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Klangwelten mit Geschichte (2)
Schatzsucher im Schellack-Reich

Schellack-Platten sind die Leidenschaft von Andreas Schmauder. Der Musikliebhaber hat aus seinem Hobby die Firma Phonopassion gemacht und verfügt nun über Europas wohl größtes Schelllackplatten-Antiquariat.

Von David Siebert | 17.07.2015
    Eine Schellack-Platte der Firma Electrola mit dem Lied "Adieu mein kleiner Gardeoffizier" (Robert Stolz, gesungen von Liane Haid, 78 Umdrehungen) wird auf einem trichterlosen Grammophon aus den 1920er-Jahren abgespielt
    Eine Schellack-Platte der Firma Electrola mit dem Lied "Adieu mein kleiner Gardeoffizier" (Robert Stolz, gesungen von Liane Haid, 78 Umdrehungen) wird auf einem trichterlosen Grammophon aus den 1920er-Jahren abgespielt (picture alliance / dpa / Peter Zimmermann)
    Das Straßendorf Bohrer im Südschwarzwald, am Fuß des Schauinslands bei Freiburg gelegen. Am rauschenden Bach am Ortseingang steht ein dreistöckiger, gelb-getünchter prächtiger Villenbau: Der Friedrichshof, erbaut 1896, ein ehemaliges Hotel. Heute beherbergt der Friedrichshof Europas wohl größtes Antiquariat für Schellackplatten. "Hallo, kommen Sie rein! Es ist vor allem noch viel Chaos," ertönt es zu Klängen aus der Dreigroschenoper. Der Refrain: "In einer längst vergangenen Zeit."
    Von den Stuckdecken baumeln Jugendstil-Leuchter und bunte Schallplatten. An den Wänden: alte Musikplakate, Blechschilder und endlose Regalreihen, vollgepackt mit Schellackplatten: "Wir haben ja mal mit 20.000 Platten angefangen vor 15 Jahren. Und dann hatten wir irgendwann mal 100.000 Platten, dann sind die Regale ganz schnell voll," erklärt Andreas Schmauder seine Chaos-Beschreibung. Sein Schellack-Antiquariat umfasst die verschiedensten Genres, zählt er auf: "Hier habe ich Jazzplatten stehen, europäischen Jazz, amerikanischen Jazz, deutsche Tanzmusik, alphabetisch durchsortiert, dann Kleinkunst, Rock 'n' Roll, was auch immer, außer klassische Platten, die habe ich in einem Außenlager draußen in Merdingen."
    Es begann alles mit dem Jazz
    Mit buntem Hawaii-Hemd, weißer Leinenhose und glänzend-braunen Lacklederschuhen erinnert der Antiquar ein bisschen an eine Figur aus den 1920er-Jahren. Mit der Musik der Roaring Twenties, dem Jazz, begann auch Schmauders Leidenschaft für Schellackplatten. "Ich bin eigentlich Jazzsammler, ich sammele europäischen Jazz. Ich habe Mitte der 80er-Jahre angefangen, Platten zu sammeln, und in den 90er-Jahren war ich in fast ganz Europa unterwegs, um eben europäische Jazzplatten zu suchen", erzählt Schmauder.
    Mit dem VW-Bus klapperte er damals Flohmärkte und Antiquitätengeschäfte von Portugal bis Schweden ab. Dabei lernte er viele andere Schellack-Sammler und -Händler kennen und merkte rasch, dass es einen Markt für die alten Tonträger gibt: "Dann habe ich die Archäologie - ich bin ja von der Ausbildung her Archäologe - an den Nagel gehängt und hab gesagt, wir versuchen mal das ganze vom Kopf auf die Füße zu stellen und das mal tatsächlich professionell zu betreiben. Jetzt läuft es ja immerhin schon seit 15 Jahren und es läuft!"
    Im zweiten Stockwerk des Friedrichshofs wohnt Schmauder mit seinem Sohn und seiner Frau, die ebenso im Antiquariat angestellt ist, wie auch sein Bruder und einige Aushilfskräfte. In der Wohnung hat er einen eigenen Raum hat er für seine Grammophon-Sammlung reserviert: Kunstvoll verzierte Stand- und Tischmodelle und tragbare Koffergrammophone - mit metallenen Schalltrichtern in allen Größen und Aufziehkurbeln. Schmauder bringt einige Schellack-Schätze zu Gehör: "Das ist aus der Dreigroschenoper, die 'Zuhälterballade', Lotte Lenya. Beim Grammophon muss man nach jedem Musikstück die Nadel wechseln."
    In die Rille geritzt
    Die alte "Zuhälterballade" erklingt. Schmauder gerät ins Schwärmen: "Die Dynamik, die in einer Schellackplatte sitzt, ist unglaublich. Man muss sich ja vorstellen: Hier steht das Orchester, hier steht der Sänger, hier wird die Platte geritzt, diese Information eingeritzt, und ich stehe da und nehme die wieder direkt raus aus der Rille."
    Erfunden wurde das Grammophon 1887 von dem Deutschen Emil Berliner. Eine Technologie, die die Musikwelt revolutionierte: Erstmals konnte damit Musik daheim gehört und massenhaft vertrieben werden. Einer der ersten großen Verkaufsschlager: der italienische Opernstar Caruso. Schmauder legt eine Platte auf: "Caruso war eben der erste bedeutende Opernsänger, dessen Platten auch wirklich vom technischen her gut waren, die gut klangen, und er hat der Platte eigentlich zum Durchbruch verholfen."
    Mittlerweile umfasst Schmauders Antiquariat einen Bestand von 200.000 Schellackplatten. So viel, dass er das Kellergeschoss ausbauen musste, um neuen Lagerplatz zu schaffen.
    Versandhandel spielt die Hauptrolle
    Nur knapp ein Prozent des Verkaufs läuft vor Ort, der Rest über Versandhandel und Internet. Schmauders Kunden kommen aus der ganzen Welt: "Es gibt Musikwissenschaftler, die für irgendetwas Bestimmtes eine Aufnahme brauchen. Es gibt natürlich auch Archive, die bei mir einkaufen. Wenn jemand sagt, zum Beispiel - es gab eine Kunstgattung, das war der Kunstpfeifer: Ich sammele nun alle Platten von den Kunstpfeiffern, dann kann der innerhalb von vier, fünf, sechs Jahren eine ganz tolle Sammlung aufbauen. Vielleicht die beste Kunstpfeiffersammlung der Welt."
    Schmauder lässt ein paar Kunstpfeifer erklingen und führt voller Begeisterung aus: "Man kann wahnsinnig spannende Sammlungen zusammentragen, für relativ kleines Geld, wenn man nicht Mainstream sammelt. Sie können zu mir kommen und 100 Platten für 20 Euro kaufen, die ganze Kiste voll, das sind die Dinge, die ich die Garage stelle. Aber es gibt durchaus Platten, die im Bereich 30.- bis 40.000 Euro gehandelt werden. Das sind dann quasi die Mona-Lisas im Schellackbereich."
    Immer wieder gräbt der ehemalige Archäologe bei seiner Arbeit auch wahre Schellackplatten-Perlen aus. Zum Beispiel eine bisher unveröffentlichte Testpressung von Django Reinhardt. Die lässt er nun ertönen, auch zur eigenen Freude: "Ich fand im Endeffekt die Schellackplatten viel spannender als die Archäologie. Dieses Schatzsucher-Gen wird hier viel mehr stimuliert als in der Archäologie."