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Klammern, ohne eine ernsthafte Perspektive zu bieten

Eine schon fast gespenstischen Riege alter Männer, das sei das Regime von Ägyptens Präsident Hosni Mubarak, sagt die Islamwissenschaftlerin Gudrun Krämer. Wer eine Alternative sein könne, sei noch ungewiss. Friedensnobelpreisträger Mohammed el Baradei allerdings sei zu wenig im Land verwurzelt.

Gudrun Krämer im Gespräch mit Jasper Barenberg | 31.01.2011
    Jasper Barenberg: 150 Tote bisher in Ägypten, so die Schätzungen, und trotzdem gehen die Menschen in Kairo und anderswo weiter auf die Straße. Präsident Mubarak klammert sich an die Macht, er verspricht Reformen, er verspricht Dialog und lässt gleichzeitig Kampf-Jets im Tiefflug über das Stadtzentrum hinwegdonnern. Der Westen beginnt so langsam, sich vom Autokraten abzurücken und abzuwenden. Welche Zukunft also hat das Regime? – Wir sind jetzt verbunden mit Gudrun Krämer vom Institut für Islamwissenschaften an der Freien Universität in Berlin. Schönen guten Morgen, Frau Krämer.

    Gudrun Krämer: Guten Morgen!

    Barenberg: Sie beschäftigen sich ja immer wieder und seit vielen Jahren schon mit Ägypten. Nach Ihrem Eindruck, ist das Regime von Hosni Mubarak schon am Ende?

    Krämer: Am Ende ist es ganz sicherlich nicht, aber ich sehe nicht so recht, wie mit dieser Riege, einer schon fast gespenstischen Riege alter Männer, die das alte Regime repräsentieren, ein Weg zu mehr Öffnung und Stabilität geschaffen werden sollte. Ich sehe das nur als den verzweifelten Versuch, tatsächlich, wie Sie gerade schon sagten, zu klammern, ohne eine ernsthafte Perspektive zu bieten.

    Barenberg: Wir haben gestern gehört und heute Morgen auch von Kampf-Hubschraubern über dem Zentrum von Kairo, von Kampfjets im Tiefflug über der Innenstadt, das also die eine Antwort auf die Proteste. Die andere das Angebot, Reformen durchzuführen. Wird das Kalkül, mit Zuckerbrot und Peitsche der Lage Herr zu werden, aufgehen?

    Krämer: Das kann man nicht prognostizieren. Ich würde mich jedenfalls dazu nicht in der Lage sehen und ich kenne auch sonst niemand, der hier so mutig wäre. Was man sagen muss, wenn man sich die gestrige Ankündigung anhört derjenigen, die die Wahlen gerade vor kurzem gefälscht haben, die Parlamentswahlen, sie würden nun darüber gewissermaßen Sorge tragen, dass Fälschungen wieder korrigiert würden, das kann natürlich eine aufgebrachte Menschenmenge nicht beruhigen und das ist auch nicht der Weg hin zu Stabilität und Demokratisierung. Also das ist alles unglaubwürdig und ich glaube auch nicht, dass das verfangen wird. Eine gewisse Einschüchterung ist gegeben.

    Gleichzeitig finde ich mit am interessantesten an der derzeitigen Lage das Verhältnis zwischen Armee, so wie sie in den Straßen Kairos aufgestellt ist, auf der einen Seite und der demonstrierenden Bevölkerung auf der anderen. Das ist sicherlich etwas ganz Ungewöhnliches, dass es hier gewissermaßen zu auf der einen Seite Verbrüderungsversuchen, auf der anderen Seite doch großem Stillhalten und Zurückhaltung kommt. Also da bin ich sehr gespannt, wie sich das weiterentwickelt.

    Barenberg: Und liegt das, Frau Krämer, auch daran, dass das Militär, dass die Soldaten einen vergleichsweise guten Ruf genießen, während die Polizei ja vor allem als korrupt gilt, als brutal?

