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Kleiner Knochen, großer Beweis

Eine Dinosaurierversteinerung in Australien gibt derzeit nicht nur Paläontologen zu denken. Eigentlich hätte diese Saurierart nur auf der nördlichen Hemisphäre in Erscheinung treten sollen, nicht aber Down Under. Auch Theorien zum Auseinanderbrechen der Urkontinente bringt der Fund ins Wanken.

Von Michael Stang | 15.06.2011
    Jedes Jahr graben sich Dutzende Freiwillige im australischen Bundesstaat Victoria durch geologische Schichten und suchen Fossilien aus der Kreidezeit. Dabei entdeckten sie vor ein paar Jahren einen sonderbaren Wirbel. Wie alle Funde kam dieses Fossil nach Melbourne ins Museum. Dort konnte ihn aber keiner der Forscher identifizieren. Australien ist nicht gerade für seine Dinosaurierfunde berühmt und Dinosaurierexperten sind rar. Die australischen Geologen luden daraufhin Paul Barrett vom Natural History Museum in London ein, der sich die Versteinerung ansehen sollte.

    "Bei dem Fund handelt es sich um einen Nackenwirbel eines kleinen Tieres, vermutlich war es noch nicht ausgewachsen. Zwar ist es nur ein Wirbel, aber dieser enthält alle anatomischen Eigenschaften, die wir für die Bestimmung des Dinosauriers benötigen. Unser Fund hat viele Gemeinsamkeiten mit Baryonyx, einem Saurier, der in England und Spanien gefunden wurde. Daher gehen wir davon aus, dass unser Fund zur gleichen Dinosauriergruppe wie Baryonyx gehört."

    Diese Dinosaurier hatten einen krokodilähnlichen Schädel und eine besonders große Klaue an beiden Daumen. Zum Teil im Wasser lebend ernährte sich Baryonyx vermutlich überwiegend von Fisch. Ebenso wie dieser Vertreter gehört der nun in Australien entdeckte Dinosaurier zu den Dornenechsen genannten Spinosauridae. Der australische Saurier war vermutlich um einiges kleiner als die bisher bekannten Vertreter dieser Urzeitechsen; seine Körperlänge lag geschätzt bei weniger als drei Metern. Für eine Spezies- oder Gattungszugehörigkeit reicht das Material Paul Barrett zufolge nicht aus, aber das sei kein Problem. Viel wichtiger sei, dass man den Fund eindeutig der Gruppe der Dornenechsen zuordnen könne.

    "Es ist das erste Mal, dass wir diesen Dinosauriertypus in Australien nachweisen können. Und das widerspricht einigen alten Theorien, die sagen, dass diese Tiere niemals dort gelebt haben können. Nun aber sieht es so aus, als ob diese Gruppe von Dinosauriern tatsächlich auf der ganzen Welt verbreitet war. Lediglich bis nach Nordamerika haben sie es vermutlich nicht geschafft, aber wir kennen mittlerweile auch Fossilien aus Südamerika, Afrika, Europa und es gibt auch Hinweise auf ihre Verbreitung in Asien. Also es ist klar, dass sie sehr weit verbreitet gewesen waren."

    Der neue Fund widerspricht noch einer anderen Lehrbuchmeinung. Diese besagt, dass bestimmte Dinosauriergruppen entweder nur im Norden oder Süden gelebt haben. So wurden etwa sämtliche Tyrannosaurus-Rex-Fossilienfunde bis vor Kurzem ausschließlich in der nördlichen Hemisphäre gemacht, während viele andere Saurierarten dem Anschein nach nur südlich des Äquators gelebt haben. Dieses Bild verschiebt sich allerdings allmählich, so Paul Barrett:

    "Es gibt also diese beiden deutlich ausgeprägten Dinosauriervertreter, die bislang entweder nur im Norden oder ausschließlich im Süden entdeckt wurden. Dieser neue Fund aber zeigt, im Zusammenhang mit anderen neuen Fossilien, dass diese einseitige Verbreitung - also entweder Nordhalbkugel oder Südhalbkugel - nicht mehr zu halten ist. Vielmehr sieht es so aus, als hätten diese Dinosauriergruppen weit mehr Gebiete der Welt bevölkert, als wir früher angenommen haben."

    Wenn die Vertreter der Spinosauridae derart weit verbreitet waren, gibt es ein weiteres Theorieproblem. Denn die neuen Funde passen nicht mehr exakt zu der Theorie, wann der Urkontinent Gondwana auseinandergebrochen ist und welche Tiere auf den jeweiligen Kontinenten lebten. Da die Dornenechsen sich auf fast allen Erdteilen erfolgreich ausgebreitet haben und diese Ausbreitung Zeit braucht, kann dies zweierlei bedeuten: Entweder ist der Urkontinent Gondwana später als bislang angenommen auseinandergedriftet, damit wäre Australien nicht so lange isoliert gewesen, oder die Ausbreitung der Spinosauridae ging schneller vonstatten als bisher angenommen. Eine endgültige Klärung ist noch nicht in Sicht.