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Kleist-Museum in Frankfurt/Oder
"Uns geht es um Inszenierungsgeschichte"

Wie wurde Kleist in Ost und West inszeniert und damit auch instrumentalisiert? Dieser Frage geht das Kleist-Museum in Frankfurt/Oder nach. Denn sowohl in West und Ost wurden Stücke von Kleist zensiert, sagte ihr künstlerischer Leiter Oliver Spatz im Deutschlandfunk.

Oliver Spatz im Gespräch mit Michael Köhler | 07.10.2015
    "Inszenierungen im geteilten Deutschland" wird gegenwärtig im Kleist-Museum in Frankfurt/Oder ausgestellt
    "Inszenierungen im geteilten Deutschland" wird gegenwärtig im Kleist-Museum in Frankfurt/Oder ausgestellt (imago/Winfried Mausolf)
    Michael Köhler: Er, um den es jetzt geht, steht zwischen Klassik und Romantik, wie er überhaupt zwischen den Stühlen sitzt, steht, liegt, rennt, dichtet: der Dramatiker und Prosaist Heinrich von Kleist. Vor zwei Jahren ist in seiner Geburtsstadt Frankfurt an der Oder, die zu Kleists Zeiten eine Garnisonsstadt war, das dortige Kleist-Museum um einen Neubau erweitert worden. Auch der Bund hat seine institutionelle Förderung inzwischen wieder aufgenommen. Kulturstaatsministerin Monika Grütters hat die Ausstellung, um die es jetzt gehen wird, gestern eröffnet.
    Oliver Spatz ist künstlerischer Leiter des Kleist-Festes in diesem Jahr. Ihn habe ich gefragt: Lassen Sie uns einen wichtigen Punkt herausgreifen, nämlich die sehr unterschiedliche Aufnahmerezeption des Kleist´schen Werks in Ost und West. Wie zeigen Sie das, wie tun Sie das?
    Oliver Spatz: Die Ausstellung, die in diesem Jahr die Kleist-Festtage thematisch bestimmt, ist im Kleist-Museum der Frage nachgegangen, wie weit Prinz Friedrich von Homburg als Theaterstück instrumentalisiert wurde in West- und Ostdeutschland. Das ist ein offenes Forschungsgebiet und es ist eigentlich erstmalig, dass ein Museum, bevor überhaupt die wissenschaftliche Forschung so weit ist, sich so einem Thema nähert. Und wir haben vom Kleist-Forum aus dazu Programm gemacht, nämlich weil wir sagen, das Hauptthema bei Prinz Friedrich von Homburg ist Gehorsam, und haben dazu Theateraufführungen, Filme, Konzerte und weitere Veranstaltungen programmiert. Die Klammer heißt für uns Gehorsam auch, weil natürlich sowohl in West wie in Ost es mich sehr überrascht hat, vor allen Dingen im Westen, wie vorauseilend dieses Stück zensiert wurde, dieses Stück instrumentalisiert wurde, dieses Stück politisch ausgerichtet wurde, und das ist ganz verblüffend zu sehen, dass am Hamburger Schauspielhaus dann 17 Programmheftseiten auf einmal fehlten zur Premiere in vorauseilendem Gehorsam. Und dass Künstler auch nicht ganz frei sind von diesem vielleicht doch etwas altmodischen Begriff Gehorsam, das zeigen wir eben auch mit Theateraufführungen.
    Köhler: Ihnen geht es um Inszenierungsgeschichte?
    Spatz: Dem Museum geht es um Inszenierungsgeschichte. Dem Festival geht es um die Gegenwart, die Gegenwärtigkeit des Begriffs Gehorsam, und das lässt sich beim Afghanistan-Soldaten, beim Heimkehrer oder dem, der gerade aufbricht mit der deutschen Bundeswehr, genauso ablesen wie in Inszenierungen. Wir haben auch von den Hamburger Kammerspielen Robert Stadlober da morgen mit "Private Peaceful", auch eine Kriegsgeschichte, und wir machen eine Bustour durch die Region zum Thema, wie hat sich Gehorsam und Ungehorsam in der Landschaft verewigt. Insofern geht es mehr um die Gegenwart und das immer noch vorhanden sein von Gehorsam hier in der märkischen Ebene.
