Donnerstag, 25. April 2024

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KLABUND: Sämtliche Werke

KLABUND - so nannte sich der Lyriker, Romanautor, Dramatiker Alfred Henschke mit dem sicheren Gefühl, daß "Henschke" keine Flagge war, die der Ladung entspricht. "Eine Kreuzung von Klabautermann und Vagabund", so wollte er seinen neuen Namen aufgefaßt wissen. Und er hatte Recht. Bis heute. So klabautert und vagabundiert er durch die Literaturgeschichte, die ihn nicht seßhaft machen kann: weder im Expressionismus noch bei DaDa oder gar in der Neuen Sachlichkeit. Auch Naturalismus und Neuromantik boten ihm nur gelegentliche Unterkunft-Klabund nahm es nicht so genau mit den Wohnstätten der literarischen Richtungen und bediente sich ihrer, wie es ihm gefiel. Klabund ist einer unserer vielseitigsten Autoren, und zu lange war es still, ja mäuschenstill um ihn. Offensichtlich auch eine Uninteressiertheit der Rechte-Inhaber. Jetzt erscheint eine große Werkausgabe, die an der Freien Universität Berlin erstellt, mindestens betreut wird. Die wichtigsten Bände liegen schon vor.

Alexander von Bormann | 19.12.1999
    Klabund hat rastlos produziert, und das hängt auch mit seiner früh gewußten Tuberkulose zusammen. 1890 in Crossen an der Oder geboren, starb er schon 1928, mit kaum 38 Jahren, im Kurort Davos. In den wenigen Jahren seines Schreibens, 16 waren es, publizierte er immerhin 76 Bücher, davon 19 Gedichtbände, zehn Romane, acht Dramen und viele Erzählungen. Groß war er in der Kunst des "remake": aus Alt mach Neu, das beherrschte er vortrefflich, ein Postmoderner avant la lettre. Den Durchbruch - und das Geld - brachten die Schauspiel-Bearbeitungen und -Nachdichtungen, vor allem aus dem Chinesischen. "Der Kreidekreis" wurde sein größter Erfolg. Er hat auch Brecht als Vorlage gedient und wurde an allen größeren Bühnen Deutschlands gespielt.

    Es ist wichtig und hocherfreulich, daß Klabunds Werk wieder zugänglich wird. Wir haben nicht viele Autoren mit diesem geistreich verspielten Ton heiterer Melancholie und bißfreudiger Kritik, auch wenn es einige Vorbilder gibt: Heine und Wedekind, die Barocklyrik, den Bänkelsang, das französische Chanson. Klabund geht bis zu Frangois Villon zurück, dem er ein eigenes Büchlein, ein "lyrisches Porträt", gewidmet hat. Diese Gedichte sind hauptsächlich 1916/17 entstanden. Man merkt ihnen mancherlei Herkünfte an, doch der Zeit-Ton überwiegt. Dazu gehören auch die Anklänge an den Jugendstil und dessen irisierende Glaskunst. Die Wörter, z.B. Schmetterling, werden von Klabund so gebrochen, daß sie neue Reime ergeben, etwa auf Wetter:

    Rausche, Laub, am braunen Hang,/Rausche deine bunten Blätter Mir hernieder in den Gang./Erst fiel eines wie ein Tropfen Ferner Wetter./Nun sinds viele, die wie Schmetterlinge tot den Boden klopfen./Und vom Baum sah ich ein Blatt sich falten./Ist es eine Blüte? Farbentrunken/Ist sie schon auf mich herabgesunken,/Und die Hände/ Halten/Eines Jahres Sonnenbrände./Rot und glühend zuckte es im Teller Meiner Hand, auf der die Blicke brannten,/Während meine wehen Sohlen schneller/Durch das tote Laub am Boden rannten.

    Klabund ist ein Meister des erlesenen Tons. Gelegentlich kann der 'einfach so' weiterlaufen, mir nichts/dir nichts z.B. ins Kunstgewerbliche. Das ist den Chinoiserien ja auch passiert. Klabund war feinfühlig genug, und hat derbe Bänkelsang-Verse dagegen gesetzt, eine etwas grobe, aber mögliche Methode, die man schon bei Heine studieren kann. Das in der Sammlung folgende Gedicht beginnt:

    Ich lieb ein Mädchen, welches Margot heißt,/Sie hat zwei Brüste wie zwei Mandarinen./Wenn wir der holden Göttin Venus dienen,/Wie gern mein Mund in diese Früchte beißt./Ich lieb Mädchen, welches Margot heißt. Doch wer sie liebt,/ muß sie zuweilen prügeln. Es läßt sich leicht nicht ihre Wildheit zügeln,/ Wenn man sie tändelnd nur als Eva preist./Ich lieb ein Mädchen, welches Margot heißt, Bewandert in den Liebesdialekten,/Die schon die alten Phrygier entdeckten, (Gebenedeit sei ihr antiker Geist!)