    Krämer: Ganz sicher! Allerdings muss man dazu sagen, dass die ägyptische Armee ja nun auch nicht unbescholten ist, auch dort Korruption, Bereicherung herrschen, eine dichte Verflechtung von Wirtschaft und Militär, und dass das Militär nun die Interessen Ägyptens auch nicht immer nur glorreich verteidigt hat. Aber verglichen mit der Polizei, die unmittelbar mit der Bevölkerung in Kontakt steht, und dieses häufig in negativer Weise, verglichen mit der Polizei hat das Militär dann wohl in der Tat einen besseren Ruf. Aber ich würde hier nicht zu stark eine Unterscheidung treffen, ich würde hier nicht zu stark auf gewissermaßen Schwarz und Weiß setzen.

    Barenberg: Wir wissen ja auf der einen Seite, dass sich die Herrschaft Mubaraks auf das Militär ganz entscheidend stützt. Wir haben auf der anderen Seite – Sie haben es selbst erwähnt – Bilder gesehen in den letzten Tagen von Panzern in den Straßen von Kairo, die überrannt werden von den Demonstranten, von Soldaten, die gar nicht den Weg verwehren den Demonstranten, voranzukommen. Was ist Ihre Einschätzung, wie wird sich das Militär verhalten in den nächsten Tagen und wovon hängt das überhaupt ab?

    Krämer: Ich denke, dass in den führenden Rängen des Militärs genauso tastend geprüft wird, wie das im Ausland auch der Fall ist, also die Frage gestellt wird, ob nicht doch in der Opposition und dann in Abstimmung mit internationalen Kräften, namentlich natürlich den Vereinigten Staaten von Amerika, eine Alternative zu Hosni Mubarak besteht, der eine Belastung ist in der augenblicklichen Situation, der meines Erachtens nicht haltbar ist, und wie dieses Tasten ausgeht, vermag ich jetzt auch nicht anzugeben, aber ich denke, dass hier keine Nibelungentreue erwartet werden darf.

    Barenberg: Hier im Westen setzt man ja große Hoffnungen auf Mohammed el Baradei, den Friedensnobelpreisträger, den ehemaligen Chef der Internationalen Atomenergiebehörde in Wien. Er setzt sich vor Ort über den Hausarrest hinweg, er stellt sich zu den Demonstrierenden, er bietet an, sogar etwas wie der Kopf der Protestbewegung zu sein. Kann er diese Rolle überhaupt ausfüllen?

    Krämer: Nun, er kann es insofern nicht, als er nicht über Jahre jetzt in Ägypten gelebt hat und dort seine Kontakte hat, glaubwürdig ist im Lande selber als ein Oppositionsvertreter. Gleichzeitig hat er international und deswegen auch zu einem gewissen Grad in Ägypten Reputation. Wenn es nun in Ägypten so etwas gäbe wie ein repräsentatives Staatsoberhaupt, dann wäre er dafür vielleicht prädestiniert. Das gibt es aber in Ägypten nicht und von daher, denke ich, wird er im Moment in Abwesenheit anderer glaubwürdiger profilierter Inlandspersonen gewissermaßen eine Rolle einnehmen, die er sonst nicht haben könnte. Aber wie er sich da im einzelnen nun positionieren wird, ist in der augenblicklichen Lage nicht zu sagen. Er bietet sich an und er hat eine gewisse Glaubwürdigkeit, lokal wie international.

    Barenberg: Und die Frage ist auch, wie die verschiedenen Menschen und die verschiedenen Gruppen, die jetzt auf die Straßen gehen, darauf reagieren, denn immer wieder ist ja zu hören, so etwas wie eine geschlossene Opposition oder eine differenzierte Opposition gibt es gar nicht dank der Unterdrückung des Regimes.

    Krämer: Es gibt Oppositionsgruppen, es gibt zivilgesellschaftliche Gruppen, es gibt auch Personen, die sich über Jahre profiliert haben als Kritiker des Regimes, aber die sind in der Tat sehr entschieden und hartnäckig verfolgt worden. Niemand hat es vermocht, jenseits bestimmter religiöser Kreise sich als Opposition fest eine Basis zu schaffen, und zwar nicht nur in den großen Städten, sondern dann auch auf dem Land. Insofern ist es richtig, dass wir hier eine vielleicht auch aufgesplitterte Szene vor uns haben, aber dennoch denke ich, in der augenblicklichen Lage kann es sein, dass sich da noch Personen in den Vordergrund schieben. Es ist aber tatsächlich ein Volksaufstand, wie er im Bilderbuch steht, ohne eine steuernde einzelne politische Kraft.

