Mittwoch, 24. April 2024

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Klangwelten
Von solistischer Klaviermusik bis Kammermusik

Unterschiedlicher könnten diese Klangwelten nicht sein: Solistische Klaviermusik und Kammermusik in unterschiedlicher Besetzung. Das sich eine Begegnung mit beiden Spielarten lohnt, beweisen zwei neue CDs, die kürzlich beim Label NEOS erschienen sind.

Moderation: Yvonne Petitpierre | 16.02.2014
    Zunächst geht es Klavierkompositionen des Italieners Salvatore Sciarrino vor. Seine emotional aufgeladene, von strengen Strukturen befreite und vielschichtig inspirierte Musiksprache entzieht sich jeglicher verbindlichen Kategorisierung oder ästhetischen Zuordnung.
    1947 in Palermo geboren, beginnt der Sizilianer seine Komponistenlaufbahn als Autodidakt in sehr jungen Jahren und schreibt dazu, dass er: "ganz von vorne beginnen musste, er musste sich den Umgang mit den Instrumenten mithilfe einer unberührten Hand und eines jungfräulichen Ohrs auf der Grundlage eines Experiments zwischen Primitivismus, Ordnung und Futurismus" erschließen. Wegen ihrer eigenwilligen Klanglichkeit zwischen Ton und Geräusch sowie einer, auf Transparenz setzenden Gestaltung präsentiert sich sein umfangreiches Schaffen als vielschichtiger Kosmos, der in unterschiedlichsten historischen und inhaltlichen Perspektiven wurzelt.
    Darüber hinaus ist Sciarrinos musikalische Welt inspiriert von der griechischen Antike, Philosophie und Naturwissenschaft. Sein kompositorisches Vokabular bedient sich oft subtil anmutender Geräuschklänge, Flageolettöne und Mikrointervalle. Auch zielt die kompositorische Gestaltung zumeist auf eine Auflösung starrer Muster. Seine musikalische Welt hinterlässt Momente der Eindringlichkeit und Magie. Sciarrino selbst hält einmal in einer biografischen Notiz fest, "ich habe meine Musik der Banalität meiner Geschichte und meines Gesichts entgegengesetzt."
    Die vorliegende CD vereint fünf Kompositionen für Klavier solo, die fast ausnahmslos in den 1990er-Jahren entstanden sind und hiermit in einer äußerst feinnervigen Interpretation durch den Pianisten Florian Hoelscher vorliegen. Das älteste Werk auf dieser aktuellen CD, die virtuose Klaviersonate No. 1, stammt aus dem Jahr 1976 und entfaltet klangliche Linien, die ein permanentes aufmerksames Hören einfordern.
    Musik:
    Salvatore Sciarrino: I Sonata
    Florian Hoelscher, Piano
    Track 5 (22.29, davon 2.01)
    NEOS CD 11124,LC 15673
    EAN : 4260063111242
    1970 geboren studierte er unter anderem bei Robert Levin und Pierre Laurent Aimard. Nach frühen Wettbewerbserfolgen entwickelt Hoelscher eine ausgedehnte Konzerttätigkeit in Europa und den USA. Er ist Gründungsmitglied des Stuttgarter Ensembles "ascolta" und gastiert damit bei zahlreichen bedeutenden Festivals für zeitgenössische Musik. Derzeit lehrt er als Professor für Klavier und Kammermusik an der Hochschule Luzern. Seine, ebenfalls bei NEOS erschienen CD mit Werken von Jonathan Harvey wurde mit dem Diapason d'Or ausgezeichnet.
    Mit seinen Klavierwerken kreiert Salvatore Sciarrino transparente wie nebulöse Klangräume, die sich nicht nur aus dynamischen Konfrontationen speisen, sondern ihre Kraft weitgehend in Momenten der Stille entwickeln, und sich dann Raum schaffen. All das zeichnet den akustischen Zauber seiner Klänge, die so oft zum Träumen verführen und Rätsel im Verborgenen aufgeben.
    Die beiden miniaturartigen Notturni Nr. 1 und 3 aus dem Jahr 1998 beschwören, so ist es dem poetischen, aber sehr komplexen Booklet Text zu entnehmen, nicht den "wärmenden Trost herauf, den man so gern assoziiert mit lunar erleuchteten Sommeridyllen unter dem abendlichen Firmament". Vielmehr werden Gesten des Klaustrophobischen erzeugt. Das Verhältnis von Klang und Zeit gewinnt hier eigene feinnervige Dimensionen.
    Musik: Salvatore Sciarrino: Notturno Nr. 1Florian Hoelscher, PianoTrack 1 (2.04)NEOS CD 11124, LC 15673EAN: 4260063111242
