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Klaus Ernst "ein heißer Kandidat"

Der Politikwissenschaftler Tim Spier hält Klaus Ernst und Katja Kipping für eine mögliche neue Doppelspitze der Linkspartei. Ernst sei aus Talkshows hinreichend bekannt und Kipping verfüge trotz ihrer Jugend über eine große politische Erfahrung.

Tim Spier im Gespräch mit Mario Dobovisek | 25.01.2010
    Mario Dobovisek: Es kracht im Gebälk der Linkspartei, denn während das Gebäude eine Neukonstruktion ist, die Fusion aus WASG und PDS, bestehen die tragenden Säulen von Anfang an aus Altmaterial, alt gedienten Parteispitzen nämlich wie Dietmar Bartsch, Lothar Bisky oder eben Oskar Lafontaine. Bartsch wurde als Bundesgeschäftsführer aus dem Amt getrieben, Bisky hört aus Altersgründen auf und Lafontaine zieht sich wegen seiner Krebserkrankung zurück ins Saarland. Was nun, Linkspartei? Am Telefon begrüße ich den Düsseldorfer Politikwissenschaftler und Linkspartei-Kenner Tim Spier. Guten Tag, Herr Spier!

    Tim Spier: Guten Tag!

    Dobovisek: Wird denn die Linkspartei dauerhaft bis an das Ende unserer Tage eine Doppelspitze benötigen?

    Spier: Das weiß ich nicht, aber im Augenblick ist es sicherlich die sinnvollere Lösung. Es gibt zunächst mehrere Konfliktlinien innerhalb der Linken, nicht allein die Spaltung zwischen Ost und West. Allerdings zeigt sich zunehmend, dass diese Trennung zwischen Ost und West sich auch deckt mit der Bereitschaft einer Koalition mit der SPD. Ich nehme mal an, dass dieser Konflikt, also die Frage, ob man mit der SPD koaliert, jetzt, wo Lafontaine sich zurückzieht aus der Bundespolitik, entspannt wird. Trotzdem ist es noch sinnvoll, sowohl den Osten, als auch den Westen zu repräsentieren, und die Mann-Frau-Frage spielt natürlich auch eine Rolle.

    Dobovisek: Sehen Sie, Herr Spier, also Anzeichen dafür, dass die Linkspartei näher an die SPD rücken könnte?

    Spier: Nun gut, das kommt jeweils auf die Landesverbände an, wo sich die Frage stellt, ob man koalieren will. Ich denke, in Nordrhein-Westfalen ist zum Beispiel die Linkspartei noch eher gegen eine Koalition. Aber es kommt ja allein auch nicht auf die Linke an, denn die SPD muss ja selber auch erst einmal sich klar darüber werden, ob und in welchem Fall sie mit der Linken zusammengehen möchte.

    Dobovisek: Sie sprechen die Wahlen in Nordrhein-Westfalen an. Im Mai finden dort Landtagswahlen statt. Welche Chancen hat denn die Linkspartei dort, gerade nach den Auseinandersetzungen der jüngsten Tage?

    Spier: Ich glaube nicht, dass sich der Rückzug Lafontaines nennenswert auf das Wahlergebnis der Linken in Nordrhein-Westfalen auswirken wird. Er war ja zum Beispiel 2005 auch nicht Parteivorsitzender, er tritt ohnehin hier nicht an, er wird sich weiterhin in den Wahlkampf einmischen. In den Umfragen wird sie meistens zwischen fünf bis acht Prozent gehandelt und ich gehe auch davon aus, dass sie irgendwo in diesem Bereich landen wird.

    Dobovisek: Bodo Ramelow ist davon überzeugt, dass seine Partei gestärkt aus dieser Situation hervorgehen wird. Ein Phönix aus der Asche?

    Spier: Na ja, man muss erst mal jemanden finden, der so populär ist wie Oskar Lafontaine. Die neuen Vorsitzenden, wenn es eine Doppelspitze wird, müssen zwei Leistungen erbringen: Sie müssen nach innen integrieren, also die zersplitterte Partei zusammenführen, und andererseits nach außen auch große Wirkung entfalten, und das ist natürlich eine Personalfrage, die nicht ganz einfach zu lösen ist.

    Dobovisek: Wer hat Ihrer Meinung nach da im Moment die stärksten Qualitäten?

    Spier: Na ja, ich denke, Klaus Ernst ist schon ein sehr ernsthafter Kandidat für den Westen, wo die Personaldecke ohnehin sehr dünn ist. Er ist schon aus Talkshows hinreichend bekannt, ist relativ eloquent und beherrscht notfalls auch die populistische Ansprache von bestimmten Wählergruppen. Ich denke, das ist ein heißer Kandidat. Und dann ist natürlich in der Tat eine Frau aus dem Osten die ideale Ergänzung. Die Namen sind genannt worden, Lötzsch, Pau. Wer bisher wenig genannt wurde, ist Katja Kipping, die noch relativ jung ist, aber trotzdem über eine große politische Erfahrung verfügt und auch für die Linke fast undogmatische Standpunkte vertritt. Ich würde mal sagen, das könnte auch noch eine Kandidatin sein.

    Dobovisek: Vielleicht zu undogmatisch für die ja doch eher sehr links ausgerichteten Westverbände?

    Spier: Das glaube ich nicht. Sie hat eher so einen emanzipatorischen Standpunkt, der eher in Richtung Grüne geht. Ich weiß nicht. Ich könnte mir das schon vorstellen, aber das ist eine offene Frage. Das kann man sicherlich ... Ich glaube, es ist auch noch nicht entschieden. Das wird man in den nächsten Tagen sehen, was sich da herauskristallisiert.

    Dobovisek: Wie kam es zu diesem Tohuwabohu im Moment bei der Linkspartei? War das das Ergebnis der langen Grabenkämpfe zwischen Ost und West?

    Spier: Wie gesagt, es ist weniger der Konflikt zwischen Ost und West, sondern die Frage, ob man mit der SPD vor allen Dingen auf Landesebene koalieren will, und da gibt es eben die mehrheitlich im Osten befindlichen Pragmatiker, die sagen, ja, unter allen Umständen. Dort gibt es ja auch bereits Koalitionen (auch schon seit einigen Jahren) mit der SPD, während im Westen, glaube ich, der überwiegende Anteil solchen Koalitionen eher skeptisch gegenübersteht. Insofern ist diese Ost-West-Trennung vor allen Dingen eine Trennung zwischen der Frage, ist man bereit, mit der SPD eine Koalition einzugehen.

    Dobovisek: Warum ist es dann aber noch nötig, eine Doppelspitze zu besetzen?

    Spier: Wie gesagt, es geht auch um eine Integrationsfunktion nach innen. Man braucht auf jeden Fall einen West-Vertreter, allein schon um die neuen, seit 2005 hinzugewonnenen Wählergruppen im Westen zu binden. Gleichzeitig ist aber der größte Teil der Mitglieder und sind immer noch die Stammwähler im Osten vertreten; auch die muss man einbinden. Deswegen macht so eine Doppelspitze dann Sinn, wenn man nicht auf jemanden, der integrieren kann und beide abdecken kann, zurückgreifen könnte. Gysi ist ja immer auch noch im Spiel, auch wenn er vermutlich das nicht machen wird, aber er wäre sicher so ein Kandidat, wo man dann auch auf eine Doppelspitze verzichten könnte.

    Dobovisek: Tim Spier, Politikwissenschaftler an der Universität in Düsseldorf. Vielen Dank für Ihre Einschätzungen.