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Kleinkünstler und Musiker in Guimaraes

Eine junge Frau, die im Sonnenlicht auf einem kleinen Marktplatz Violine spielt, hinter ihr eine Touristengruppe. Über dieser Szene thront eine mächtige Festung aus dem 11. Jahrhundert. Das portugiesische Guimaraes weiß sich zu inszenieren. Es will Künstler anlocken.

Von Robert B. Fishman | 06.04.2012
    Um einen großen alten Holztisch sitzen unter der stuckverzierten Decke rund zehn junge Leute beim Essen. Aus verschiedenen Schalen und Schälchen gibt es Salate, Reis, Kartoffeln und gebratenes Fleisch, dazu Wasser, Saft und Wein. Jeder hat etwas mitgebracht. Aus einer Laune heraus macht einer von ihnen mit dem Mund Geräusche, der Nächste packt seine Ukulele aus und spielt dazu, die anderen klopfen mit Gabeln und Löffeln den Takt auf Teller und Töpfe. Eine spontane Session im "Circulo de Arte y Recreio", dem "Kreis für Entspannung Kunst" am Rande der Altstadt von Guimaraes.

    Das schon etwas baufällige alte Bürgerhaus mit den hohen Stuckdecken und den alten, dunklen Eichenholztüren gehört dem gleichnamigen Kulturverein. Unten im Erdgeschoss proben verschiedene Bands, ein junger Mann gibt Schlagzeugunterricht. Oben in der ersten Etage gelangt man über eine alte Holztreppe zu einem kleinem Büro, einem weiterem Zimmer mit einem alten Flügel und zu einer gemütlichen Kneipe.

    Fatinha, eine feingliedrige, schlanke Frau Mitte 50, schlägt sich als Sängerin, Schauspielerin und Künstlerin durchs Leben. Mit ihrem Vater, einem bekannten Profifußballer der beim örtlichen Verein Vittoria Guimaraes anheuerte, kam sie vor vielen Jahren aus Brasilien nach Portugal. Fatinhas Mission: Sie will den Künstlern in der Stadt Gehör, Stimme und einen Markt verschaffen.

    "Ich möchte, dass sie von ihrer Arbeit leben können. Früher sind die Künstler hungrig gestorben. Daran hat sich nicht viel geändert. Auch heute verdienen sie nicht einmal das Geld, um ihre Miete zu bezahlen. Jetzt haben wir hier auf dem Platz zwar diesen kleinen Künstlermarkt. Aber wir brauchen mehr davon."

    Auf die Stadtverwaltung ist die Mentorin der jungen Künstler von Guimaraes nicht gut zu sprechen.

    "Ich habe das Gefühl, dass die Verantwortlichen im Rathaus ihre Stadt nicht gut kennen. Die kommen nicht auf die Straßen, um nachzusehen, was hier los ist. Der König lebt in seinem Schloss und bekommt dort nicht mit, was sich die Bürger wünschen und was sie machen. So ist es hier mit der Kultur. Die wissen gar nicht, wie viele Talente es gibt."

    Gerade erst hat die Künstlerin Fatinha wieder erlebt, wie schwer es die Stadt den jungen Leuten scheinbar macht.

    "Der Bürgermeister hat uns erlaubt hier den Künstlermarkt zu veranstalten und dann verlangt die Polizei Papiere von mir. Das Wort des Bürgermeisters zählt anscheinend nicht. Dabei sind wir Bürger dieser Stadt. Und Guimaraes ist Europäische Kulturhauptstadt. Da sollten doch vor allem wir, die Künstler, unsere Arbeiten zeigen können."

    Schließlich hat es Fatinha doch noch geschafft, an einem lauen Abend einen kleinen Künstlermarkt auf dem beliebtesten Platz der Altstadt, dem Largo de Oliveira, zu organisieren. An drei, vier Tischen, die zwei Straßencafés den jungen Leuten überlassen haben, bieten sie selbst gemachten Schmuck an: mit bunten Federn dekorierte Ohrringe, Broschen und anderes Kunsthandwerk. Der Verkauf läuft schleppend. In der Wirtschaftskrise halten die Leute ihr Geld zusammen. Die neue portugiesische Regierung hat das schärfste Sparprogramm aller Zeiten verabschiedet: Weihnachtsgeld im öffentlichen Dienst gestrichen und Gehälter gekürzt.

    Fatinha lässt sich nicht entmutigen. Guimaraes geht es noch relativ gut.

    "Fragen Sie doch mal die Verantwortlichen der Stadt, warum es hier keine Straßenmaler und keine Straßenmusiker gibt?"

    Tatsächlich sieht und hört man in Guimaraes keine Straßenmusiker. Abends sind die meisten Gassen still. Nur aus der Musikakademie klingen Trompetentöne. Ein Student übt bei offenem Fenster.

    Mit nicht einmal 60.000 Einwohnern hat Guimaraes nicht nur dank Musikakademie, Kunsthochschule und Uni ein großes kreatives Potenzial. Carlos:

    "Wir haben hier Weltmusiker, Solokünstler, klassische Gitarristen, dann schätze ich mal 20 Heavy Metal und Rock & Roll Bands. Für eine so kleine Stadt sind das wirklich viele. Dann haben wir viele Bands, die abends in den Kneipen spielen, traditionelle Tanzmusik. Dann haben wir eine starke Elektroszene, Dubstep, Drum & Base. Das sind einige Gruppen, die in ganz Portugal spielen, dann einige überregionale DJs und zeitgenössischen Tanz. "

    Erzählen die beiden Musiker Carlos und Juan. Viele Künstler aus Guimaraes sind landesweit bekannt.

    "Aus der traditionellen portugiesischen Musik und den traditionellen Tänzen von hier sind sehr viele Festivals entstanden. Viele spielen dort die traditionellen Dudelsäcke aus Nordportugal. In den vergangenen zwei, drei Jahren ist hier in Portugal eine starke Weltmusikszene gewachsen. Zum Andanca Tanzfestival, das jedes Jahr vier bis sechs Tage dauert, kommen inzwischen 20.000 Leute. Dort gibt es zahlreiche Tanzworkshops, portugiesische, europäische Tänze, alles Mögliche, auch für Kinder. Dann gibt es keltische Musikfestivals und solche, die in verschiedenen verlassenen Dörfern stattfinden. Immer mehr Portugiesen fahren auch in diese aufgegebenen Dörfer."

    Schlagzeuger Mario Goncalves, ein junger Mann mit gestutztem Bart und Piratentuch auf dem Kopf hat sich im Circulo de Arte y Recreo einen kleinen Übungsraum eingerichtet. Er spielt in der Hardrockband "Let The Jam Roll", lebt von Auftritten und vom Unterrichten.

    Mario:

    "In diesem Stück hier geht es um die Wirtschaftskrise, die Leute, die keine Arbeit finden, kein Geld haben und den Politikern nicht trauen."

    Aber wie die meisten Künstler freut er sich auf das Kulturhauptstadtjahr, bleibt aber skeptisch.

    "Die Kulturhauptstadt finde ich gut, weil wir dadurch sehr viele neue Sachen sehen und erleben können. Aber ich weiß nicht, was danach aus all dem werden wird."

    Die anderen beiden Beiträge der Serie "Kulturhauptstadt Guimaraes":

    Kultur statt Leerstand
    Auf den Bürger kommt es an