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Kirchliches Sonderarbeitsrecht in der Debatte

Ein Streik ist für kirchliche Mitarbeiter nur sehr eingeschränkt möglich, diese Sonderrolle bestätigte das Bundesarbeitsgericht in einem Grundsatzurteil. Nach der jetzt bekannt gewordenen schriftlichen Urteilsbegründung zieht die Gewerkschaft Verdi vor das Bundesverfassungsgericht.

Von Monika Konigorski | 10.05.2013
    Nach dem Urteilsspruch des Bundesarbeitsgerichts in Erfurt richtete sich die öffentliche Aufmerksamkeit zunächst darauf, dass einem kirchlichen Wohlfahrtsverband vom Gericht der Status als kirchliches Unternehmen aberkannt worden war. Im konkreten Fall handelte es sich um die Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe, einen Dachverband diakonischer Werke, der beispielsweise die Träger von Kindergärten, Behinderteneinrichtungen oder Krankenhäusern berät. Das Bundesarbeitsgericht erklärte:

    "Der Kläger Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe e. V. kann sich nicht auf das kirchliche Selbstbestimmungsrecht berufen. Der Satzung ist nicht zu entnehmen, dass er die Aufgabe hat, ein Stück des Auftrags der Kirche wahrzunehmen und zu erfüllen."

    Dem widerspricht der Sprecher des Vorstands der Diakonie Rheinland-Westfalen Lippe, Günter Barenhoff. Man berate die Mitglieder im Sinne des diakonischen Profils und vertrete deren Interessen nach außen.

    "Und dabei ist die Interessenvertretung im Sinne der anwaltschaftlichen Funktion immer eine doppelte: natürlich die Interessen der Träger, insbesondere auch darin, dass wir für eine ausreichende Refinanzierung der vielfältigen Aufgaben sorgen. Aber auch, dass wir immer wieder die Interessen der Klienten der von unseren Trägern betreuten Mitglieder im Blick haben. Und das ist – um jetzt theologisch zu werden – eine der Kernaufgaben von Kirche und Diakonie, wie es in Mt. 25 steht als Wort Jesu: Was ihr getan habt einem meiner geringsten Schwestern und Brüder, das habt ihr mir getan."

    Damit erfülle die Diakonie RWL in vollem Umfang den kirchlichen Auftrag. Einen Rechtsstreit gegen das Urteil des Bundesarbeitsgerichts strebt das Unternehmen allerdings nicht an. Stattdessen wolle man im Sommer die eigene Satzung anpassen, um darin zweifelsfrei als kirchliches Unternehmen erkennbar zu sein.

    Doch die Argumentation der Erfurter Richter enthält – unabhängig vom Einzelfall – durchaus Sprengstoff. Das Gericht stuft nur solche Betriebe als kirchlich im Sinne des Artikels 140 des Grundgesetzes ein, die kirchliche Kernaufgaben erfüllen. Setzt sich diese Auffassung durch, wären künftig weder kirchennahe Banken und Versicherungen, noch Beratungsfirmen oder Medienunternehmen dem kirchlichen Arbeitsrecht unterworfen. Eine Auffassung, die auch den Unmut der katholischen Deutschen Bischofskonferenz hervorgerufen haben soll. Sie will sich eine solche Unterscheidung kirchlicher Betriebe nicht von außen diktieren lassen.

    Das Recht der Kirchen, selbst zu bestimmen, welche Einrichtungen den Stempel "kirchlich" erhalten, sieht der Arbeitsrechtler Gregor Thüsing, Leiter des Instituts für Arbeitsrecht und Recht der sozialen Sicherheit der Universität Bonn, durch das Urteil des BAG und dessen Begründung nicht gefährdet. Aber dem Gericht falle die Aufgabe der so genannten "Willkürkontrolle" zu.

    "Wie soll ein weltliches Gericht das bestimmen, was aus dem Glauben heraus getan werden muss oder nicht? Um das zu bestimmen, bedarf es des Denkens mit der Kirche, sentire cum ecclesia. Und das kann von einem weltlichen Gericht, das zur strikten weltanschaulichen Neutralität verpflichtet ist, nicht verlangt werden. Deswegen ist es richtig, wenn man diese Entscheidung nun so interpretiert: Die Kirchen bestimmen, was erforderlich ist für die Erfüllung ihres Sendungsauftrags, aber sie müssen dies darlegen, nachvollziehbar darlegen. Und wo dies willkürlich erscheint, dort werden die Gerichte sagen können, dass sie diese willkürliche Unterscheidung nicht nachvollziehbar finden."

