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Klassentreffen der Musikbranche

Peter Fox hat ihn bekommen, Tokio Hotel und auch Katie Melua: Der europäische Musikpreis geht an Nachwuchstalente, die mit ihrer Musik den Sprung über die Grenze ihrer Heimatländer geschafft haben. Corso stellt die diesjährigen Preisträger vor.

Von Nadine Kreuzahler | 10.01.2012
    Das ist der Anfang von allem, was du nur willst - singt die deutsch-schweizerische Mädchen-Pop-Band "Boy" zart und verheißungsvoll. Nicht selten war ein Auftritt beim Eurosonic Noorderslag der Beginn einer internationalen Karriere. Franz Ferdinand waren vor vielen Jahren erst Stadtgespräch in Groningen, dann eine international gefeierte Band. Auch für Boy hat vieles auf einer kleinen Clubbühne beim Eurosonic Festival angefangen. Als eine von knapp 300 Bands durften sie 45 Minuten lang vor Bookern, Talentscouts und internationalem Publikum spielen. Der Zeitpunkt hätte nicht günstiger sein können: Ihr Debüt-Album "Mutual Friends" war gerade fertig aufgenommen. Ihr charmanter Feen-Pop mit englischen Texten kam gut an. Sie wurden auf Festivals gebucht.

    Das Album bescherte Valeska Steiner und Sonja Glass dann den Durchbruch: durchweg gute Kritiken, Top-Ten-Chartplatzierungen und ausverkaufte Konzerte. Und den Luxus, jetzt endlich mit einer kompletten Band auf Tour gehen zu können. Dafür fehlte sonst immer das Geld. Es reichte gerade so für eine bescheidene Duo-Live-Performance - reduziert auf Gitarre und Gesang. Bescheiden müssen Boy mit dem Border Breakers Award in der Tasche nicht mehr sein.

    Der European Border Breakers Award zeichnet jedes Jahr Grenzüberwinder wie Boy aus. Newcomer, die in ihrem Heimatland oft schon einen Namen haben, und international gerade in den Startlöchern stehen. Der Musikpreis wird von der Europäischen Kommission für Bildung, Kultur und Jugend vergeben, zusammen mit Organisationen und Unternehmen der europäischen Musikindustrie. Entscheidend sind dabei Radio Airplays und Verkaufszahlen.

    Anna Calvi verkaufte ihr Debütalbum im letzten Jahr auch über die Grenzen ihrer Heimat England hinweg gut. In Frankreich, Belgien, Schweden und Deutschland stieg ihr Erstling in die Top 100 ein. In ihrer Heimat England war die 28-jährige Sängerin und Gitarristin aus London da längst "the next big thing" - das nächste große Ding. Vielleicht, weil Anna Calvi sich von ihren britischen Kolleginnen absetzt: kein Mädchen-Alltagspop oder Retro-Soul, sondern reifes Drama zwischen Klassik, Pop, Flamenco und Blues. Dabei klingt sie ein bisschen nach PJ Harvey - mit der sie sich auch den Produzenten teilt.

    Im letzten Jahr spielte sie mit ihrem frischen Album im Gepäck in einem der kleinen Festival-Clubs beim Eurosonic Noorderslag. In diesem Jahr geht sie in Groningen wieder auf die Bühne - mit dem Border Breakers Award im Gepäck.

    Ganz ohne Gesang und Drama kommen Elektro Guzzi aus. Die Preisträger aus Wien machen Techno mit den Mitteln von Rock'n Roll. Ihren energiegeladenen Sound erzeugen Elektro Guzzi live mit Schlagzeug, Bass, elektrischer Gitarre und Effektgeräten, aber ohne Computer. Das gilt auch, wenn die drei ins Studio gehen: Ihr Album "Parquet" haben Bernhard Hammer, Jakob Schneidewind und Bernhard Breuer mit einer altmodischen Bandmaschine aufgenommen. Die Magie des Moments beim Spielen ist den drei ausgebildeten Musikern wichtig. Techno hat sie erst spät interessiert. Für sie ist es deshalb selbstverständlich, dass sie - als Musiker - nicht zum Computer greifen, um ihre repetitiven, hypnotischen Rhythmen zu komponieren. Ein Statement oder Gegenentwurf zur synthetischen Technowelt wollen Elektro Guzzi aber nicht sein. Damit haben sie grenzübergreifend Erfolg: in Deutschland, Spanien oder Italien spielten sie schon auf Festivals.

    Manchmal reicht ein einziger Song, um ein europäischer "Border Breaker" zu sein. Die Rumänin Alexandrea Stan landete mit der Euro-Dance-Nummer "Mr. Saxobeat" nicht nur in ihrer Heimat, sondern auch in Deutschland, der Schweiz, Italien und Österreich einen Nummer-1-Hit. Weltweit verkaufte sich die Single mehr als eine Million Mal.

    Von Verkaufszahlen wie diesen träumen die meisten Newcomer, die ab morgen beim Eurosonic Noorderslag auftreten. Immerhin fangen sie alle nicht bei Null an: in ihren Heimatländern sind sie die heißesten neuen Talente. Jetzt wollen sich die über 200 Künstler auch in die europäischen Herzen spielen und gebucht werden von Festival - und Konzertveranstaltern, von denen sich genügend unters Publikum mischen. Das Eurosonic ist wie ein Klassentreffen der Musikbranche. Über 30 Konzertclubs, alle zu Fuß zu erreichen, eine Open-Air-Bühne und jede Menge Straßenmusiker versprühen aber gleichzeitig Volksfestatmosphäre. Mit ein bisschen Glück lässt sich hier die nächste große Stadionband noch einmal im ganz kleinen Kreis entdecken.

    Mehr Informationen rund um das Festival:

    European Borders Breaker Award (EBBA)
    Elektro Guzzi
    Elektro Guzzi (Elektro Guzzi)