhr, am Wochenende um 15 Uhr leitet Chordirigent David Flood den Evensong in der Kathedrale von Canterbury; 365 Tage im Jahr wird das Abendgebet gesungen - in allen 44 Kathedralen Englands. Jeden Mittwoch überträgt die BBC einen Gottesdienst "live" - und das seit 1926!
    Probe am frühen Morgen
    "Diese Tradition hat ein riesiges Repertoire geistlicher Musik hervorgebracht; sie war wie eine Art Mäzenatentum für Komponisten", sagt Flood. "Immer wieder wurden neue Werke geschrieben, denn die Tradition war äußerst stabil. Ebenso brachte sie viele großartige Sänger hervor; denn überall im ganzen Land gibt es dieses fantastische Training."
    Englische Chöre sind weltweit berühmt; Grundlage dieses guten Rufs ist vor allem die Jahrhunderte lange Pflege des Evensongs an Kathedralen und Universitäten. Begabte Sänger werden schon im Kindesalter eingeladen, im Chor mitzuwirken - eine harte Schule, wie Robin Tyson, ehemaliges Mitglied der weltberühmten King's Singers, erzählt, der sein Handwerk in Canterbury erlernte.
    "Natürlich hast du einen vollen Schultag, wie die anderen Kinder; aber dazu kommt dann die Probe frühmorgens in der Kathedrale. Da wird für den Evensong später am Tag geübt; der findet nach der Schule statt, in Canterbury war das um halb sechs abends. Also morgens wurden die Stücke für den Abend durchgesungen. Und das jeden Tag, auch an den Wochenenden. Also ein sehr anstrengender Stundenplan für einen kleinen Jungen. Und jeden Tag gab es neue Stücke."
    Ausklang der Woche
    In den letzten Jahren wurde der Evensong auch in vielen deutschen Gemeinden populär - wenn auch nicht in der strengen täglichen Praxis. Die Evangelische Johanneskirche in der Düsseldorfer Innenstadt etwa bietet einmal monatlich einen Evensong an. Anfangs war der Zuspruch gering.
    "Weil wir wollten, dass die Leute gut beieinander sitzen, mussten wir in der großen Kirche Reihen absperren, dass die Leute gezwungen waren, sich nicht zu vereinzeln. Das ist längst nicht mehr so, wir haben immer mindestens 300 Leute im Gottesdienst, bis 400 schon in den großen Gottesdiensten."
    Wolfgang Abendroth, Kantor und Organist der Johanneskirche, führt die wachsende Beliebtheit des Evensongs vor allem auf die zentrale Rolle der Musik zurück.
    "Weil die Leute gerne Musik hören, aber auch mit der Musik beten. Die Chöre singen viel Musik; es gibt eine kurze knappe Predigt. Es gibt ein freies Chorstück, andere Chorstücke, Gemeindegesänge und insgesamt eine schöne abendliche Stimmung. Wir machen's Freitagabends, das ist für viele Leute sehr schön, der Ausklang der Woche. Das wissen wir, dass viele Leute das so machen, so wie man auch in ein Konzert geht."