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Kitastreik
"Erzieherinnen sind keine Basteltanten"

Die Bundeselternvertretung BEVKi dringt auf eine Lösung bei den Tarifverhandlungen für Erzieherinnen im öffentlichen Dienst. Eltern stünden unter einer unglaublichen Anspannung, sagte Sandy Kirchner von der Bundeselternvertretung BEVKi im DLF. Zugleich müsse der Beruf aufgewertet werden.

Sandy Kirchner im Gespräch mit Friedbert Meurer | 01.06.2015
    Eine Erzieherin der Kindertagesstätte "Kirschblüte" hängt in Schwerin ein Streik-Plakat an den Eingang der Einrichtung.
    Eine Erzieherin der Kindertagesstätte "Kirschblüte" hängt in Schwerin ein Streik-Plakat an den Eingang der Einrichtung. (dpa / picture alliance / Jens Büttner)
    Die Bundeselternvertretung der Kinder in Kindertageseinrichtungen und Kindertagespflege (BEVKi) hat die Gewerkschaft Verdi und die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) zu ernsthaften Gesprächen aufgerufen. Betroffen Eltern würden nicht wollen, dass der Kitastreik sieben Wochen dauert, sagte Sandy Kirchner von der Bundeselternvertretung BEVKi im DLF. Die Gewerkschaften müssten an den Verhandlungstisch zurückkehren und auch der VKA müsse sich bewegen.
    Zugleich forderte Kirchner eine Aufwertung des Erzieher-Berufs. "Erzieherinnen sind keine Basteltanten." In den Kindertagesstätten gebe es schon jetzt einen Fachkräftemangel, sagte sie. Wenn Schulabgänger weiterhin andere Berufe favorisierten, bekomme Deutschland irgendwann ein echtes Fachkräfteproblem. Deshalb ließ Kirchner auch Verständnis für die Erzieherinnen durchblicken - trotz des Ärgers für betroffene Eltern. "Ein Streik, der nicht wehtut, ist kein Streik", sagte sie. Wenn der Streik jetzt - ohne ein Kompromiss - ausgesetzt würde, könnten im Herbst wieder neue Streiks drohen.
    Gut drei Wochen nach Beginn des unbefristeten Streiks an kommunalen Kitas kehren Arbeitgeber und Gewerkschaften heute an den Verhandlungstisch zurück. Der Streik geht aber vorerst noch weiter.