    Kunstgriff um DDR- und BRD-Inzenierungen darzustellen
    Köhler: Herr Spatz, lassen Sie uns ein bisschen über diesen sehr deutschen Dichter Heinrich von Kleist, der 1777 in Frankfurt an der Oder geboren wurde, sprechen, ein Offizierssohn im Pommerschen. In meiner zweibändigen uralten DDR-Klassikerausgabe, der BDK-Ausgabe - vielleicht kennen Sie die, in dünnem Leinen gebunden; die war damals spottbillig und als Schüler oder Student war das natürlich eine prima Sache -, da fehlte was. Da fehlte nämlich die Hermannsschlacht, weil sie von der DDR als protofaschistisch eingestuft wurde. Das war typisch, denn - damit sind wir bei Ihrem Thema - die DDR interessierte sich natürlich für den Rebellen in Kohlhaas, den Dichter des gedemütigten Menschen, und da galt die Hermannsschlacht als faschistisch. 1933 sind, glaube ich, 150 Inszenierungen allein im Reich gelaufen. Wie wird das bei Ihnen ersichtlich in der Ausstellung?
    Spatz: Die Ausstellung macht einen ganz klugen Kunstgriff, dass sie sozusagen die Inszenierungen aus der BRD und der DDR wie in so Road Cases, als würden die jetzt alle auf Tournee sein gerade, tut und man kann mit kleinen, ganz einfachen Kniffen - es gibt iPads darin - auf diese Tournee gehen, sich begeben und sehen, wohin man damals mit Inszenierungen wollte, und kann das ins Verhältnis setzen zu dem, was wir heute möchten von diesen Texten, wie wir heute diese Texte lesen und damit auch auf der Bühne umgehen.
    Köhler: Er war ein Dichter, der was gegen militärische Hierarchie hatte. Dieser ungehorsame Prinz von Homburg ist ja auch ein Mann, der zwischen Gesetz und Gefühl schwankt. Aber es ist ein sehr deutscher Dichter, weil er sich auch in seinen Komödien im Übrigen, im zerbrochenen Krug oder im Amphitryon, immer so darstellt: Wer bin ich, was bin ich, woher weiß ich, was ich bin, was gehört zu mir. Ein sehr deutscher Dichter?
    Spatz: Ein sehr deutscher Dichter und auf eine Weise unser Hausdichter, weil wir dieser Suche nach der eigenen Rolle in einem größeren Gefüge hier eigentlich in Brandenburg täglich begegnen: Wer entscheidet hier über die Vergabe von Fördermitteln? Wer entscheidet darüber, ob ein Krankenhaus geöffnet bleibt oder geschlossen wird? Und wer entscheidet, ob überhaupt noch Kunst gemacht werden soll in einem Land, das stark betroffen ist von wirtschaftlichem Rückzug, demografischem Wandel, aber eigentlich im Grunde auch von Abwanderung. Und deswegen ist das ein Dichter, der eigentlich auch heute relevant ist als, ich sage mal, ein Seismograf dafür, wie diese Stadt sich fühlt, und diese Depression durch den Prinz Friedrich von Homburg auch. Er ist ein bisschen verknallt, ja, er ist ein bisschen romantisch, aber er ist auch schwer traumatisiert, und das ist eigentlich eine ganz zeitgenössische Figur, der wir hier, der ich hier oft begegne, Tag für Tag.
    Köhler: Ein Letztes, Herr Spatz. Bund und Land und Stadt fördern das Haus. Was soll es, wenn es nach Ihnen geht, nach Ihren Wünschen geht, werden, eine Art Marbach in Brandenburg, ein Forschungsmuseum?
    Spatz: Ja! Das wünschen wir uns alle. Das wäre ganz toll, wenn hier Forschung stattfindet. Wir haben ja auch eine Tagung parallel zu den Kleist-Festtagen, sodass es eigentlich ein Autor ist, der uns hier am Leben erhält.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.