    Die interessante Reimform, die eine gewisse Treue, mindestens Anhänglichkeit ausdrückt, wird durchgehalten, wie sich Klabund Oberhaupt als ein Meister des Formenspiels erweist. Zwei Bände der Werkausgabe fassen seine Gedichtbücher zusammen. Deren Anordnung und Reihenfolge sind selbstverständlich erhalten. Berühmt waren Titel wie "Der himmlische Vagant" (1921), "Das heiße Herz" (1922) oder - sein letzter - "Die Harfenjule" (1927). Klabunds Ruf, ja eine gewisse Karriere beruhten zunächst auf den frechen Versen, die er auf den Brettern der berühmten Kleinkunstbühnen in München und Berlin vortrug. Der Prolog gleich zu seinem ersten Gedichtband, von 1913: "Morgenrot! Klabund! Die Tage dämmern!" widerspricht im Tonfall dem etwas steil-expressionistischen Titel:

    Ich sitze hier am Schreibetisch/Und schreibe ein Gedichte,/Indem ich in die Tinte wisch/Und mein Gebet verrichte./So giebt sich spiegelnd Vers an Vers In ölgemuter Glätte./Nur selten fragt man sich: Wie wärs, Wenn es mehr Seele hätte?/Die Seele tut mir gar nicht weh, Sie ist ganz unbeteiligt./Nackt liegt sie auf dem Kanapee Und durch sich selbst geheiligt./Des Abends geh ich mit ihr aus,/Im Knopfloch eine Dalie./Ich selber heiße Stanislaus,/Sie aber heißt Amalie.

    Das ist immerhin eine Parodie der Neuen Sachlichkeit, zehn Jahre, bevor es die gab. Die ölgemute Glätte kritisiert den Literaturbetrieb romantisch als Maschinenwesen, gibt ihm zugleich Recht, weil die romantische Klage auch nichts bringt. Da hilft nur die Überbietungsgeste. Die scheut auch nicht die Trivialisierung. Dem berühmten, großen Gedicht von Baudelaire "Der Dämon/Le dämon" antwortet Klabund mit seinem quasi gemütlichen Gedicht "Schatten", das sich auch sehr profan als adoleszente Onanie-Klage lesen läßt:

    Einem dumpfen Geiste/Bin ich untertan./Oft fällt die verwaiste/Lust er gierig an./Hellen Auges steh ich/In der lieben Welt,/Bis der fremde Schatten/Wieder in mich fällt.

    Klabunds Größe liegt darin, daß er eine solche nicht anstrebt. Er hält sich an volkstümliche Formen, an Ballade/ Lied/ Moritat/ Spruch, an den kabarettistischen Parlando-Vers. Und das ist durchaus Programm: eine Absage an die Hohe Lyrik der Rilke, George, Hofmannsthal, eine Absage auch an den Herzton der Expressionisten und vor allem an alle begeistert vorgetragene Kriegslyrik. Als Vortragskünstler und Theatermann weiß Klabund, daß Sprache und Darstellung nur selten den RollenMustern entkommen. Gegen das Aufbruchspathos der zeitgenössischen Lyriker stellt er 1914 keß-traurige Parodien von Soldatenliedern, ausgereizte Propagandaparolen, und bringt ganz listig in munteren Trinkliedern äußerst kritische Töne unter:

    Es gibt wohl auf der Welt/Nichts weiter wie Soldaten./Sie sind zum Kampf bestellt/Der großen Potentaten./Und Wein fließt aus den Reben: Brüder, schenkt ein!/Soldaten müssen leben,/Soldaten müssen sein. Der Refrain vertuscht, daß da kurz eine klassenkämpferische Perspektive aufschien. In den späteren politischen Liedern tritt die unverblümt häufiger hervor. Klabund hat seine Gedichte, etwa im letzten Band "Die Harfenjule", auch als "Zeit-, Streit- und Leidgedichte" betitelt. Die Not der Inflationszeit kommt durch, aber vernichtet nicht Spottlust, Kritik, Humor, so bitter der sein mag:

