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Klassik als Zeitkritik

"Don Carlos", eines der großen politischen Bekenntnisdramen. Die Wiener Aufführung analysiert und durchleuchtet das Macht- und Intrigengewebe dieser Tragödie. Sie will zeigen, wie Ehrgeiz und Eitelkeit, gekränkter Narzissmus, der Wunsch anderen seinen Willen aufzuzwingen, sexuelle Neigungen, Sadismus, enttäuschtes Liebesbedürfnis und Angst vor dem Altern, wie alle diese persönlichen Motive ein System politischer Unterdrückung und Bespitzelung am Laufen halten.

Von Dorothee Frank | 01.05.2004
    Bei Don Carlos am Wiener Burgtheater ist das Bühnenbild die Hauptsensation. Martin Zehetgruber hat ein labyrinthisches Gefüge von Glaskobeln mit Gängen dazwischen gebaut – die Architektur einer modernen Büroetage, in der kühle, oft verschattete Lichtatmosphäre herrscht. Die gläsernen Räume wechseln mehrfach, ohne viel Dekor, die Funktion: Vom Audienzsaal des Königs zum Schlafzimmer der Königin, vom Palmenhaus, in dem Gräfin Eboli Don Carlos zum Rendezvous erwartet, zum Verlies.

    Andrea Breth will Schulbuchklassiker wie "Don Carlos" stets so inszenieren, dass auch ein jugendliches, nicht vorgebildetes Publikum das Stück verständlich, nicht verstaubt und aktuell finden kann.

    "Don Carlos" ist eines der grossen politischen Bekenntnisdramen des Revolutionärs und Freigeistes Friedrich Schiller. Im "Don Carlos" fällt das geflügelte Wort "Sire, geben Sie Gedankenfreiheit". Andrea Breths Regie analysiert und durchleuchtet das Macht- und Intrigengewebe dieser Tragödie. Es wird versucht, möglichst deutlich zu zeigen, wie Ehrgeiz und Eitelkeit, gekränkter Narzissmus, der Wunsch anderen seinen Willen aufzuzwingen, sexuelle Neigungen, Sadismus, enttäuschtes Liebesbedürfnis und Angst vor dem Altern, wie alle diese persönlichen Motive ein System politischer Unterdrückung und Bespitzelung am Laufen halten.

    Es wird aber auch klar, wie kompliziert und nebulos politisch-gesellschaftliche Prozesse ablaufen. Weil sich nämlich auch monströse Diktatoren wie Philipp II. nicht so konsequent und eindimensional verhalten, wie oft unterstellt wird. Sven Eric Bechtolf in der Rolle. Und zwar in dem Moment, wo er seinem Sohn Don Carlos die Versöhnung verweigert.

    Don Carlos erscheint in Andrea Breths Inszenierung nicht nur altersmässig eine Nummer kleiner als sein Vater. Philipp Hauss spielt einen temperamentvollen, leicht zu begeisternden jungen Mann, der aber mit tapsigem Ungeschick agiert und fast keinen Fehler auslässt. Hier die Szene, wo er sein angespanntes Verhältnis zu König Philipp II. schildert.

    Christiane von Poelnitz, bisher am deutschen Schauspielhaus Hamburg engagiert, tritt als Eboli im Don Carlos ihr Burgtheater-Engagement an. Wie sie bei dem Versuch, Don Carlos zu kapern, hoch pokert und katastrophal verliert, das prägt sich ein - schon dank ihrer Bühnenpräsenz.

    Andrea Breths Inszenierung stimuliert zum Nachdenken über die Beweggründe von Krieg und Imperialismus, und darüber, warum es Machtmenschen und Fanatiker offenbar glücklich macht, sogar Freunde und Verwandte für ihre Ziele verheizen. Und trotzdem erzeugt die Aufführung auch am nächsten Tag kein starkes Nachgefühl. Dazu ist sie zu stilisiertDie Emotionen und Stimmungen, die das Bühnenbild anbietet, werden vom Spiel nicht wirklich eingelöst. Das dem Stück innewohnende Potential an Tragik und Beklemmung erscheint gefiltert und daher abgeschwächt.