    Sciarrinos musikalische Dramaturgie lebt auch aus einem reichhaltigen Fundus an Bilderwelten, die er bereits in seiner frühen Jugend als Maler entwickelt hat. Die Bildende Kunst hat immer wieder seine kompositorischen Arbeiten inspiriert, die ins "Hier und Jetzt gebannt scheint als Echo verborgener Mysterienspiele", so notiert Helmut Rohm im CD begleitenden Text.
    "Perduto in una città d'aqua", also "verloren in einer Stadt des Wassers" entführt in ozeanische Welten und spielt mit zarten Bewegungsabläufen. Ein schwebender Klangraum spannt sich ziellos in kleinen Bewegungen und entfaltet Raum für Fantasie, "als schwebe man, der Zeit enthoben, irgendwo zwischen ewiger Nacht und dem Schimmer sphärisch gedämpfter Lichter in aquamarinen Welten". Florian Hoelscher gelingt eine sehr sinnliche wie berührende Lesart.
    Musik:Salvatore Sciarrino: Perduto in una città d'aqueFlorian Hoelscher, PianoTrack 4 (8.45, davon 0.59 )NEOS CD 11124, LC 15673EAN: 4260063111242
    Der Blick fällt jetzt auf die zweite CD, und erneut auf eine sehr individuelle Musiksprache, die sich ebenfalls einer musikästhetisch verbindlichen Zuordnung weitgehend verweigert, aber eigentlich auf die Qualität des unmittelbaren Erlebens setzt, auch weil der improvisatorische Konzertcharakter auf dieser CD über eine gute Stunde lang dominant bleibt.
    Eine Art Werkschau, die den kompositorischen Zeitraum zwischen 1976 und 2012 umspannt, gilt Hermann Keller und seiner unter dem Titel "Solo, Duo and Trio Improvisations" erschienenen CD. Keller, der 1945 in Sachsen-Anhalt geboren wurde, bewegt sich in sehr unterschiedlichen Musikwelten. Gehörte er zu den bekanntesten Improvisationskünstlern der ehemaligen DDR, so hat er auch eine akademische Ausbildung als Komponist und dementsprechend vielgestaltig präsentiert sich seine Klangästhetik. Die, hier vorgestellten Werke bieten ein äußerst anspruchsvolles Hörabenteuer, das sich allerdings nicht gerade en passant zu hören empfiehlt.
    Hermann Keller, über dem das selbst geprägte künstlerische Selbstverständnis "Harmonie ist das Ausschreiten der Grenzen" schwebt, bewegt sich mit seinen Arbeiten bevorzugt zwischen Komposition und Improvisation, die nach Aussagen Kellers "ihren Sinn am besten durch ungefilterte Kommunikation erfüllen".
    Musik:Hermann Keller: "Berührung 1”Hermann Keller, Antje MesserschmidtTrack 3 (11.00, davon 1.32)NEOS CD 11313EAN: 4260063113130
    Die Lust am Improvisieren steht hier spürbar im Mittelpunkt, ebenso die Notwendigkeit kommunikativer Vertrautheit der Musiker untereinander, um virtuose Klangbilder zu erzeugen.
    Beim Hören der vorliegenden Einspielung wird deutlich, dass Kellers Musik weitgehend auf die Kraft des Performativen im musikalischen Geschehen setzt. Im Vordergrund steht das Aufbrechen, sobald sich ein musikalisches Element zu etablieren droht und so bleiben vielfach Momente klanglicher Exzesse und sprunghafter Kontraste.
    Doch bei allen improvisatorischen Techniken lassen sich auch subtil konstruierte Klänge erleben, wie beispielsweise in "molto secco". Immer wieder werden repetitive Momente unterbrochen, variiert oder verschoben. Hermann Keller ist auch Pianist und hat eine Vorliebe für präpariertes Klavier entwickelt, das vor allem seinen, aus Improvisation lebenden Klangkosmos bereichert.
    Musik:Hermann Keller: "molto secco”Hermann Keller, Antje Messerschmidt, Dietrich PetzoldTrack 7(8.05, davon 1.43)NEOS CD 11313EAN: 4260063113130
    Als jüngstes Stück auf dieser CD ist das Werk "33 Jahre später" für Gitarre und Klavier zu erleben. Der Titel spielt darauf an, wie der Gitarrist Uwe Kropinski erstmals nach 33 Jahren Trennung wieder auf Hermann Keller trifft und unmittelbar ein blindes und geistreiches Musizieren zwischen beiden Künstlern wiederbelebt wird.
    Musik:Hermann Keller: " 33 Jahre später ”Hermann Keller, Uwe KropinskiTrack 8(5.45), davon (2.02)NEOS CD 11313EAN: 4260063113130