Dienstag, 19. März 2024

Archiv


Kirste: Aufgabe der Transplantationsbeauftragten unklar

Der medizinische Vorstand der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO), Günter Kirste, wünscht sich, dass jeder Bürger eine Entscheidung pro oder kontra Organspende fällt. Das neue Gesetz hält er an einigen Stellen für lückenhaft.

Günter Kirste im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 02.03.2012
    Dirk-Oliver Heckmann: Seit Jahren bereits wird beklagt, immer mehr todkranke Menschen warteten verzweifelt auf ein Spenderorgan – oftmals vergeblich. Die Zahl jener, die einen Spenderorgan annehmen würden, ist hoch, doch die Zahl der tatsächlich gespendeten Organe, die sinkt. Nach Angaben der Deutschen Stiftung Organtransplantation spendeten im Jahr 2011 1.200 Menschen nach ihrem Tod ein Organ, das waren 7,4 Prozent weniger als im Vorjahr. Nun haben sich die Vertreter aller im Bundestag vertretenen Parteien geeinigt.
    Am Telefon begrüße ich jetzt Günter Kirste, er ist der Medizinische Vorstand der Deutschen Stiftung Organtransplantation. Guten Morgen, Herr Kirste.

    Günter Kirste: Guten Morgen.

    Heckmann: Herr Kirste, wird der Kompromiss dazu führen, dass in Zukunft weniger Menschen auf ein Spenderorgan vergeblich warten müssen?

    Kirste: Das ist zu hoffen. Die Information der Bevölkerung und die Aufforderung, dass die Bevölkerung eine Entscheidung trifft, ist das eine, ein ganz wichtiger Schritt ohne Frage, aber die Entscheidung der Menschen wird nur dann getroffen werden, wenn die Menschen informiert sind über das Thema. Das heißt, eine breit angelegte Informationskampagne ist gemeinsam mit einer solchen Aktion notwendig.

    Heckmann: Es hieß ja immer – das hat auch der Gesundheitsminister gesagt -, es soll kein Zwang ausgeübt werden. Jetzt ist es so, dass alle zwei Jahre alle Deutschen befragt werden sollen, alle Erwachsenen zumindest. Kann man, muss man nicht davon sprechen, dass dann auf diese Art und Weise doch erheblicher Druck ausgeübt wird?

    Kirste: Nein, das glaube ich nun überhaupt nicht. Ich meine, dass die Menschen an eine Entscheidung herangeführt werden, das ist doch etwas völlig normales. Bedenken Sie bitte, dass in allen Ländern um uns herum gibt es ja sogar so etwas wie eine Widerspruchslösung, also eine eindeutige Erklärung der Menschen ist gar nicht nötig, und man entnimmt dennoch Organe. Auch das wäre vom Gesetz her zu machen, aber wird eben in Deutschland nicht gewollt.

    Heckmann: … und wäre Ihnen lieber gewesen?

    Kirste: Nein, die wäre mir nicht lieber gewesen, weil ich immer die Auffassung vertreten habe, wir müssen mit den Menschen in dieser Frage reden, und die Frage der Zustimmung, Widerspruch, Zustimmung, Entscheidungslösung, das ist im übrigen auch gar nicht das Entscheidende, sondern das Entscheidende – das wissen alle Experten in dieser Szene – ist, dass die möglichen Fälle zur Organspende in den Krankenhäusern erkannt werden. Das ist der entscheidende Punkt.

    Heckmann: Jetzt ist es ja so, dass schon einzelne Kritiker sagen, der jetzt gefundene Kompromiss ist nicht ausreichend. Was ist mit den vielen Menschen, die dann voraussichtlich nicht antworten werden? Dafür müsste es doch eine Lösung geben.

    Kirste: Wissen Sie, man kann diese Frage nicht daran orientieren, an der Frage, ob die dann zur Verfügung stehende Zahl ausreichend oder nicht ausreichend ist. Das kann nicht das einzige Kriterium sein, sondern wir müssen einen Weg finden, dass wir zumindest im Moment mal das umsetzen, was an Möglichkeiten da ist. 70, 75 Prozent der Bevölkerung sind pro Organspende eingestellt und wissen ganz genau, dass sie selber ein Organ annehmen würden, wenn sie betroffen sind, und die müssen wir an ihrer Position abholen. Und das heißt, dass die Krankenhäuser daran denken müssen. Längst nicht alle solche Fälle werden gemeldet.

    Heckmann: Und in die Richtung denkt ja auch der Gesundheitsminister Daniel Bahr von der FDP. Er möchte die Krankenhäuser unter einen gewissen Druck setzen. In jedem Krankenhaus soll ein Transplantationsbeauftragter installiert werden. Ein richtiger Schritt aus Ihrer Sicht?

    Kirste: Das ist ebenfalls ein richtiger Schritt in die richtige Richtung. Aber wie immer: der Teufel liegt im Detail. Wenn man diesen Doktor einfach so in einem Krankenhaus installiert, ohne ihm Kompetenzen zu geben, ohne festzulegen, wie er denn ausgebildet werden soll und muss, was er dann machen darf, und dass er eben dann auch verpflichtet ist, die DSO hinzuzurufen zu solchen Fällen, dann kann das ins Leere laufen. Das heißt, das Gesetz in der derzeitigen Form schweigt sich bisher darüber aus, was dieser Transplantationsbeauftragte denn darf und machen muss.

    Heckmann: Ihre Organisation, Herr Kirste, die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) – Sie haben die Abkürzung gerade genannt -, steht zurzeit in der Kritik. Die "Süddeutsche Zeitung", auch die Tageszeitung "taz", die behaupten, Sie setzten die Angehörigen von Hirntoten unter Druck, einer Organentnahme zuzustimmen. Ist an diesem Vorwurf etwas dran?

    Kirste: Da ist überhaupt nichts dran, das Gegenteil ist der Fall. Weder die "taz" noch die "Süddeutsche Zeitung" haben es für nötig befunden, sich da mal über die Details der Abläufe bei uns zu informieren. Wir hätten denen das gerne mal gesagt, wie diese Abläufe sind. Fakt ist derzeitig, dass in Deutschland in vielen Krankenhäusern häufig die allerjüngsten Ärzte mit den Menschen über diese Frage reden und dass das von den Angehörigen gar nicht verstanden wird, was die von denen wollen. In anderen Ländern ist es üblich, dass diese schwierige Gesprächsführung nur dann von Ärzten gemacht werden darf, wenn die in diesen Fragen ausgebildet sind.

    Heckmann: Aber ehemalige Mitarbeiter von Ihnen berichten, sie seien gedrängt worden dazu, eine Entscheidung pro Spende herbeizuführen.

    Kirste: Das ist vollkommen falsch. Ich weiß nicht, wer das ist. Ich finde es immer schwierig, auf solche anonymen Vorwürfe zu antworten. Dann sollen die Leute sich auch melden. Wir haben seit über zehn Jahren Papiere, die eindeutig zeigen, dass wir alle unsere Mitarbeiter dahin ausbilden, ergebnisoffene Gespräche zu führen.

    Heckmann: Und das ist so?

    Kirste: Das ist so – logisch!

    Heckmann: Der Medizinische Vorstand der Deutschen Stiftung Organtransplantation, Günter Kirste, war das. Schönen Dank, Herr Kirste und schönen Tag.

    Kirste: Ja! Schönen Tag auch.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.