    Barenberg: Diese politische Kraft, man hätte sie vielleicht erwartet auf Seiten der Muslimbruderschaft, der wohl größten Oppositionsbewegung im Land. Warum war bisher von den Muslimbrüdern noch nicht so arg viel zu hören oder zu sehen?

    Krämer: Das ist in der Tat, ich würde nicht sagen, ein Rätsel, aber doch ein Phänomen. Zunächst ist zu sagen, dass auch in vergleichbaren Fällen, wenn wir zum Beispiel an die Intifada in Palästina zurückdenken, Palästina und Israel, es nicht so ist, dass hinter jedem Volksaufbegehren, hinter jedem Volksaufstand eine islamistische Partei steht. Das war dort nicht der Fall, es ist in Ägypten nicht der Fall. Die Muslimbruderschaft ist zwar nach allem, was man weiß, vergleichsweise gut organisiert, aber unter schärfster Beobachtung und sie ist ganz offenkundig nicht diejenige Kraft, die hier das Volk auf die Straßen gebracht hat und dem Volk gewissermaßen das Ziel vorgibt oder auch nur die Slogans. Sie ist ganz unauffällig, sie hat sich zögernd jetzt solidarisch erklärt mit der Bewegung, ist aber in keiner Weise auffällig oder wie gesagt steuernd erkennbar, und das, finde ich, muss man doch sehr aufmerksam registrieren, auch bei der Bewertung der weiteren Entwicklung, und ich würde jedem auch deutschem Politiker raten, Abstand zu nehmen von Warnungen, die darauf hinauslaufen, dass aus einem Volksaufstand in einem islamisch geprägten Land automatisch die Machtübernahme radikaler Islamisten folgt.

    Barenberg: Genau das, Frau Krämer, haben wir vorhin im Gespräch mit dem Bundesaußenminister, mit Guido Westerwelle ja gehört. Diese Ablehnung ist also nicht gerechtfertigt? Oder auf der anderen Seite anders ausgedrückt: Die Muslimbrüder, sie könnten bereit sein, sich am demokratischen Prozess zu beteiligen?

    Krämer: Die Muslimbrüder sind in Ägypten keine radikale Kraft, auch wenn sie heute in gewissen Ländern als solche bezeichnet werden. Sie sind keine radikale Kraft, wenn man unter einer radikalen Kraft eine bezeichnet, die A einen tiefgreifenden Wandel in den politischen, vor allem aber auch den wirtschaftlichen Verhältnissen befürwortet, und die einen Konfrontationskurs gegenüber dem Westen und Israel befürwortet. Nun muss man das ein bisschen differenzieren. Die Muslimbruderschaft will einen politischen Wandel, sie will ökonomisch eine bessere Verteilung der Reichtümer, aber sie will keinen grundlegenden Wandel des ökonomischen Systems. Gegenüber dem Westen ist sie sehr zurückhaltend und dennoch haben wir anderswo in der islamischen Welt islamistische Kräfte, die sehr gut mit den Amerikanern zusammenarbeiten können und auch mit Europa. Sie sind scharf kritisch gegenüber Israel, das ist unbestreitbar, was aber noch lange nicht heißt, dass eine Regierung - nehmen wir mal hypothetisch an, die augenblickliche würde stürzen -, an der auch Muslimbrüder beteiligt sind, nun sofort den Dschihad gegen Israel ausrufen würde. Da wäre ich doch äußerst zurückhaltend und würde mir vielleicht mal anschauen, wie tatsächlich durchgehend islamische, wenn nicht gar islamistische Regime im Nahen Osten wie etwa Saudi-Arabien sich gegenüber Israel verhalten.

    Barenberg: Und das werden wir auch sehr genau beobachten und mit Ihrer Hilfe einordnen. Vielen Dank für den Moment an Gudrun Krämer vom Institut für Islamwissenschaften an der Freien Universität Berlin. Danke für das Gespräch.

    Krämer: Gerne!
    Mohamed El Baradei (Mitte,sitzend) wird von anderen Protestierenden vor den Freitagsgebeten in Kairo begrüßt.
    Mohamed El Baradei (Mitte,sitzend) wird von anderen Protestierenden vor den Freitagsgebeten in Kairo begrüßt. (AP)