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Klamauk mit Herrn Kranich

Ein junger Schriftsteller, Herr Kranich, versucht verzweifelt, seinen zweiten Roman zu schreiben: Der Roman "Hirngespinste" bietet Junkfood-Literatur mit grotesker Situationskomik, einer bewusst überdrehten Geschwindigkeit und typisierten Figuren.

Von Sabine Peters | 05.11.2009
    Der Prolog des Romans beginnt mit folgenden Worten: "Kranich, Englisch, Deutsch." Das neue Buch des 1969 geborenen Markus Orths heißt "Hirngespinste", und dieser Titel leuchtet spontan ein. Dabei ist es ganz logisch: Herr Kranich, Lehrer für Englisch und Deutsch, stellt sich einem anderen Kollegen vor. Wer Markus Orths Bestseller "Lehrerzimmer" aus dem Jahr 2003, eine Satire auf das "System Schule" gelesen hat, wird den Helden wiedererkennen. Jetzt also "Hirngespinste", ein weiterer Roman aus der Feder eines Vielschreibers, der seit Ende der 90er-Jahre beinahe jedes Jahr einen Erzählungsband oder einen Roman veröffentlichte.

    Prinzipiell leuchtet es ein, wenn Schriftsteller Figuren, die schon Konturen angenommen haben, in den folgenden Büchern weiterlaufen lassen. Beim vorliegenden Buch finden sich außerdem zumindest grobe äußere Ähnlichkeiten zwischen Autor und Held; beide sind Lehrer gewesen. Der Martin Kranich aus dem Roman "Hirngespinste" aber hat die Nase voll von der Schule. Er steckt in einer Sinnkrise. Als er hört, wie im Hauptbahnhof eine Frau Schreiber ausgerufen wird, funkt es: Er will Schriftsteller werden, Schreiben kann schließlich jeder.

    Kranichs Roman "Schulgeschichten" wird ein Erfolg, er unternimmt damit viele Lesereisen. Heimtückische Veranstalter verführen den gutgläubigen jungen Mann zum Trinken, aber er macht eine Entziehungskur und schreibt das zweite Buch, eine Satire über Autoren, Verleger, Agenten. Der Verleger lehnt den Text ab: Kranich beschmutze das eigene Nest und der Literaturbetrieb sei kein Thema.

    Markus Orths fiktiver Verleger redet Blödsinn. Natürlich wird der Literaturbetrieb immer wieder zum Thema von Literatur. Dieses Feld ist oft beackert worden. Jack London betrieb in seinem Roman "Martin Eden" eine bittere Abrechnung mit der sogenannten besseren Gesellschaft, die sich erst für einen Autoren interessiert, wenn er berühmt ist. Der Erfolg zählt mehr als die Arbeit. Hermann Kinders Roman "der helle Wahn" ist eine funkelnde, verspielte und dabei analytische Untersuchung der Schriftstellerexistenz. Martin Walser und Bodo Kirchhoff haben sich in ihren Büchern "Tod eines Kritikers" beziehungsweise im "Schundroman" an den Phantasmen und Intrigen des Literaturbetriebs abgearbeitet. Diese Aufzählung ließe sich fortsetzen.

    Markus Orths Held ist kein Großschriftsteller, sondern mehr oder weniger Anfänger, der verzweifelt nach dem Thema für das nächste Buch sucht. Bei den Recherchen für einen historischen Roman versackt er, und so stellt er sich dem Hirnforscher Pfeifer als Versuchskaninchen zur Verfügung. Der soll sein Hirn mittels Magnetstimulation frisieren. Wie im Rausch schreibt Kranich den ersten linkshemisphärischen Roman der Literaturgeschichte: ein sicherlich epochemachendes Werk, das aus einem einzigen Wort besteht, dem Namen Jana. Denn Kranich, dessen Schwester gerade bei ihm eingezogen ist und ein Kind entbunden hat, hat sich in den Säugling Jana verliebt.

    Der bodenständige Alltag als Ersatzvater füllt ihn aus, nebenher schreibt er an einer Satire mit dem Titel "Kinderzimmer". Sein Verleger überschlägt sich vor Begeisterung: ein wunderbarer Text. Nur sei ja nicht von Kindern die Rede. Vielleicht müsse man den Titel ändern. Kranich sei ein Genie. Der Text passe am besten in den künftigen Nachlass, sprich, wenn Kranich Ruhm und Ehre nicht mehr genießen kann. Am Ende der "Hirngespinste" steht sein Held alleine da, die Schwester ist mit dem Säugling ins Ausland abgereist, er selbst ist wohnungs- brot- und buchlos. Er fühlt sich unbeschwert und heiter.

    So soll sich auch der Leser fühlen. "Hirngespinste" ist ein Roman, der wie ein Slapstick funktioniert: groteske Situationskomik, eine bewusst überdrehte Geschwindigkeit und typisierte Figuren. Kranich ist der musterhaft größenwahnsinnige wie kleingeistige Autor; seine Schwester ein aufgeregtes Muttertier; der Verleger winkt mit Zuckerbrot und Peitsche, und Tante Erna, bei der das aufstrebende Genie wohnt, wirkt so, als lege man lauter Tantenbilder übereinander. Slapstick, das ist dem Wortursprung nach die Pritsche des Narren, die viel Lärm erzeugt, und aber weiter keinen Schaden anrichtet.

    In einem Interview erklärte Markus Orths, die "Hirngespinste" seien innerhalb von sechs bis acht Wochen entstanden, das Buch sei aus ihm herausgebrochen. Und als Satire habe es für ihn selbst einen gewissen therapeutischen Wert. Nun kann ein blitzartig geschriebenes Donnerwetter nicht nur auf den Schreibenden, sondern auch auf die Leser befreiend und reinigend wirken. Aber der Autor der "Hirngespinste" hat kein Gewitter losgelassen.

    Das Buch perlt und plätschert etwa so ironisch-selbstironisch vor sich hin wie die Erzählungen Ephraim Kishons: Das Verfahren der Übertreibung, auf das sich Orths verlässt, bleibt ungebrochen; der Text läuft vorhersehbar, wie geschmiert, er kennt keine Ausfälle - Slapstick eben, Klamauk. Der Leser darf sich auf die Schenkel schlagen über Kranich, diesen pflegeleichten Rebell des Literaturbetriebs. All die Stereotypen über die Figur des Autors werden von Orths nicht etwa infrage gestellt, sie werden auf letztlich affirmative Weise inszeniert.

    Auch wenn man nicht unbedingt eine weitere kritische Analyse des schillernden Berufsbildes Schriftsteller erwartet: Selbst der Unterhaltungswert dieses Romans ist begrenzt. Ein Buch für den potenziellen Kundenstamm der als etwas beschränkt angenommenen "jungen Leser" vielleicht? Aber auch die haben, selbst wenn es um leichte Kost geht, Besseres verdient als Junkfood.

    Markus Orths: Hirngespinste
    Schöffling & Co, 160 Seiten, 17,90 Euro