Donnerstag, 28. März 2024

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Klavierwerke von Gabriel Fauré
Heimliche Liebe zum Piano

Mit der Orgel war er sozusagen verheiratet, mit dem Klavier hatte er eine jahrzehntelange Liaison: In den letzten Jahren hat man den lange Zeit vergessenen Klavierkomponisten Gabriel Fauré wiederentdeckt. Sonaten sucht man dabei allerdings vergebens. Dafür gibt es etliche Charakterstücke, wie zwei neue Aufnahmen zeigen.

Von Christoph Vratz | 02.11.2016
    Porträt des französischen Komponisten Gabriel Faure
    Komponierte zahlreiche Klavierpiécen: Gabriel Fauré (imago stock&people)
    Ein Aufschneider, ein Blender war Gabriel Fauré nie. Vielmehr diskret und bescheiden; und auch seine Musik kommt oft aus der Stille. Diese Zurückhaltung und Noblesse ist oft mit Salonmusik oder sogar Kitsch verwechselt worden – und das besiegelte sein Schicksal. Denn so wurde Faurés Musik in die zweite Reihe gedrängt.
    Der niederländische Pianist Hannes Minnaar hat nun ein Album vorgelegt, das einen Bogen spannt von Faurés erster Nocturne bis zu seinem Spätwerk. Auf diese Weise bildet er die enorme stilistische Bandbreite des Franzosen ab, von der frühen, oft reich verzierten und an Chopin orientierten Musik, bis hin zu seinem schlichten, geradezu karg-spröden Alters-Stil.
    Kitsch-Vermeidung
    Das 13. Nocturne ist, 1921 in Nizza vollendet, neben seiner 13. Barcarolle Faurés letztes Werk. Es steht in h-Moll, der Tonart von Liszts einziger Sonate und Chopins dritter Sonate. Fauré selbst verwendet sie vor allem im Offertorium seines Requiems. Hannes Minnaar spielt diesen am Beginn vierstimmigen, choralartigen Satz wie ein zartes, elegantes Klagen. Die harmonischen Wendepunkte kostet er aus – doch ohne jede Hab-Acht-Geste, ohne Ausrufezeichen. Minnaar vertraut vielmehr auf kleine Verzögerungen und subtile dynamische Abstufungen.
    Das ist bezeichnend für Minnaars Ansatz: Er meidet konsequent die Kitschfalle. Er nimmt diese Musik ernst und taucht sie in unterschiedliche Stimmungen: hier ein dunkel strömender Fluss, dort eine pointilistische Reihung von kleinen Effekten, dann wieder eine strahlende Melodie über bewegtem Untergrund.
    Bedeutung der Mittelstimmen
    Hannes Minnaar ist derzeit Hollands große pianistische Nachwuchshoffnung. Preisträger bei den renommierten Wettbewerben von Brüssel und Genf, ist er vor wenigen Wochen erst mit dem Niederländischen Musikpreis ausgezeichnet worden – als erster Pianist seit knapp 20 Jahren! Minnaar ist leidenschaftlicher Kammermusiker und Mitglied im Van Baerle Trio; mit Isabelle van Keulen hat er bereits alle Beethoven-Violinsonaten auf CD festgehalten. Jetzt also folgt diese Solo-Aufnahme mit Werken von Fauré. Zu dessen ehrgeizigsten Klavierprojekten zählt "Thème et variations", erstmals erschienen im Jahr 1897.
    Nicht ohne Grund hat man Robert Schumanns "Sinfonische Etüden" als Vorbild ausgemacht – was die Originalität von Faurés Komposition aber nicht im Geringsten schmälert. Der Übergang von der ersten zur zweiten Variation zeigt die Wahlverwandtschaft zwischen beiden Werken – und auf dieser CD, wie mühelos Hannes Minnaar die dramaturgischen Wechsel beherrscht. Er ist immer auch darauf aus, in den Mittelstimmen nach Bedeutungen zu forschen – ein zentraler Aspekt bei Fauré. Hannes Minnaar begegnet dieser Musik auf gleichbleibend wache, natürliche Weise; er hat keine Lust auf extravagante Experimente, sondern lässt den Hörer lieber Schatten spüren, wo Fauré mit Licht und Dunkel spielt.
    Fauré – ein Impressionist
    Neben Hannes Minnaar hat auch der Kanadier Louis Lortie ein Fauré-Album aufgenommen, übertitelt mit "Après un rêve". Neben der Suite zu "Pelléas et Mélisande" bilden die Préludes op. 103 den Mittelpunkt seiner CD. Und hier bietet sich ein direkter Vergleich mit Minnaar an. Das schnelle cis-Moll-Prélude spielt Louis Lortie weniger unaufgeregt als Hannes Minnaar.
    Wo dieser alles Spektakuläre meidet, sucht Lortie nach Aufgeregtem, nach Entzündlichem. Das zeigt sich auch im Anschlag, der eine Spur nuancenreicher ist als bei Minnaar. Lortie, der auf einem Fazioli-Flügel spielt, ist ein Meister der Klangfarben. Wo Minaar auf schnörkellose Linien und Schlichtheit setzt, stattet Lortie Faurés Musik mit einer Fülle an Finessen aus.
    Das ist ein Schimmern und Schillern, das den Hörer mehr und mehr hineinzieht in diese Welt; denn Louis Lortie zeigt uns Fauré vor allem als Impressionist.
    Somit liegen zwei Fauré-Aufnahmen mit sehr unterschiedlichen Interpretations-Ansätzen vor, aber mit vergleichbarer Überzeugungskraft. Beide CDs sind nachdrückliche Plädoyers für einen der großen französischen Komponisten an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert.
    CD-Angaben
    Gabriel Fauré: Klavierwerke
    Nocturnes Nr. 1, 7, 13; Barcarolles Nr. 3 & 12; Teme & Variations op. 73; Impromptu Nr. 5; 9 Préludes op. 103; Romance sans paroles op. 17 Nr. 3
    Hannes Minnaar (Klavier)
    Challenge SACD + DVD CC72731; 608917273120; LC 00950
    Gabriel Fauré: Klavierwerke "Après un rêve"
    Pavane op. 50; Barcarolles Nr. 5, 6, 7; Nocturnes Nr. 4 & 6; Après un rêve op. 7 Nr. 1; Suite aus "Pelléas et Mélisande" op. 80; 9 Préludes op. 103
    Louis Lortie (Klavier)
    Chandos CD 10915; 095115191521