    "Ich stehe am Anhalter Bahnhof. Ergebenster Diener!/Ich biete Delikateßbockwurst feil und die ff. heißen Wiener./ Manchmal hab ich einen Reingewinn von einer halben Mark. /Ich lege das Geld auf die hohe Kante. Ich spare für meinen Sarg./Ein eigener Sarg, das ist mein Stolz Aus Eschen- oder Eichenholz,/Aus deutscher Eiche. Das Vaterland/Reichte mir hilfreich stets die Vaterhand./Begrabt mich in deutschem Holz, in deutscher Erde, im deutschen Wald./Aber bald!/Wie schläft sich's sanft, wie ruht sich's gut, Erlöst von Schwindsucht und Skorbut./Herrgott im Himmel, erwache ich zu neuem Leben noch einmal auf/Erden:/Laß mich Devisenhändler, Diamantenschleifer oder Kanalreiniger/werden!"

    Das ist böse und genau und bis heute nicht ohne Aktualität. Klabund hat auch verschiedentlich polizeilichen Ärger bekommen, versteht sich. Schaurig genau sind vor allem die Porträtgedichte, in denen Klabund scharfsichtig die Seelenlage seiner volkhaften Zeitgenossen ausleuchtete, etwa der Zeitfreiwilligen, wie die braunen Söldner damals hießen, der Ex-Soldaten, der Kaufleute, Handelsgehilfen und Arbeitslosen. Man könnte von Rollenlyrik sprechen. Doch erlaubt es sich Klabund immer wieder, einen kräftigen Querstrich in die Texte zu setzen, der für Befremdung und Verfremdung sorgt.

    Er hat das sozusagen vom Drama gelernt, jener Gattung, die ihn bekannt machte und für seinen Lebensunterhalt sorgen mußte. Die Ausgabe der "Sämtlichen Werke" bringt die "Dramen und Szenen" in zwei Bänden. Der erste liegt vor, und darin finden sich die acht Dramen Klabunds; die "Szenen und Grotesken" werden folgen. Klabunds Liebe zum Theater war nichts weniger als abstrakt. Er hatte 1924 die Schauspielerin Carola Neher kennengelernt. Eine erste Ehe war tragisch nach wenigen Monaten geendet: eine Frühgeburt hatte dem Leben von Mutter und Kind ein Ende gesetzt. Klabund und die Neher heiraten, er folgt ihr nach Breslau, wo es ihm nicht gut geht, und er läßt verlauten:

    "Schulden wie Heu, Stroh im Kopf, und nur ein brennendes Herz. Wie soll das enden?- Hoffentlich nicht mit einer Katastrophe!"

    Matthias Wegner hat den Beiden ein Buch in der Rowohlt-Reihe 'PAARE' gewidmet. Er nannte es etwas pathetisch: "Eine Geschichte von Liebe und Tod", was zu Unrecht auf Rilkes "Cornet" anspielt. Immerhin läßt sich zeigen, daß beide Partner einander sehr nahe, aber zugleich nicht ganz bekömmlich waren. Ohne den bahnbrechenden Erfolg des "Kreidekreises" wäre die Ehe, vermutet man, wohl nicht zustande gekommen. Klabund schrieb an Carola Neher:

    "Ich bin einem Menschen wie Dir noch nie begegnet: im Guten nicht und nicht im Sonderbaren."

    Ist es nicht hübsch taktvoll, wie Klabund das erwartete Wort "böse" vermeidet und dafür "sonderbar" setzt? - In den Gedichten und Erzählungen findet sich mancher Widerhall dieser Beziehung, aber man täte nicht gut daran, das Werk als Zeugnis zu lesen. Immerhin gibt es anrührende Verse Klabunds auf seine so unerwartet gestorbene Frau Irene. Aber der Grundton des Werks ist durch Spiel, Camouflage, Aneignung und Überbietung der Tradition gekennzeichnet. Nicht unengagiert will Klabund die plebejische Literaturtradition als eine des Witzes zeigen, der subversiven Kraft des Lachens mehr vertrauend als allen Parolen. Vermutlich hat Brecht ihn deshalb besonders gemocht, wie er behauptete.

