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Klangfarben der Wirtschaft - Teil 1

Statt eine Gitarre, Geige oder ein Saxofon in die Hand zu nehmen, einfach den Computer nutzen. Dieses Konzept verfolgt die Berliner Firma Native Instruments - mit Erfolg. Keine großen Popstars und Musikproduzenten können mehr auf ihre Software verzichten.

Von Marén Balkow | 12.03.2010
    "Klänge wie diese oder diese, jene und auch solche ... "

    ... wurden auf ein und demselben Instrument gespielt - dem Computer. Mit Software-Instrumenten von Native Instruments. Elektronische Keyboards und Synthesizer im Rechner zu simulieren, das war 1996 die revolutionäre Idee eines Vier-Mann-Startups in einem Berliner Wohnzimmer. 14 Jahre später ist die Native Instruments GmbH der führende Anbieter von Software-Instrumenten weltweit.

    "Was Native Instruments heute macht, ist ja ein ganz breites Portfolio an Instrumenten, die wir alle in den Computer reinholen, das haben sie alle gemeinsam. Aber da sind auch ganz normale Steinway-Piano-Emulationen dabei oder eine Orgel-Emulation oder ein Marshall-Amplifier."

    "Der Computer gibt mir Möglichkeiten, die ich vorher nicht haben konnte. Insofern vereint es einen Jazzer oder Avantgardemusiker mit einem Elektromusiker, weil man auf der Suche nach neuen Klängen war, und das war der Anfang von Native Instruments."

    Daniel Haver, 42, Ex-Grafikdesigner und Mate Galic, 34, ehemals DJ und Viva-Moderator, sind die Geschäftsführer von Native Instruments. Ihr Unternehmen ist in den letzten Jahren so schnell gewachsen, dass es in seinem Kreuzberger Hinterhof schnell keinen zusammenhängenden Raum mehr fand. Mittlerweile sind die Geschäftsräume über zwei Höfe auf acht Etagen in modernen Bürolofts verteilt. Die 160 Mitarbeiter sind jung, größtenteils männlich und sagen "Du". Sie entwerfen, programmieren und vertreiben digitale Sampler, Synthesizer und Audioeffekte, die "Kontakt", "Massive" und "Maschine" heißen; oder "Guitar Rig". Eine Software, die den spezifischen Sound der wichtigsten Gitarrenverstärker im Computer simuliert.

    Patrick Arp, Leiter der Guitar Division, hat eine E-Gitarre auf dem Schoß, er wählt einen Verstärker namens "Tweedman" - per Mausklick am PC:

    "Ich zeig hier mal einen Klang, das ist ein klassischer Verstärker für Blues oder Country, und ich kann aber auch umschalten auf einen anderen Klang, da kann ich hier einfach aufs Fußpedal treten und dann krieg ich zum Beispiel ein bisschen Brett oder auch ganz experimentelle Klänge. Ist also alles möglich, man hat das ganze Arsenal der Geschichte der Gitarreneffekte hier drin zur Verfügung."

    Wer den Unterschied zum Original erkennen will, braucht schon ein Messgerät, sagt Arp. Und der Vorteil für den Musiker liege auf der Hand; er braucht keinen Lkw auf Tour für die vielen schweren Verstärker. Er kann sich ein Programm installieren, das 200 Euro kostet - ein Bruchteil des Wertes der Originalgeräte.

    Was verrückt klingt, hat sich durchgesetzt: Spätestens 2001 hatten Musiker und Produzenten Softwareinstrumente endgültig akzeptiert. 2002 gründete Native Instruments seine Niederlassung in den USA. Dort machen sie heute 20 Prozent ihres Umsatzes.

    "Wir sind tatsächlich mit Abstand die Nummer eins in der Welt. Also, da sind wir und dann passiert eine ganze Weile nichts."

    "Also ich würde sagen, wir sind so breit aufgestellt, jeder Zweite benutzt unser Zeug. Madonnas Produzent benutzt unser Zeug! Das klingt jetzt vielleicht ein bisschen überheblich, aber man gewöhnt sich auch an den Gedanken, dass man eigentlich irgendwie immer dabei ist. Um Native Instruments kommt man in keinem Genre mehr drum herum."

    Und die Krise? Nur ein kleiner Einbruch auf dem US-Markt. Längst überwunden.

    "Wir waren vielleicht sogar Profiteur der Krise. In der Branche selber gibt es durchaus Umsatzrückgänge von fünf bis 20 Prozent, je nach Wettbewerber. Aber für uns war es ein gigantisches Wachstumsjahr, wir haben 50 Prozent zugelegt. Es ist unser mit Abstand bestes Jahr in der Geschichte. Auch profitabilitätsseitig war 2009 schlicht fantastisch für uns."

    Das hat die Firma geschafft, weil sie vor der Wirtschaftskrise ihre Hausaufgaben machte, sagt Daniel Haver. Und Effizienz in den Mittelpunkt rückte, wo Innovation und Wachstum jahrelang Priorität hatten. Neue Produkte zum richtigen Zeitpunkt spielten auch eine wichtige Rolle. Native Instruments baute das DJ-Segment aus. Und hat diesen Markt komplett umgekrempelt. Statt Vinyl und herkömmlichen Plattenspielern steht mit dem Programm "Traktor" nun der Laptop im Zentrum des DJ-Pults - mit zwei virtuellen Decks und einem Mixer auf dem Bildschirm.

    Auch hat der Softwarehersteller das Hardwaregeschäft entdeckt und setzt jetzt auf ganzheitliche Lösungen. Controller, Pedale oder Drumpads, mit denen der Musiker die Software steuert. Und natürlich kommt in diesem Jahr auch eine App fürs iPhone.

    "In 2010 erwarten wir auch ein Wachstum von 25 bis 30 Prozent. Aber da wir die entscheidenden Produkte erst zum Weihnachtsgeschäft bringen, sind die ganz großen Umsätze erst 2011 zu erwarten. Also da werden wir noch einen ganz großen Sprung machen.”"

    Heute sind es Software-Instrumente, die die Produktion zeitgenössischer Musikgenres prägen. Und längst kommt nicht alles, was für Musiker technologisch wichtig ist, nur aus den USA oder Japan. Auch die Produkte dieses Berliner Mittelständlers haben das Musikmachen dramatisch verändert. Und ihr Potenzial ist längst nicht ausgereizt:

    ""Heute bedienen wir so ziemlich jeden Musiker, den man sich so vorstellen kann mit irgendeiner Art von Produkt. Und dadurch haben wir einen extrem großen Markt adressiert. Wir haben eben Menschen, die mit Gitarre und Bass auftreten, wir haben Menschen, die in Klubs stehen oder diese Sachen mischen, als auch all diese Produzenten, die, ob sie nun Filmmusik machen, Rockmusik bis hin zu der totalen Avantgarde. ”"

    ""Und vielleicht sogar, was ist die größte Veränderung? Dass wir Musikinstrumente in die Hände von Menschen gebracht haben, die sonst nie ein Instrument spielen würden, sodass diese Leute, die jetzt kein irres Einkommen haben, es sich leisten können, Musik zu machen."

    Das Unternehmen Native Instruments