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Kleine Geschichte der Sonntagsruhe
Vom fröhlichen Brotbrechen zum Wochenendblues

Für die ersten Christen war der Sonntag kein Ruhetag. Erst im Laufe des Mittelalters wurden die kirchlichen Gebote zur Einhaltung des Sonntags strikter. So der aus Kuba stammende, evangelische US-Theologe Justo González in seiner "Kurzen Geschichte des Sonntags". Was ist zu tun, damit der nächste Sonntag gut wird?

Von Katja Ridderbusch | 02.11.2017
    Der Theologe Justo González, ein ergrauter Mann, freundlich lächelnd vor einem Bücherregal in seiner Wohnung
    Der Theologe Justo González in seiner Wohnung (Deutschlandradio / Katja Ridderbusch)
    Justo González zögert nicht lange mit seiner Antwort auf die Frage, was für ihn der perfekte Sonntag sei.
    "The day when the Braves win a baseball game…"
    Ein Tag, an dem die Atlanta Braves, sein Lieblingsteam, ein Baseballspiel gewinnen, sagt er. Das passt zu González: Denn der 80-jährige Kirchenhistoriker mag es eher heiter. So ist auch der Ton seines neuen Buches "Eine kurze Geschichte des Sonntags", das gerade auf Deutsch erschienen ist. Eine der Kernaussagen: Für die frühen Christen war der Sonntag keineswegs ein Ruhetag oder ein Tag der Innenschau und des Bibelstudiums.
    "For Christians originally, Sunday was not going to take the place of Sabbath."
    Der Sonntag habe ursprünglich auch nicht in Konkurrenz zum Sabbat gestanden, dem siebten Tag der Woche und dem in den Zehn Geboten festgelegten Ruhetag, sagt González. Vielmehr war der Sonntag ein Tag, an dem sich die ersten Christen zu kurzen und vor allem fröhlichen Treffen versammelten. Justo González sagt:
    "Ich fand es faszinierend zu lernen, dass bei den frühen Christen der Gottesdienst ein Freudenfest war. Heute kommt er mir oft eher wie eine Trauerfeier vor."
    Vom Sabbat zur Kommunion
    González' eigene Lebensgeschichte ist so unkonventionell wie seine Thesen. Geboren 1937 in Havanna, wurde er von seinen Eltern, einem Lehrerehepaar, als Methodist erzogen - eine evangelische Minderheit im katholisch dominierten Kuba. Er studierte in Havanna, bekam 1957 ein Stipendium für die Yale Universität in den USA. Das war in der Endphase der Batista-Diktatur und er kehrte nicht mehr nach Kuba zurück.
    Später lehrte er als Kirchenhistoriker in Puerto Rico und an der Emory-Universität in Atlanta. Hier lebt González bis heute, mittlerweile emeritiert, aber noch immer aktiv als Buchautor und Gastdozent. Sein Buch über die Geschichte und Bedeutung des Sonntags ist locker geschrieben und zugleich religionspolitisch brisant.
    "The first Christians were all Jews. And they kept the Sabbath ..."
    Der Sonntag ist heute zwar weitgehend säkularisiert, für viele Christen ist er aber immer noch heilig.
    Feiertage heute - im Spannungsfeld von Säkularisierung und Sonntagsruhe (imago / epd)
    Die frühen Judenchristen, schreibt González, gingen am Samstag in die Synagoge. Doch schon im zweiten Jahrhundert trafen sich immer mehr Christen zusätzlich am ersten Tag der Woche - entweder am Samstagabend nach Sonnenuntergang oder in den frühen Morgenstunden des Sonntags, bevor sie sich ihrem Tagewerk widmeten. Sie brachen Brot und feierten die Auferstehung Jesu.
    "That's where the Communion comes from. It was basically a meal, in which you celebrated the resurrection of Jesus."
    Blue Laws und der Sonntagsfrevel
    González räumt auch mit einem anderen, seiner Ansicht nach gängigen Missverständnis auf: Nämlich, dass der römische Kaiser Konstantin im Jahr 321 den Sonntag offiziell als Feiertag für Christen einführte.
    Zwar habe Konstantin den Sonntag zum allgemeinen Ruhetag erklärt, schreibt der Autor - allerdings als "Sonnentag", als Reverenz an den Sonnengott Sol Invictus und nicht als Zugeständnis an die Christen. Was auch immer Konstantins Motivation gewesen sei: Die Christen profitierten von dem Dekret. Sie konnten fortan ihren sonntäglichen Zusammenkünften mehr Raum geben.
