Freitag, 19. April 2024

Archiv

Klangwelten mit Geschichte (1)
Wo alte Mikrofone wieder aufleben

Andreas Grosser ist der Mikrofonpapst: Der passionierter Bastler restauriert mit seinem kleinen Team alte Röhrenmikrofone und bringt die legendären Geräte wieder zum Klingen. Denn er weiß: Mit dem richtigen Mikro singen Sänger einfach besser.

Von Ralf bei der Kellen | 10.07.2015
    Ein Mikrofon
    Singt sich besser: klassische Mikrofone (Imago / McPHOTO)
    "So ein Sänger kommt rein oder eine Sängerin, und die hat immer davon gehört, dass es eben das U47 gibt, das soll so toll sein oder 'die alte Flasche'. Und dann singen sie, und Sie werden's nicht glauben - die singen besser. Sie können denen auch so kleine Stecknadeln hinstellen, es gibt ja ganz kleine Mikrofone, die wahrscheinlich auch gut funktionieren würden, aber dann fühlt sich der Sänger nicht wohl."
    Dass sein Geschäftsmodell nicht ausschließlich auf den Gesetzen der Physik und deren Anwendung basiert, weiß Andreas Grosser nur zu gut. Die von ihm restaurierten Mikrofone genießen seit langem einen guten Ruf: Barbra Streisand betritt kein Studio, in dem nicht ein Neumann M49 steht, und Frank Sinatra erklärte das U87 zu seinem Lieblingsmikrofon; auch die Beatles nahmen überwiegend mit "Neumännern" auf.
    Es sind große Mikrofone auf Ständern mit voluminösen Drahtkörben; ältere Modelle sehen aus wie Flaschen, in die man oben einen drahtüberzogenen Lutscher gesteckt hat. Seit über drei Jahrzehnten beschäftigt sich Grosser professionell mit Studiotechnik, vor allem mit Mikrofonen. Seit 1984 betreibt er eine eigene Firma, der er sich seit 1990 ausschließlich widmet.
    "Andreas Grosser, Elektronik-Service. No, Joachim, I give you Joachim, one moment ..."
    1956 in Berlin-Kaulsdorf geboren, baut er bereits als Kind Steckdosenleisten für das Fotolabor des Großvaters, später auch eigene Verstärker. Der junge Andreas ist ein passionierter Bastler. Allerdings nicht immer zur Freude seiner Eltern, erzählt er: "Die haben mir damals noch ein kabelferngesteuertes Auto geschenkt. Damit habe ich dann zwei, drei Stunden gespielt. Dann habe ich den Wagen zerlegt, und festgestellt: Da ist ein Motor drin. Und dieser Motor hat mich viel mehr fasziniert als dieses Auto. Weil mit diesem Motor konnte ich einen kleinen Ventilator bauen, da konnte ich was anderes machen. Mich hat das ganz glücklich gemacht, nachdem ich diese Teile endlich rausgekriegt hatte, die da drin sind, mit denen zu arbeiten."
    Sein erstes Mikrofon sieht er im Alter von 14 Jahren im Radiosender seiner Schule. Später hilft er Bands beim Aufbau ihrer Anlage und lernt so die verschiedenen Mikrofontypen kennen. 1980 reist die Familie nach West-Berlin aus. Hier arbeitet Grosser zunächst für die Firma Telefunken. Aber, ihm, den Tüftler und Bastler, behagt das Klima im Großbetrieb nicht.
    Die sechs Mitarbeiter, die er um sich geschart hat, könnten unterschiedlicher kaum sein. Sie alle sitzen im zweiten Obergeschoss eines Neubaus, meistens zu zweit an gegenüberliegenden Werkbänken und blicken in eine Siedlung mit Einfamilienhäusern kurz hinter der Stadtgrenze Berlins.
    "Oh Gott, ich hab schon ziemlich viel gemacht, Friseur, Verkauf, Kosmetik, alles so durch die Bank weg, aber alles was mit Handwerk. Also bin ich jetzt hier hängengeblieben", erklärt Claudia Suhr. Bei Andreas Grosser lötet sie Netzteile, die in den größten und bekanntesten Studios der Welt stehen.
    Im Raum nebenan steht an einer kleinen Uhrmacherdrehbank der 72 Jahre alte Detlef Mirow. Firmenchef Grosser deutet auf ihn. "Das ist natürlich eine tolle Geschichte. Ich habe mir den Herren gegriffen", erzählt er. "Ich konnte es nicht zulassen. Er hat nämlich 50 Jahre bei der Firma Neumann gearbeitet. Ich habe dann herausgefunden, dass er in Rente ist und habe ihn dann bei einer Weihnachtsfeier überredet, stundenweise für spezielle Sachen zu mir zu kommen."
    Detlef Mirow hatte nichts dagegen: "Meine Frau freut sich, dass ich auch mal einen Tag wieder außer Haus bin. Man muss wieder anfangen zu überlegen. Und man rostet nicht ein. So zwei, drei Stunden ist das ganz schön und dann macht das auch Spaß."
    So viel Fachwissen begeistert wiederum jüngere Mitarbeiter wie Joachim Teske. Der 44-Jährige, der sich um Warenannahme und Warenausgang kümmert, kam direkt aus der Arbeitslosigkeit zu Grosser. Als letzter aktive Musiker des Teams testet er die restaurierten Mikrofone als Praktiker, bevor sie den Betrieb verlassen. In seinem Büro stapeln sich die eingeschickten Mikrofone.
    Andreas Grosser blickt über die Pakete: "Das kommt aus der ganzen Welt. Ich habe hier Frankreich, Spanien, Norwegen, England, Kanada, ich hab' hier Australien, Russland. Wir haben also fast mehr Kunden außerhalb von Deutschland als in Deutschland."
    In einem weiteren Raum testet Eberhard Dux ein Röhrenmikrofon aus den 50er-Jahren: Dux ist Diplom-Ingenieur, als Filmtonmeister hat er 25 Jahre lang in Produktion und Postproduktion gearbeitet: "Entweder es knallt, oder es knallt nicht. Bitte Abstand halten!"
    Knapp eine halbe Million Euro Umsatz hat Grosser mit seinem Betrieb im letzten Jahr gemacht. Und das bei einem Ein-Mann-Betrieb mit fünf freien Mitarbeitern und einer Teilzeitangestellten. Seine mittlerweile weltweite Bekanntheit gründet sich fast ausschließlich auf Mundpropaganda.
    Meistens sind es die Techniker oder Betreiber großer Studios, die sich bei Andreas Grosser melden. Persönliche Begegnungen mit prominenten Benutzern gibt es nur selten - aber dennoch, erinnert Grosser sich: "Beim Olympiastadion, wo die Stones da waren, war ich in der VIP-Lounge. Da kommt dann auch Mick Jagger mal rein, und da wird dann gesagt: Das ist der Mann mit den Mikrofonen. Toll, da wird einem die Hand gegeben, drei vier Worte gewechselt oder Sätze. Genau wie mit Keith Richards. Aber das war's dann auch. Man wird mit den Leuten da nicht irgendwie rumhängen und gemeinsam Mikrofone testen."
    Das macht aber nichts. Denn Andreas Grosser weiß auch so, dass die stärkste Stimme, der glanzvollste Auftritt nur halb so viel wert ist ohne seine Mikrofone.