    Das Interview in voller Länge:
    Friedbert Meurer: Heute geht der Streik an den Kitas schon in die vierte Woche. Immer mehr Eltern sind der Verzweiflung nah. Jetzt wird das letzte an Organisationstalent herausgeholt, um ohne Kitas klar zu kommen. Aber vielleicht naht Rettung. Heute Abend wird tatsächlich zum ersten Mal wieder zwischen der Gewerkschaft und den kommunalen Arbeitgebern verhandelt oder zumindest gesprochen. Verdi-Chef Frank Bsirske hat sogar gestern in Aussicht gestellt, in der "FAZ Sonntagszeitung", vielleicht gehen die Streiks diese Woche zu Ende. Sandy Kirchner aus Thüringen ist Vorsitzende der Bundeselternvertretung für die Kitas. Guten Morgen, Frau Kirchner!
    Sandy Kirchner: Guten Morgen.
    Meurer: Wie groß wäre der Stein, der den Eltern vom Herzen fällt, wenn tatsächlich der Streik zu Ende geht?
    Kirchner: Ich denke, der wäre deutschlandweit zu hören. Eltern sind unglaublich unter Anspannung, dass keine Kita zur Verfügung steht, dass sie das selber organisieren müssen, und wenn das wegfällt, das wäre schon eine enorme Erleichterung.
    Meurer: Wie kommen die Eltern damit klar im Moment?
    Kirchner: Das kann man so pauschal nicht sagen. Es gibt Eltern, denen fällt das leichter, weil die möglicherweise die Großeltern oder ganz viel Familie am Ort haben und das irgendwie organisieren können, oder untereinander mit anderen Eltern gut vernetzt sind. Und dann gibt es Eltern, denen fällt es deutlich schwerer, vielleicht auch mit besonderen Kindern, die nicht einfach mal von einer anderen Erzieherin betreut werden können, weil da ein hoher Pflegeaufwand mit besteht. Es ist für den einen leichter, für den anderen schwerer, aber nerven tut es alle. Das kann ich schon mal sagen.
    "Die Erzieherinnen sind uns wichtig"
    Meurer: Der Streik ist für viele Eltern brutal oder zumindest nervenaufreibend. Frau Kirchner, Sie als Vorsitzende der Bundeselternvertretung für die Kitas haben in den letzten Tagen an einer Kundgebung von Verdi teilgenommen, sich damit hinter die Forderungen der Streikenden gestellt. Haben Sie da alle Eltern wirklich noch hinter sich?
    Kirchner: Erst mal möchte ich sagen, ich bin nicht die Vorsitzende der Bundeselternvertretung. Wir haben fünf Sprecherinnen in der Bundeselternvertretung und ich bin eine dieser fünf.
    Meurer: Okay!
    Kirchner: Und bei der Kundgebung in Frankfurt habe ich mich nicht hinter die Forderungen von Verdi gestellt, sondern ich habe gesagt, die Erzieherinnen sind uns wichtig. Wir wissen, dass das nicht Basteltanten sind, sondern dass sie unglaublich wichtig für die jeweiligen Bereiche, in denen sie arbeiten, sind. Und ich habe gefordert, dass sie zurückkehren an den Verhandlungstisch, und dazu war es notwendig, dass der VKA ein Angebot vorlegt. Das haben sie getan und jetzt gehen wir davon aus, dass auch von Seiten der Gewerkschaften da mit Nachdruck verhandelt wird und der VKA sich auch ein Stück weit bewegt.
    Meurer: VKA, das ist der Verband der Kommunalen Arbeitgeber. - Bevor wir über das Treffen heute Abend zwischen denen und Verdi reden, Frau Kirchner: Das heißt, die Forderung nach mehr Geld können Sie teilen bei den Erzieherinnen, aber die Streiks in dieser Härte lehnen Sie ab?
    Kirchner: Die Bundeselternvertretung ist ein ganz junges Gremium. Das haben wir letztes Jahr im November in Gotha mit einer Gründungserklärung aus der Wiege gehoben. In dieser Gründungserklärung sprechen wir uns ganz klar für Fachkräfte und ganz viel Qualität im Bereich Kita aus. Und insofern ist es wichtig, dass eine Aufwertung stattfindet, einfach weil es uns nicht hilft, wenn wir zwar sagen, ja, die haben ja jetzt gestreikt, aber wenn es eben nicht klappt, dann klappt es nicht. Im Bereich Kita gibt es einen Fachkräftemangel und wenn die Bezahlung so bleibt, wie sie ist, und die Absolventen einer Fachschulklasse eben nicht alle in die Kita gehen, sondern sich andere Berufsfelder suchen, wo sie besser verdienen, dann kriegen wir irgendwann ein tatsächliches Fachkräfteproblem.
    Meurer: Hätten Sie sich von Verdi gewünscht, mal eine Streikpause zu machen, oder die eine Hälfte der Kitas in einer Stadt zu bestreiken und die andere nicht?
    Kirchner: Auch das kann man so pauschal nicht sagen. Man muss das echt von Ort zu Ort sehen. Ich weiß, in Köln gibt es Kitas, die gehen jetzt tatsächlich die vierte Woche in den Streik. Hier in Thüringen ist es so, dass in einigen Kitas es Streikpausen gab, man die Notbetreuung neu organisiert hat und jetzt wieder streikt. Das muss man einfach vor Ort sehen und gucken, wie das ist.
    Meurer: Wer entscheidet denn da über diese unterschiedliche Taktik, dass es uns hier in Köln so hart erwischt und bei Ihnen in Thüringen nicht?
    Kirchner: Das machen die Gewerkschaften. Die rufen zu Streiks auf, immer vor Ort, und sprechen das mit den Erzieherinnen ab. Und dann gibt es Kitas, die streiken, oder Kitas, die nicht streiken.
    "Ein Streik, der nicht wehtut, ist kein Streik"
    Meurer: Wenn heute Abend nicht der Durchbruch kommt und tatsächlich, was manche befürchten, die Streiks bis zu den Sommerferien weitergehen, was ist dann?
    Kirchner: Dann wird es schwierig für alle Beteiligten. Es ist natürlich so, dass die Eltern genervt sind und dass es auch erste Forderungen gibt, den Streik sofort auszusetzen. Aber ich habe es ja eben gesagt: Die Frage ist, inwiefern das tatsächlich hilft, wenn jetzt der Streik ausgesetzt wird. Ich weiß es nicht. Ich bin nicht in einer Gewerkschaft. Vielleicht wird ja dann im Herbst wieder gestreikt.
    Meurer: Aber Sie sprechen ja für die Eltern, die viel Sympathie haben, dass die Erzieherinnen, die sie gut kennen, mehr Geld kriegen.
    Kirchner: Genau.
    Meurer: Aber sieben Wochen lang Streik, kann das so auf deren Knochen gehen?
    Kirchner: Nun ja. Ein Streik, der nicht wehtut, ist kein Streik. Aber natürlich wünschen sich Eltern, dass das so schnell wie möglich beendet wird und dass es keine sieben Wochen dauert. Und Eltern hätten sich auch gewünscht, dass es keine vier Wochen dauert. Aber Eltern haben es eben nicht in der Hand.
    Meurer: Ganz knapp: Wie groß ist Ihre Hoffnung, dass das heute Abend oder in den nächsten Tagen geklärt wird?
    Kirchner: Meine Hoffnung ist groß.
    Meurer: Und die vieler Eltern in Deutschland auch. Der Streik bei den Kitas geht in die vierte Woche. Heute Abend um 18 Uhr erstmals wieder Verhandlungen zwischen Arbeitgebern und der Gewerkschaft unter anderem Verdi. - Sandy Kirchner ist eine der Sprecherinnen der Bundeselternvertretung für die Kitas, heute Morgen bei uns im Deutschlandfunk. Frau Kirchner, danke schön und auf Wiederhören.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.