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Kistner: FIFA hat Strukturen wie ein Hasenzüchterverein

Wenn ein Verein ohne jegliche Kontrolle "werkeln" könne, dann wachsen Seilschaften, die nicht mehr zu trennen seien, sagt Thomas Kistner. Der Sportjournalist kann sich nicht vorstellen, dass Mitglieder in einer geplanten Ethikkommission bei Eintritt erklären würden, Vorwürfen gegen FIFA-Chef Blatter intensiv nachzugehen.

Martin Zagatta im Gespräch mit Thomas Kistner | 17.07.2012
    Tobias Armbrüster: Es sind stürmische Zeiten beim Weltfußballverband FIFA. Verbandspräsident Joseph Blatter steht wegen Korruptionsvorwürfen gegen hohe Funktionäre in der Kritik. Am Wochenende hat er nun schwer gegen Deutschland ausgeteilt mit der Andeutung, die WM im Jahr 2006 sei eine gekaufte Weltmeisterschaft gewesen. Heute wird nun in Zürich das FIFA-Exekutivkomitee tagen, es ist das höchste Entscheidungsgremium beim Weltverband. Bei dieser Sitzung soll es ausgerechnet um Ethikfragen innerhalb der Organisation gehen.
    Und die deutschen Fußballfunktionäre beim DFB und auch bei der Fußballliga, die haben gestern ziemlich gelassen auf die Vorwürfe von Sepp Blatter reagiert, es gab lediglich ein paar kurze Statements. Blatter hatte ja wie berichtet angedeutet, die WM 2006 sei nur durch Bestechung an Deutschland vergeben worden. Dazu wird es sicher auch heute Nachmittag einige Fragen an ihn geben. Mein Kollege Martin Zagatta hat über diese Vorwürfe gestern Abend mit dem Sportjournalisten Thomas Kistner von der "Süddeutschen Zeitung" gesprochen und er hat ihn zunächst gefragt, warum die Verantwortlichen in Deutschland bei diesen Beschuldigungen so gelassen bleiben.

    Thomas Kistner: Also ich nehme mal an, dass die Funktionäre glauben, die deutlichen Worte haben sie vorher schon gesagt, nämlich gegen Blatter, und das war ja auch der Auslöser für dessen Gegenattacke. Dass sie es gelassen hinnehmen, liegt sicherlich auch daran, dass es zum einen ja nun schon mittlerweile zwölf Jahre zurückliegt, sie zum anderen auch wissen, dass Blatter diese Sache nicht wirklich hochziehen kann, denn wenn immer sich dort etwas fände, dann würde es ihm als Erstes auf die Füße fallen. Blatter war damals und ist heute noch der Hauptverantwortliche der FIFA als Präsident, und wenn er tatsächlich mit einem so schwerwiegenden Verdacht über die Jahre durch die Gegend gelaufen ist, dann hat er praktisch eine Amtspflichtverletzung begangen, weil er die Sache nicht aufgerollt hat.

    Martin Zagatta: Sie sagen es: Blatters Name steht ja seit Langem für Mauschelei und Korruption. Wieso hält dieses System immer noch?

    Kistner: ... , weil es von ihm selbst eingerichtet worden ist. Ich glaube, wenn ein Mensch mit einem gesunden Machttrieb und auch durchaus der Kunst, Menschen umgarnen zu können, wenn man so einen Mann über mehr als drei Jahrzehnte schalten und walten lässt in einem Fußballverband, der von den Strukturen her aufgestellt ist wie ein Hasenzüchterverein, wie ein Kegelverein, also quasi ohne jede Kontrolle werkeln lassen kann - wir dürfen auch nicht vergessen: Sepp Blatter hat allein Unterschriftsrecht bei der FIFA, das ist ja ein Milliardenkonzern mittlerweile -, dann wachsen natürlich Seilschaften und Personengeflechte, die praktisch nicht mehr zu durchtrennen sind, jedenfalls nicht von innen, und deswegen kann eine Lösung dieses Problems - wenn man so will, hat die FIFA ja die Blattern - nur von außen herbeiführen.

    Zagatta: Inwiefern? Ihr Buch heißt ja "Die FIFA-Mafia". Gibt es da Möglichkeiten aus Ihrer Sicht, das von außen zu knacken?

    Kistner: Ja! Wenn der Druck von außen zu groß wird, dann bestünde die Möglichkeit, dass sich da was ändert. Wir befinden uns ja jetzt ein bisschen an so einer Wegscheide. Zum einen besteht die Möglichkeit, dass die großen, starken nationalen Verbände vielleicht sich mal in einer Allianz der Anständigen zusammenfinden könnten - das ist jetzt insbesondere eine Aufforderung an den DFB und die DFL, die jetzt nicht stehen bleiben dürfen. Blatter hat ja versucht, ihnen hier einen Knüppel zwischen die Beine zu werfen, ihnen zu sagen, bis hierhin und nicht weiter, kümmert euch um eure Dinge. Wenn sie jetzt also darauf nicht eingehen, nicht stehen bleiben, ihre Kritik fortsetzen und auch versuchen, was auf die Beine zu stellen - denkbar wäre zum Beispiel ein Sonderkongress zu diesen Themen -, dann könnte da mächtig was in Bewegung geraten in der Fußballwelt. Und die andere Möglichkeit ist das laufende sogenannte Reformprogramm bei der FIFA, da sollen ja nun honorige Leute reinkommen, und wenn die bei ihrem Eintritt, der für morgen ja geplant ist, gleich mal die Reißleine ziehen, dann wäre Blatter wirklich mit dem Rücken an der Wand.

    Zagatta: Können Sie sich vorstellen - Sie sprechen von dieser Ethikkommission oder diesem Ethikkomitee, das jetzt da eingesetzt werden soll -, können Sie sich vorstellen, wenn das unter den Fittichen von Blatter läuft, dass das tatsächlich irgendetwas ändert?

    Kistner: Nein, das auf gar keinen Fall. Den naiven Glauben überlasse ich dann lieber dem Chefreformer Mark Pieth, der ja sagt, er braucht Blatter unbedingt, um diese Reformen durchzusetzen, und offenbar dabei auch glaubt, dass Blatter einer zu kräftigen Reform den Weg bahnen wird, die ihn dann selbst fällen könnte. Den Optimismus teile ich nicht, aber es geht ja darum, dass namhafte Leute, namhafte Juristen insbesondere, in diese Gremien einrücken sollen. Die Rede ist beispielsweise von Luis Moreno Ocampo als Chef der ermittelnden Kammer in dieser neuen Ethikkommission. Und an diese Leute wird sich nun die Frage stellen, gehen sie unter diesen Umständen überhaupt in ein FIFA-Gremium rein und oder erklären sie auch gleich beim Eintritt, dass sie den Vorwürfen gegen Sepp Blatter intensiv nachgehen werden. Letzteres kann ich mir nicht vorstellen, deswegen ist eher das andere zu befürchten, dass sich das morgen wieder irgendwie zieht und man vielleicht das Ganze sogar vertagt. Alles ist möglich und da kann man wirklich sehr gespannt sein.

    Armbrüster: So weit der Sportjournalist Thomas Kistner gestern Abend im Gespräch mit meinem Kollegen Martin Zagatta.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.