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Kirgistan
Angespannte Normalität zwischen Kirgisen und Usbeken

Die zentralasiatische Republik Kirgistan gilt als eine inzwischen halbwegs demokratisch verfasste Ex-Sowjetrepublik. Aber vor fünf Jahren kam es zu blutigen Unruhen, bei denen es viele Tote gab. Inzwischen hat sich die Lage anscheinend wieder normalisiert. Aber so recht scheinen die Menschen dem Frieden nicht zu trauen.

Von Bernd Großheim | 10.10.2015
    Stadtansicht von Osch in Kirgistan, im Hintergrund sind Berge zu sehen
    Osch ist die zweitgrößte Stadt Kirgistans und hat einen großen usbekischen Bevölkerungsanteil. (Dradio/ Gesine Dornblüth)
    Was die schweren Unruhen im Süden Kirgistans im Juni vor fünf Jahren auslöste? Im Nachhinein kann man es nicht mehr genau sagen, warum Kirgisen und Usbeken aufeinander losgingen, warum möglicherweise tausende Menschen getötet wurden, die meisten von ihnen Usbeken, warum in Osch und Dschalalabad die Häuser brannten. Klar war, dass es viele Gerüchte gab wie diese: Mehrere schwarze Geländewagen seien in ein kirgisisches Dorf gekommen, bewaffnete Männer hätten alle Kirgisen getötet. Das andere Gerücht: Mehrere schwarze Geländewagen seien in ein usbekisches Dorf gekommen, bewaffnete Männer hätten alle Usbeken getötet.
    Eine riesige Spannung entlud sich in den Tagen nach dem 11. Juni 2010. Die Bilanz der Unruhen: viele Tote und Verletzte, viele zerstörte Häuser, viele usbekische Flüchtlinge und zwei Volksgruppen, die sich mit noch mehr Misstrauen begegneten als schon vorher. Heute, fünf Jahre danach, scheint sich die Lage beruhigt zu haben. Der Usbeke Otabek verkauft Schuhe auf dem großen Basar von Osch. "Im Moment ist die Situation ruhig. Es ist gut. Wir haben Frieden."
    Ein paar Meter weiter arbeiten die Schmiede, fertigen Haken, Werkzeuge, Abzugshauben. In Deutschland würde man in einen Baumarkt gehen. Hier geht man direkt zu den Produzenten. Auch Bakhram ist Usbeke, er stellt Messer her. Wie viele seiner Landsleute sagt er, dass es eigentlich keine Probleme gibt. "Ich habe viele kirgisische Freunde, die auch bei den Unruhen hier waren. Wir haben damals zusammen gesessen und miteinander geredet. Miteinander gekämpft haben wir nicht. Wer dafür verantwortlich war, das weiß ich auch nicht. Nach den Unruhen habe ich einige Tage nicht hier auf dem Markt gearbeitet. Aber dann hatten wir schnell wieder Alltag."
    Und doch müsse man wachsam sein, sagt der Botschafter der Europäischen Union in Kirgistan, Cesare de Montis. Die Ruhe sei trügerisch. "Fährt man raus aufs Land und spricht mit den Leuten, sieht man, dass es immer noch viele Probleme gibt, die nicht gelöst sind oder überhaupt nicht angesprochen werden. Die Strategie war bisher die, einen Deckel drauf zu legen, das Problem zu verschweigen, eher als es denn anzugehen."
    Ähnlich äußert sich der deutsche Wissenschaftler Alexander Wolters. Er lebt seit mehreren Jahren in Kirgistan und meint, es gebe praktisch keine Aufarbeitung der Ereignisse. "Es ist auch die Frage, ob man das überhaupt sofort nach einem Konflikt verlangen kann. In der Regel weiß man es: es wird erst mal alles unterdrückt. Erst mal wieder einen anderen Status quo des normalen Miteinanders finden, dass wir unsere Alltagsgeschäfte regeln können, bevor wir jetzt anfangen, heftig zu reflektieren, über das, was passiert ist."
    Es gab Versuche, die Unruhen von Seiten der internationalen Gemeinschaft aufzuarbeiten. Diese endeten damit, dass die Kommission wegen angeblich antikirgisischer Haltung aus dem Land geschickt wurde. - EU-Botschafter de Montis hat inzwischen noch eine andere Theorie dazu, was hinter den Unruhen zwischen Kirgisen und Usbeken steckte und wie man neue Probleme vermeiden könnte. "Es gibt einige Gründe für den Konflikt, die zum Beispiel mit dem Zugang zum Wasser zusammenhängen. Oder mit dem Zugang zu Weideland oder mit der Straße zum Dorf. Wir unterstützen heute einige Initiativen, bei denen die beiden Gruppen nicht nur reden sollen, sondern gemeinsam an einer Lösung arbeiten sollen. Zum Beispiel haben wir ein paar hundert Meter Straße gebaut und damit eine extrem angespannte Situation zwischen den Gruppen entschärft. Oder indem wir eine Wasserleitung von einem Ort zum nächsten gebaut haben. Das sind sehr kleine Dinge, die aber zeigen, dass es möglich ist."
    Und trotzdem: Usbeken im Süden Kirgistans zeigen sich weniger selbstbewusst als noch vor fünf Jahren. Man sieht weniger Menschen in traditioneller usbekischer Kleidung als früher. Und es gibt Kirgisen, die ihre usbekischen Nachbarn in Osch als Rivalen empfinden, wie dieser Taxifahrer. "Die Usbeken wohnen in den Dörfern und die Kirgisen im Stadtzentrum. Osch ist praktisch von usbekischen Dörfern umzingelt. Bei mir fahren keine Usbeken mit, sie fahren nur mit usbekischen Taxifahrern, weil sie denken, dass das Geld bei den Usbeken bleiben muss." Und bei ausgeschaltetem Aufnahmegerät sagt er, wenn die Usbeken es noch einmal wagten, den Kopf zu hoch tragen, dann würden sie schon sehen, was sie davon hätten.