    Als Zwanzigjähriger veröffentlichte Klabund 1910 den Erzählband "Celestinall. Dessen Titel zitiert eine spanische Komödie aus dem 17. Jahrhundert. Ein künstlich veralteter Stil soll bei Klabund dafür sorgen, daß wir den Geschichten glauben, sie stammten aus den letzten zweihundert Jahren. Eine davon ist recht modern, profitiert aber doch vom Wundergeist der alten Anekdoten. Klabund läßt einen Flieger des I. Weltkriegs auf Urlaub in sein Dorf zurückkommen, wo er gehörig angibt und entsprechend bewundert wird:

    "So erzähle uns doch etwas vom Fliegen, und wie man es lernt Georg!" bat seine Mutter. Sie war so stolz auf ihn.- Da stand Georg Henneske auf" und alle mit ihm. "Gut, ich will es tun. Hört zu!" Er sprang auf einen Stuhl. Sie scharten sich um ihn. Aufgeregt, seinem Willen hingegeben, wie die Herde um das Leittier. Sie hoben ihre Köpfe, sehnsüchtig, und der blaue Himmel lag in ihren Augen. Georg Henneske aber reckte die Arme, schüttelte sie gegen das Licht, in seinen Blicken blitzte die Freude des Triumphators, und als er sprach, flammte es aus ihm. Er selber fühlte sich so leicht werden, so lächelnd leicht, der Boden sank unter seinen Füßen, seine Arme breiteten sich wie Schwingen, wiegten sich, und wie ein Adler stieß er hoch und steil ins Blau. Das ganze Dorf stand wie ein Wesen, das hundert Köpfe in den Himmel bog. Und sie sahen Georg Henneske im Äther schweben, ruhig und klar, fern und ferner, bis er ihren Blicken entschwand.

    Hier wird eine völkische Lesebuch-Geschichte parodiert. Aber 'parodiert' ist eigentlich nicht das richtige Wort - sie wird neuerzählt, bis sie unfreiwillig ihr bißchen Wahrheit hergibt, die heruntergekommene lelevatiol, den materialisierten Aufschwung, der sich zum Aufbruch ins Ungebundene verhält, wie der gebuchte Mallorcatrip zum romantischen Fernweh. Klabund macht das kenntlich, indem er dem Flieger gewährt, was Kern seiner Sehnsucht war. Daß die selber schon verkommen ist, nämlich zum Führer- und Sieger-Wunsch, bestimmt das Vokabular. Klabund zitiert tüchtig aus dem Völkischen. Wie schön wäre es, wenn jeder potentielle Triumphator, dem die andern zur Herde werden, so "hoch und steil" aufs Nimmerwiedersehen entschwände! Diese harmlose Erzählung hat es in sich; sie dekonstruiert so sagt man es heute, die Lesebuch- oder Kalendergeschichte, die das Volk als Herde auf ein "Leittier" einstimmen soll. Sie zitiert das Muster und bricht es auf.

    Klabund ist ein Meister der kleinen Prosa. Der erste Erzählband der Ausgabe präsentiert gleich zehn Sammlungen von seiner Hand,' von 1910 bis 1926. Die Lungenkrankheit schwächte Klabund zunehmend, und auch das disponierte ihn für die Kleinen Formen. Außerdem ließen sich die auch leichter verkaufen, mehrfach publizieren. "Ich will momentan absolut nicht krank sein", äußerte er, und das galt vor allem seiner Frau, die er auf ihre Reisen begleiten wollte. Carola Neher gehörte nun, auch durch die Zusammenarbeit mit Brecht, zu den Großen und Gefragten ihres Fachs. Aber Klabund stirbt schon am 14. August 1928, was im Band "Paare: Klabund-Neher" von Matthias Wegner anrührend dargestellt ist. Carola ist bei ihm und versäumt deshalb ihren Part in der Premiere der "Dreigroschenoper" in Berlin. Carl von Ossietzky feierte ihn in der Zeitschrift "Die Weltbühne" als "letzten freien Rhapsoden":

    "Seine Begabung war unruhig und zuckend; in Beweglichkeit-und Maskenkunst ohne Grenze. Es floß immer in einem schmalen Bändchen alles durcheinander: Heine, Rimbaud, Exoten, Rudolf Baumbach, Wedekind, Eichendorffs Mondscheinlyrik und Dialektwitz; Pathos, Melancholie und Biertischzote. Aus dem Einfall wurde blitzschnell Rhythmus, Wort, Refrain... Er hatte keine Zeit und wußte es ... Von seinen siebenunddreißig Jahren waren zwanzig eine rohe, handgreifliche Auseinandersetzung mit dem Tode. Ewige Flucht ins Sanatorium, Flucht vor dem kühlen Luftzug, Erbeben vor einem kleinen Kratzen im Halse, das den nächsten Anfall anzeigt."

    Die Totenrede in Crossen, dem märkischen Geburtsort, hielt ihm Gottfried Benn. Darin hob er Klabunds Entscheidung für eine ungesicherte Poetenexistenz mit großem Nachdruck hervor:

    "Die Dichter sind die Tränen der Nation... Gegen eine Welt der Nützlichkeit und des Opportunismus, gegen eine Welt der gesicherten Existenzen, der Ämter und der Würden und der festen Stellungen, trug er nichts als seinen Glauben und sein Herz."

