Dienstag, 19. März 2024

Archiv


Kleist in Dresden

Kleists "Käthchen" hatte es von Anfang an schwer. Die Wiener Uraufführung im März 1810 brachte es auf nur drei Vorstellungen, und zur Buchausgabe zwei Jahre später bemerkte ein Kritiker "Einige Stellen deuten auf wahre Geisteszerrüttung".

Von Hartmut Krug | 11.09.2010
    Clemens Brentano sprach vom "schön hölzernen Käthchen", und Goethe warf das Buch "ins lodernd offene Feuer" des Ofens mit den Worten: "Ein wunderbares Gemisch von Sinn und Unsinn. Die verfluchte Unnatur! Das führe ich nicht auf, wenn es auch halb Weimar verlangt."

    Während Kleist schrieb "Das Käthchen von Heilbronn ist die Kehrseite der Penthesilea, ihr andrer Pol, ein Wesen, das ebenso mächtig ist durch gänzliche Hingebung, als jene durch Handeln", taten sich die Theater mit diesem Kleists "Großem Historischem Ritterschauspiel" um eine Frau, die die Wirklichkeit und den geliebten Mann nach ihrem Bewusstsein zu formen versucht, mit seiner Verknüpfung von Traum-, Märchen- und Ritterspiel sehr schwer. In Dresden wirkt es jetzt in der Inszenierung der jungen Julia Hölscher ganz leicht.

    Dabei beginnt es auch in Dresden mit dem Femegericht. Aber es gibt keine unterirdische Höhle, keine vermummten Ritter, keine Häscher mit Fackeln, sondern nur eine Diskussion im Dreieck. Drei Männer, die über Käthchen entscheiden wollen, stehen vor dem Vorhang und dem Publikum und verhandeln über eine junge Frau, indem sie versuchen mit Rationalität deren unbedingtes, ihr selbst unerklärliches Gefühl zu begreifen.

    Die Regisseurin zeigt dabei Kleists alte Geschichte über den Konflikt zwischen Gefühl und Verstand, die zum Beispiel Botho Strauß noch aus Kleists Biografie begründen zu müssen meinte, ganz unangestrengt als einen auch heutigen vor. Dafür wird deutlich Theater als Spiel ausgestellt, - emotionales Gedankentheater und realistisches Illusionstheater. Auch die Komik mancher Situationen und Dialoge wird betont. So stattet Christian Friedel den Knecht Gottschalk mit ironischer, selbstbewusster Flapsigkeit aus, und indem er diese Nebenfigur zu einer Art bewusstem Narren aufwertet, fügt er ihn wunderbar unerklärlich (wie enorm bühnenwirksam) ein ins offene Suchspiel der Gefühle.

    Julia Hölscher übertreibt es nicht mit den psychologischen Tiefenbohrungen, sondern zeigt einfach Beziehungen zwischen Männern und Frauen, die von Wünschen und Ängsten bestimmt sind. Das ergibt ein flirrend leichtes Erklärtheater, - zugleich ganz aus Kleists Sprache und völlig aus dem Körperspiel der Darsteller geboren. Die Frauen treten in zeitlosen, gestrig-heutigen, fantasievollen Kostümen auf, die Männer tragen meist Anzüge, gelegentlich mit nur einer Eisenfaust über langem Handschuh (Kostüme: Uli Schmid). Mehr historische Anspielung gibt es auch auf der zeichenhaft wunderbaren Bühne nicht. Bühnenbildnerin Esther Bialas braucht für einen Wald nur bodenlange Silberschnüre, stellt für eine Versammlung große bunte Sonnenschirme auf oder öffnet die Bühne zum atmosphärisch leeren (Seelen-) Wüstenraum, und Andreas Barkleit taucht all diese Szenen in wechselnd magisches Licht. Dazu erklingt von fern eine atmosphärische Musik von Tobias Vethake. Das Ganze: ein szenisches Kunstwerk, ein Traum als Bewusstseinsspiel, das uns unsere Vorstellungen von Liebe, Verstehen und Eingestehen mit Witz und Ernst schier zauberisch als belebtes Gedankentheater vorführt.

    Natürlich tritt der Cherub, der das selbstbewusst unbewusste Käthchen aus dem Feuer führt, in dieser Inszenierung nicht auf, und Kunigunde (herrlich: Rosa Enskat) wird nicht als "mosaische Arbeit" gezeigt, sondern als eine sich inszenierende Schönheit, als Projektion männlicher Wünsche.

    Das Ganze: ein homogenes, überzeugendes Ensemblespiel. Ahmad Mesgarha gibt einen witzig verblüfften Kaiser (und tritt, anders als bei Kleist, schon in der Femeszene als Richter auf), während Torsten Ranft Käthchens Vater als wütend tobenden Verzweifelten spielt. Wolfgang Michalek ist als Graf vom Strahl ein Liebender, der mit aller Kraft und mit verzweifelter Grobheit gegen Käthchen seine Liebe zu bekämpfen sucht und manchmal seine Emotionen unartikuliert laut herausschreit. Annika Schilling, barfuß im kurzen blauen Kleid, die Wolljacke an einem Arm herabgezogen, die Finger jungmädchenhaft verknotet, spielt wunderbar sicher die Kleists Käthchen eingeschriebene Unbedingtheit eines Gefühls wie zugleich, wenn sie dies erklären soll, ihr "weiß nit". In Konflikt- oder Erkenntnisszenen holt es sie schnell von den Beinen, und am Schluss, während alle anderen bei der Hochzeitsfeier zu Leonhard Cohens "Take this waltz" über die Bühne tanzen, bleibt sie allein zurück. Mit staunenden Augen sitzt sie vor dem Vorhang, ist bei uns.

    Ein schwieriger Klassiker, nicht dekonstruiert, sondern unangestrengt heutig inszeniert und mit sinnlicher Intelligenz gespielt, das ergibt mit Kleists "Käthchen" in Dresden schieres Theaterglück.