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Kleine Ursache, fatale Wirkung

Neben den geläufigen Blutgruppen A, B oder 0 gibt es über 30 weitere Blutgruppensysteme. Eine besonders seltene ist Vel-negativ: Nur einer von 2500 Menschen zählt zu dieser Blutgruppe, die bei Transfusionen Probleme bereitet. Französische und amerikanische Forscher haben die Ursprünge dieser Blutgruppe entdeckt.

Von Thekla Jahn | 27.03.2013
    "Meine erste Reaktion war: Toll, das ist jetzt die letzte große Sache in der Blutgruppenforschung, auf die wir gewartet haben, wo es wirklich in der Praxis gedrückt hat","

    sagt Dr. Franz Wagner vom DRK-Blutspendedienst. Patienten mit der Blutgruppe Vel-negativ waren lange ein großes Problem. Bei einer Bluttransfusion bilden sie Antikörper gegen Blut, das nicht Vel-negativ ist - und wenn sie dann ein weiteres Mal in ihrem Leben eine Bluttransfusion erhalten, kämpfen diese Antikörper so massiv, dass es zur Verklumpung der roten Blutkörperchen und in der Folge zu Nierenversagen und zum Tod kommen kann. Bekannt ist das Phänomen seit 1952, als eine Mrs. Vel unerwartet heftig auf eine Transfusion reagierte und zur Namensgeberin der Blutgruppe wurde.
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    Lionel Arnaud: ""Das Schwierige ist: Die Antikörper, die Patienten entwickeln, sobald sie eine nicht kompatible Transfusion erhalten, schlagen im menschlichen Körper heftig zu, aber außerhalb sind sie kaum noch aktiv. Im Labor können wir nicht mehr mit ihnen arbeiten."

    Und so gelang es auch den Forschern um Professor Lionel Arnaud vom Nationalen Institut für Bluttransfusion in Paris zunächst nicht, das Rätsel der tückische Blutgruppe Vel-negativ aufzuklären. Das Einzige, was klar war:

    "Vel-negativ ist erblich, und es ist eine sehr alte Blutgruppe, die in der Bevölkerung überdauert hat, in einer Häufigkeit von 1 zu 2500."
    Wo aber liegt die Ursache für diese seltene Blutgruppe? Welches Molekül ist verantwortlich? Das französisch-amerikanische Forscherteam suchte zunächst mithilfe der Massenspektrometrie und ergänzend mit DNA-Tests. So kamen sie schließlich auf ein Protein, das vor ihnen noch keiner entdeckt hat. Und von dieser Entdeckung sind sie selbst überrascht:

    "Das Protein ist wirklich das einfachste Protein, das man sich denken kann. Es sitzt in der äußeren Membran der roten Blutkörperchen und steckt nur einen ganz kleinen Arm an die Oberfläche."

    Zudem ist es auch mehr als winzig:

    "Dieses Protein ist so klein, dass man es nicht für einen möglichen Kandidaten gehalten und beim Sequenzieren des menschlichen Genoms gar nicht weiter beachtet hatte. Es ist wirklich winzig. Ja, es ist immer das Gleiche - man denke nur an den Schmetterlingseffekt - etwas Kleines kann große Auswirkungen haben."

    Die meisten Menschen besitzen dieses kleine, wirkungsvolle Protein und damit haben sie auch den Blutgruppentyp Vel. Wer das Protein nicht besitzt, der ist Vel-negativ. Ob man zur Mehrheit gehört und deshalb im Falle eines Falles jede Blutkonserve verträgt oder aber mit Vel-negativ zu einer Risikogruppe gehört, das weiß keiner.

    "Also man hat bisher das ignoriert und gewartet und hat irgendwann einen Patienten, der einen Antikörper gegen praktisch alles Blut gebildet hat."

    Und damit also für die meisten Blutkonserven nicht infrage kommt. Um das Leben des Patienten nicht aufs Spiel zu setzen, begann dann die Suche nach einer Vel-negativen Blutspende. Fast zwei Wochen konnte ein Test dauern - und getestet wurden so lange, bis sich unter den vorhandenen Blutkonserven endlich diesen Bluttyp fand. Das kann sich jetzt ändern. Denn mit einem molekularen Screeningverfahren wäre schon innerhalb von knapp zwei Stunden nach der Spende klar, ob sie Vel-negativ ist. Lange wird es nicht mehr dauern, meint Franz Wagner vom DRK Blutspendedienst:

    "Ich denke, dass dort wo jetzt auch schon mit molekularen Methoden nach Blutgruppen gesucht wird, dass das da innerhalb von wenigen Wochen bis Monaten in die Suche eingebaut werden wird. Die ganzen Testsysteme sind so aufgebaut, dass man da leicht einen Test dazupacken kann, ohne irre großen Aufwand."

    Sobald eine Blutspende als Vel-negativ identifiziert wird, kann sie entsprechend gekennzeichnet und eingefroren werden. Im Ernstfall müssen Patienten nicht mehr warten, bis die Tiefgefrierlager auf ihre seltene Blutgruppe hin durchgetestet wurden.