    Diese Zeugnisse finden wir im Buch von Matthias Wegner über das Paar Klabund-Neher. Die Werk-Ausgabe ist, wie sich's versteht, dafür zu wissenschaftlich. Aber sie erlaubt es uns, Klabund als den Lyriker der reichen Zwischentöne und gebrochenen Formspiele wiederzuerkennen, wieder zu lesen. Ebenso als einen zupackenden, zugleich taktvollen Erzähler, dem immer wieder Arabesken einfallen: zum Krieg, zum Nachkrieg, zur Tradition, zur Gegenwart. Seine Geschichten beanspruchen auf anekdotische Weise Wahrheit. Sie verabschieden das 19. Jahrhundert und seine (bürgerliche) Ästhetik, indem sie engagiert auf die Volkspoesie und die Einfachen Formen zurücklenken. Klabunds Erzählung "Der Bär" aus dem Kriegsjahr 1916 kennzeichnet sich zum Beispiel folgendermaßen:

    "Diese Geschichte beginnt wie ein Märchen der Brüder Grimm. Es ist aber kein Märchen. Es ist auch keine rechte Geschichte mit dem nötigen Schlußpunkt: eine runde Geschichte etwa, rund und durchsichtig wie eine Glaskugel, mit einer schillernden Moral. Diese Geschichte ist nämlich (beinahe) wahr und hat sich zugetragen in einer kleinen Stadt, in der ich kürzlich zu Besuch weilte. Sie ist nichts als eine traurige und lächerliche Arabeske zu dem erhabenen Ereignis des Krieges, das sich draußen (weit von hier, die kleine Stadt weiß nicht wo...) abspielt."

    Die Erzählung selber liefert den Realismus unseres Jahrhunderts nach, und man kann 'wirklich' nicht auf die Idee kommen, eine Regression in alte Zeiten gehöre zu den möglichen Fluchtorten.

    Auch Klabunds Dramatik ist kritisch, zeitgenössisch, postmodern aufgemischt, würde man heute sagen. Die frühen Dramen gehen vom Expressionismus aus und scheuen nicht die Politik, sie sind geradezu gewagt antinational und pazifistisch. Einem Primaner legt Klabund sein Credo in den Mund:

    "Es muß anders werden, wenn es gut werden soll."

    Klabunds Anti-Kriegs-Szenen arbeiten vor allem mit grotesken Überbietungen und lassen sich durchaus mit Karl Kraus' apokalyptischem Drama "Die letzten Tage der Menschheit" vergleichen, wenn ihnen auch nicht zur Seite stellen. Klabunds Drama "Brennende Erde" erschien 1926, im selben Jahr wie das Kraus-Drama. Vielleicht ist ja Heiner Müller nicht nur ein KrausLeser gewesen, sondern hat auch Klabund zur Kenntnis genommen, es gibt viel vergleichbare Machart. Doch hält Klabund diesen Ton nicht konsequent durch. Er nahm schließlich auch im Drama zu viele Traditionen auf, das Volksstück, das barocke Welttheater, den Kasperle, das religiöse Laienspiel, die Gesellschaftskomödie, das Märchenspiel und manche andere. Das hat ihn eine erkennbare Signatur gekostet. Gleichwohl wäre seine Dramatik eine Fundgrube für heutige Regisseure, die einen Text ja eh nur als Anregung für eine eigene Gestaltung betrachten. Daß Klabund so lange nicht präsent war, erläutert uns Matthias Wegner auch literaturpolitisch:

    "Daß er in Vergessenheit geriet, mag an der fahrigen Unschärfe mancher Texte, vor allem der Romane, liegen. Die Brettl-Lyrik kann sich mit der von Kästner oder Tucholsky, Mehring oder Ringelnatz messen. Es liegt aber auch auf profane Weise daran, daß sich nach seinem Tode niemand systematisch und ausdauernd der Pflege von Klabunds Nachlaß annehmen konnte oder wollte. Seine Autorenrechte sind über Carola Neher zuerst in die Hände des - damit überforderten - älteren Bruders und nach dessen wiederholter Verheiratung an unkundige Erben gelangt."

    Mit der neuen Ausgabe, die schon den Großteil des Werks wieder zugänglich hält, ist diese Situation verändert und steht einer Wiederentdeckung des einst so hoch geschätzten Autors nichts mehr im Wege.