Monika Maron: "Artur Lanz"

Sehnsucht nach einem Helden

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Cover von Monika Marons Roman "Artur Lanz", vor einem Aquarell-Hintergrund.
Marons sarkastischer Blick auf die Welt prägt auch ihren neuen Roman "Artur Lanz". © S. Fischer / Deutschlandradio
Von Jörg Magenau  · 13.08.2020
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Die Hauptfigur ihres Romans "Artur Lanz" hat enorme Ähnlichkeit mit Monika Maron selbst. Allerdings ist sie in ideologischer Hinsicht gelassener als die Autorin. Ein Gesinnungsroman über postheroische Zeiten, boshaft, aber dennoch vergnüglich.
Charlotte Winter ist eine sympathische, angenehm schnoddrige und erfrischend biestige ältere Dame. In ihrer Vorliebe fürs Rauchen, für Hunde und provokante Thesen, in ihrer DDR-Sozialisation und ihrer Existenz als Schriftstellerin gleicht die Hauptfigur in Monika Marons neuem Roman "Artur Lanz" der Autorin so sehr, dass man von einer weitgehenden Identität ausgehen darf.
Vielleicht kann Frau Winter den ideologischen Moden gegenüber ein bisschen gelassener als Frau Maron sein, weil die ihre Abneigungen gegen Gender-Sternchen, Frauensfrauen, sitzpinkelnde Männer, militante Nichtraucher, Hundehasser, Islamisten, Klimahysteriker und jegliche Art politisch-korrekter Schmalspurigkeit so geschickt auf das gesamte Romanpersonal verteilt hat, dass ihre Ich-Erzählerin sich aufs Beobachten, Zuhören, Kopfschütteln und bissiges Kommentieren beschränken darf.

Errungenschaften der Zivilisation werden zur Bedrohung

Trotz ihrer bald 80 Jahre ist sie als notorische Online-Zeitungsleserin ungemein zeitzugewandt geblieben. Dabei denkt sie immer wieder darüber nach, dass all das, was sie aufregt, ihr doch eigentlich von Herzen egal sein könnte, weil die Welt auch ohne sie weitergehen wird und es auf ihre Meinung nicht ankommt. Vor allem aber treibt sie die Frage um, warum es keine Helden mehr gibt, ja, warum im sogenannten postheroischen Zeitalter hierzulande jeglicher Heroismus suspekt geworden ist.
Dass das ein Resultat der deutschen Geschichte, der NS-Zeit ebenso wie der sozialistischen Erfahrung ist, reicht ihr als Erklärung nicht aus. Oswald Spengler hat den "Untergang des Abendlandes" ja schon vor hundert Jahren ausgerufen, als noch nicht zu ahnen war, dass heute nur noch Schwächlinge herumlaufen und jegliche Errungenschaft der Zivilisation – vom Auto bis zur Atomkraft – in eine Bedrohung umgeschlagen ist, womit aus dem Fortschritt ein beschleunigter Niedergang wurde.

Der Hund wird mehr geliebt als die Ehefrau

In ihrer bewundernswerten, dem Alter abgetrotzten Neugier lernt Charlotte Winter den 50-jährigen Artur Lanz kennen, der wochenlang auf einer Parkbank herumsitzt, aber viel zu gut gekleidet ist, um einer dieser Penner zu sein, die Charlotte Winter weniger bemitleidet als verachtet. Artur Lanz erzählt ihr nach und nach seine Geschichte, die mit der unfreiwilligen Heldentat beginnt, wie er seinen Hund aus einem Rapsfeld rettete und dabei bemerkte, dass er den Hund mehr liebte als seine Frau.
Bis zur Scheidung dauerte es von da an nicht mehr lange, und vermutlich hätte er seine Frau schon viel früher verlassen sollen, als er eine Affäre mit einer jungen Polin hatte, die ihm als die große Liebe seines Lebens erschien. Doch indem er sich gegen sie entschied, war auch die Ehe nicht mehr zu retten.
Seither wartet dieser traurige Mann darauf, eine echte Heldentat zu vollbringen, wozu er bald in seinem Institut, wo insekten- und vogelfreundliche Windradlackierungen erforscht werden, Gelegenheit findet. Sein Arbeitskollege und sehr guter Freund Gerald, der sich schon länger darauf versteift hat, den Klimawandel für eine Erfindung oder gar eine Verschwörung zu halten, hat auf Facebook über das "grüne Reich" gepostet und sich damit in die Nähe der Rechtspartei schwadroniert.
Am Institut kommt es zu einem Tribunal, das an sozialistische Kritik- und Selbstkritikrituale erinnert und den eher zur Zurückhaltung neigenden Artur Lanz endlich dazu zwingt, seinem Freund gegen das versammelte Denunziantentum beizuspringen. Ein Held ist er damit noch nicht, aber wenigstens einmal zornig geworden.

Gesellschaftssatirische Qualitäten

Als Roman ist das alles ziemlich dünn, weil in diesem Buch vor allem räsoniert wird und die verschiedenen Figuren – ein professoraler Freund, eine alte, handfeste Freundin namens Lady und andere – nur als Gesprächspartner vorkommen, aber kaum ein Eigenleben gewinnen. In seinen Schilderungen einer Abendgesellschaft samt ayurvedischer Gattin des Gastgebers, die gerade von einer Massagekur in Indien zurückgekehrt ist, hat das Buch jedoch gesellschaftssatirische Qualitäten. Da bewährt sich Marons sarkastischer Blick.
Literarisch ist "Artur Lanz" nach dem wunderbar skurrilen Krähenroman "Munin oder Chaos im Kopf" wohl eher ein Zwischenwerk. Wie mühsam es ist, einen Stoff zu finden und umzusetzen – diese Erfahrung macht stellvertretend für Monika Maron Charlotte Winter, die sich mit Artur Lanz auch nur deshalb befasst, weil sie hofft, aus dieser Figur einen Roman zu machen.
Nun gut, es ist vollbracht. Dass es ein durchaus vergnüglicher Gesinnungsroman von angemessener Boshaftigkeit geworden ist, liegt an Marons erzählerischer Kraft, die aus sehr wenig doch etwas zu machen versteht.

Monika Maron: "Artur Lanz". Roman
S. Fischer, Frankfurt am Main 2020
220 Seiten, 20 Euro

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