    "Unter diesen Umständen ist es nicht weiter verwunderlich, dass man nun den Sonntag mit der Sabbatruhe in Verbindung brachte. (...) Sonntag und Sabbatruhe waren nun, anders als im frühen christlichen Denken und Glauben, eng verknüpft",
    schreibt González. Im Laufe des Mittelalters wurden die kirchlichen Gebote zur Einhaltung des Sonntags immer strikter. Der Sonntagsfrevel - also die Sonntagsarbeit - gefährde das Seelenheil, drohten die Kirchenführer.
    Gravur von William Hogarth (1697 - 1764)  - Puritaner führen einen Delinquenten zum Pranger
    Wer bei den Puritanern den Sonntag frevelte, musste an den Pranger (imago stock&people / Gravur von William Hogarth (1697)
    Im 17. Jahrhundert kam es bei den Puritanern zu einer weiteren Welle der sabbatähnlichen Sonntagsheiligung. Untersagt waren an diesem Tag alle Aktivitäten, die mit Reisen, Transport, Handel, Bewirtung sowie öffentlichen Vergnügungen zu tun hatten. In Neuengland verfolgten die Puritaner die Einhaltung der Sonntagsregeln - später auch als Blue Laws bekannt - mit besonderem Eifer. González schreibt:
    "In Boston zum Beispiel kehrte ein gewisser Captain Kemble 1656 von einer dreijährigen Seereise zurück und begrüßte seine Frau auf der Schwelle seines Hauses mit einem Kuss. Der unglückliche Seemann wurde zu zweistündigem Stehen am Pranger verurteilt, weil er am Sabbat auf diese Weise seine Lüsternheit zur Schau gestellt hatte."
    "Aufgezwungene Ruhe ist keine Ruhe"
    Auch wenn der Sonntag - von Resten der Blue Laws in den USA und gesetzlichen Ruheregelungen in Europa abgesehen - heute weitgehend säkularisiert ist, gehen die Debatten um diesen Tag weiter, um seine Rolle und seine Regeln. Immer wieder fordern Christen, strikte Sonntagsgesetze zu bewahren beziehungsweise einzuführen. Auf der anderen Seite sagen bestimmte Freikirchen wie die Siebenten-Tags-Adventisten: Wer den Sonntag einhalte, weiche von der Bibel ab. Sie begehen bis heute den Sabbat. Justo González hält wenig von Geboten und Verboten - oder einem von oben verordneten Tag der Ruhe.
    "Aufgezwungene Ruhe ist keine Ruhe. Wenn man ein Kind zur Strafe für 15 Minuten auf sein Zimmer schickt, ist das auch nicht sonderlich erholsam."
    Ein einsamer Mann an der Töölönlahti Bucht in Helsinki
    Wochenend-Blues - ein Phänomen der hektischen Postmoderne (picture alliance / dpa / Mikko Stig)
    Allerdings: Er findet es wichtig, dass das Leben eine Struktur hat, einen verlässlichen Rhythmus zwischen Arbeit und Ruhe. Diesen Rhythmus habe die Gesellschaft heute weitgehend verloren, meint er. Eine der Folgen sind Menschen, die den plötzlichen Abfall von Tempo und sozialer Stimulanz nicht ertragen, die an Sonn- und Feiertagen in ein emotionales Loch fallen. Sonntagsneurose nennen das Psychologen, oder auch: Wochenend-Blues.
    "Es gibt nichts Traurigeres als wenn man glücklich sein sollte und nicht glücklich sein kann. Aus diesem Grund gibt es ja auch an Weihnachten so viele Selbsttötungen. Und das gleiche gilt für den Sonntag, wenn scheinbar jeder einen Grund hat sich zu freuen - nur man selbst nicht."
    Justo González dagegen mag den Sonntag, selbst dann, wenn die Atlanta Braves nicht gewinnen. Er mag den Sonntag mit all seinen kleinen Ritualen, dem Kirchgang am Morgen, dem Mittagessen mit Freunden, den Stunden am Nachmittag im Garten.
    "Für mich ist es eine Zeit der Entspannung, der Meditation, aber nicht im Sinne einer Einhaltung religiöser Regeln. Wir tun nichts am Sonntag, nur weil es Sonntag ist."