    Für die Gewerkschaft Verdi ist diese Definitionsfrage zweitrangig. Niko Stumpfögger, Bereichsleiter für Betriebs- und Branchenpolitik für den Fachbereich Gesundheit, Soziale Dienste, Wohlfahrt und Kirchen in der Verdi-Bundesverwaltung:

    "Das ist ein Thema, das soll mal die kirchliche Seite selber mit den Gerichten ausmachen. Wir lesen im Urteil, dass der Kirche auf der Grundlage ihres Selbstverwaltungs- und Selbstordnungsrecht aus dem Grundgesetz sehr, sehr weitgehende Möglichkeiten eingeräumt werden. Sie können selber bestimmen, wie sie ihren Auftrag wahrnehmen. Sie können auch selber bestimmen, wie sie ihre Unternehmensstrukturen stricken. Sie können es über Leiharbeit machen. Sie können es auch über ausgelagerte Firmen tun, die niedrigere Löhne zahlen. All das ist im Rahmen des kirchlichen Selbstordnungsrechts abgedeckt. Und das ist ja grad ein Grund, warum wir vor das Bundesverfassungsgericht gegangen sind."

    Im Zentrum der Klage steht die Frage, ob die Mitarbeiter kirchlicher Einrichtungen streiken dürfen. Das Bundesarbeitsgericht hatte im letzten Herbst entschieden, dass die Kirchen Gewerkschaften wie Verdi Streiks untersagen dürfen, solange sie die Arbeitnehmerorganisationen in die Verhandlungen um verbindliche Arbeitsbedingungen ausreichend einbinden. Damit hatten die Erfurter Richter den sogenannte "Dritten Weg" bestätigt. Dabei werden die Löhne und Arbeitsbedingungen in kirchlichen Einrichtungen mit den Mitarbeitern in paritätisch besetzten Kommissionen ausgehandelt.
    Arbeitsrechtler Gregor Thüsing begrüßt die Linie des Gerichts:

    "Der Ansatz des Bundesarbeitsgerichts, zu sagen, das kirchliche Selbstbestimmungsrecht erlaubt es, den Streik und die Aussperrung raus aus der Dienstgemeinschaft zu halten, gleichzeitig gebietet es aber die Verfassung, die Gewerkschaften mitspielen zu lassen, das ist ein ganz und gar kluger und richtiger Ansatz. Und der Interessenausgleich, der hier gefunden wurde, scheint mir ein kluges und zukunftsweisendes Modell zu sein."

    Derzeit laufen hinter den Kulissen heftige Diskussionen, wie innerhalb des Dritten Weges die Gremien obligatorisch eingebunden werden können. Zur Debatte stehen ein zwingendes Entsendungsrecht für die Gewerkschaften, aber auch andere mitarbeiterbezogene Lösungsmodelle wie beispielsweise Wahlvorschläge der Gewerkschaften wie beim Mitbestimmungsgesetz.

    Verdi hebt nun mit der Klage in Karlsruhe den Streit noch einmal auf die grundsätzliche Ebene. Denn im Urteil des Bundesarbeitsgerichts sieht die Gewerkschaft das Grundrecht auf Koalitionsfreiheit gegenüber dem Grundrecht auf kirchliche Selbstbestimmung nicht angemessen berücksichtigt. Verdi-Bereichsleiter Niko Stumpfögger:

    "Was wir in der Klage vom Grundsatz her sagen: Wenn wir bei der Kirche streiken, ist die Kirche nicht in ihrem Kern getroffen, das ist befristet, das ist kurzfristig. Wenn es umgekehrt so ist, dass wir nicht streiken können, dann ist unser wichtigstes und vornehmstes Mittel komplett beseitigt. Und das ist keine ausbalancierte Entscheidung. "

    Arbeitsrechtler Thüsing kann sich nur schwer vorstellen, dass Verdi in Karlsruhe erfolgreich ist. Formal hatte die Gewerkschaft den Rechtsstreit vor dem Bundesarbeitsgericht gewonnen. Damit, so der Jurist, sei eine Verfassungsbeschwerde nicht zulässig. Auch wurde von den Gerichten in der Vergangenheit der arbeitsrechtliche Sonderstatus der Kirchen immer wieder bestätigt. Erst Ende April hatte das Bundesarbeitsgericht in Erfurt die Klage eines Pädagogen abgewiesen. Der Caritasmitarbeiter hatte eine außerordentliche Kündigung erhalten, nachdem er aus der katholischen Kirche ausgetreten war. Zu Recht, wie die Richter entschieden. Verdi-Vertreter Niko Stumpfögger glaubt dennoch an einen Erfolg der Klage. Er meint festzustellen, dass sich die öffentliche Meinung wandelt:

    "Die Rolle der Kirchen im Sozialstaat wird geschätzt. Aber es wird nicht verstanden, warum die Kirchen auf der Schiene Arbeitsrecht ein komplettes Sonderarbeitsrecht haben sollen. Das wird in der Gesellschaft nicht mehr so verstanden. Und ich glaube, die Kirchen wären auch gut beraten, wenn sie an dieser Stelle nicht einen falschen Kampf kämpfen würden. Ich glaube, es wäre sinnvoll, wenn die Kirchen auf der Schiene Arbeitsrecht sagen: Jawohl, wir akzeptieren es, wir haben neue Bedingungen, der Sozialstaat steht unter Wettbewerbsdruck. Und wir anerkennen das. Und solange wir als Arbeitgeber agieren, unterwerfen wir uns einfach den normalen Regeln des Arbeitsrechts."