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Kleine Klicks, großer Schmerz

Unter dem Begriff "Mausarm" werden umgangssprachlich jene Beschwerden verstanden, die aus dem täglichen Umgang mit der Computermaus resultieren, aus ständigem Klicken und Tippen. Psychologen der TU Darmstadt haben nun ein Präventionsprogramm dafür entwickelt.

Von Anke Petermann | 25.07.2011
    Zehn, zwölf Stunden fast pausenlos am Computer zu arbeiten, war lange kein Problem für Christine Ball. Die freie Grafikdesignerin hat Spaß an der Arbeit, ist ehrgeizig und engagiert. Stundenlang lag ihre Hand mit klickbereit ausgestrecktem Zeigefinger auf der Maus. Wie sehr sie das anstrengte, bemerkte die Heidelbergerin gar nicht.

    "Ich habe es zeitweise übertrieben. Ich möchte schnell fertig machen, ich möchte meine Sache gut machen, man ist dann völlig von allem abgeschottet, man ist dann völlig fokussiert auf die Arbeit, man bemerkt nicht, dass Kollegen den Raum betreten oder verlassen."

    Als dann noch zusätzlich eine Phase mit starkem Auftragsdruck dazu kam, entwickelte die Designerin plötzlich starke Schmerzen in der Hand.

    "Und es eskalierte dann, also ich hatte das innerhalb einer Woche, trotz Schonung, trotz Aussetzen der Arbeit."

    Bügeln ging nicht mehr, das Radeln mit Freunden gab sie auf, im Theater klatschte sie nicht mehr - so weh tat die Hand. Ein typischer Fall, beobachtet Hardo Sorgatz, Psychologie-Professor an der Uni Darmstadt und Entwickler eines Therapieprogramms für den Mausarm:

    "Es sind die Hochleistungsmotivierten, die während ihrer Arbeit alles vergessen, das betrifft die Ingenieure genauso wie die Grafiker, und Informatiker natürlich auch. Die wollen etwas entwickeln und stehen unter Termindruck, das sind sie aber selbst."

    Alle halbe Stunde zweiminütige Kurzpausen beim Tippen und Klicken einzulegen, raten die Darmstädter Forscher in ihren Kursen. Sie regen an, die eigenen Leistungsansprüche zu überdenken und die Arbeit so einzuteilen, dass sie ohne Hochgeschwindigkeitstippen zu schaffen ist. Mit welchen Eingabegeräten man entspannter arbeiten kann, das lässt Kursleiterin Kerstin Woll die Teilnehmer im Therapieprogramm ausprobieren. Ein Beispiel ist die vertikale Maus, eine Art kleiner grauer Kunststofffelsen. Die Psychologin an der TU Darmstadt stellt ihn vor Christine Ball auf den Schreibtisch.

    "Hier ist so eine vertikale Maus, die man ganz anders greifen muss, und wir sagen eben: Probieren Sie aus, was sich für Sie gut anfühlt und suchen Sie sich am besten zwei, bestenfalls drei Geräte, mit denen Sie über den Tag verteilt arbeiten."

    Christine Ball greift die vertikale Maus wie ein Glas.

    "Fühlt sich gut an. Ja, es ist eine natürlichere Handhaltung als bei der normalen Maus. Das Problem mit der ganz normalen Maus ist, die Hand ist in abgeknickter Stellung. Und damit sind die Nerven, Sehnen, Bänder natürlich belastet."

    Wie sich die Hände in einer Aufwärmphase vor Arbeitsbeginn und in den Pausen dehnen und kräftigen lassen, zeigen in den zweitägigen Therapiekursen Physiotherapeuten. Das Telefon auf einem Stehpult und den Drucker auf dem Flur zu platzieren, schafft Abwechslung. Vom Online-Kalender auf die altmodische Lederversion mit Stift umzusteigen, macht Bewegungsabläufe vielfältiger. Das beugt dem Mausarm vor, genauso wie Schwimmen und Joggen. Teilnehmer aus ganz Deutschland melden sich an der TU Darmstadt an, viele unter großem Leidensdruck, verfolgt von existenziellen Ängsten, weiß Kerstin Woll.

    "Weil sie das Gefühl haben, dass sie ihren Beruf, der acht Stunden am PC stattfindet, nicht mehr durchführen, auf gar keinen Fall bis zum Rentenalter 65, manche sagen 'ich kann das noch nicht mal zwei Wochen machen, ich halte das einfach nicht durch'."

    Ganz mit der Bildschirmarbeit auszusetzen, bringt nach Ansicht der Psychologin aber nichts:

    "Wir haben Leute, die kommen mit zwei Schienen an den Händen in den Kurs und sagen, wir waren vier Wochen zur Kur und es hat nicht geholfen. Von unserem Modell ausgehend kann eine Besserung nur während der Arbeit stattfinden. Worauf wir abzielen, ist ein optimiertes Arbeiten. Dass das Arbeiten in einem schmerzfreien oder schmerzerträglichen Bereich stattfindet."

    Erträglich ist die Arbeit am PC für Christine Ball inzwischen, schmerzfrei noch nicht.

    "Das Darmstädter Programm brachte für mich den Durchbruch",

    konstatiert die Grafik-Designerin. Sie weiß, dass sie ihren Willen zur Hochleistung zügeln muss, vor allem in den Phasen, in denen sie Besserung spürt.