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Klimabericht für Ostsee-Raum
Im Norden weniger Eis, im Süden weniger Regen

Die Berichte des Weltklimarates IPCC gehören zu der Art Publikationen, über die unter Experten, in der Öffentlichkeit und in den Medien kontrovers diskutiert wird, die aber nur die wenigsten tatsächlich gelesen hat. Besser ergeht es hoffentlich dem "kleinen IPCC-Report" für den Ostsee-Raum. Dessen Fazit: Die Anrainerstaaten müssen sich auf spürbare Veränderungen gefasst machen.

Von Volker Mrasek | 30.06.2015
    Über 140 Autoren haben am neuen Klima-Report für den Ostsee-Raum mitgewirkt. Auch Marcus Reckermann vom Helmholtz-Zentrum Geesthacht bei Hamburg. Dort leitet der Meeresbiologe das Sekretariat des Ostsee-Forschungsnetzwerks Baltic Earth.
    "Die Trends, die wir bis jetzt sehen, sagen, dass es im Ostsee-Raum insgesamt in den letzten 100 Jahren etwa ein Grad wärmer geworden ist, im Frühling sogar 1,5 Grad. Und die Modelle sagen uns, dass dieser Trend weitergehen wird - und sich wahrscheinlich sogar beschleunigen wird."
    Wie stark der Erwärmungstrend ausfällt, hängt davon ab, welche Mengen Treibhausgase der Mensch noch in die Luft bläst. Für den neuen Bericht rechneten die Forscher mögliche Szenarien für das Jahr 2100, mit 13 verschiedenen Klimamodellen:
    "Und dann sagen die Modelle für den Winter sogar eine Spannbreite von vier bis acht Grad für die Lufttemperatur, im Sommer 1,5 bis vier Grad voraus."
    Im Winter ist der Effekt so groß, weil die Eis- und Schneebedeckung zu dieser Jahreszeit um mehr als die Hälfte zurückgehen könnte - und die Erdoberfläche dann nicht mehr so viel Sonnenlicht reflektiert.
    Nicht nur die Luft erwärmt sich, sondern auch das Oberflächenwasser der Ostsee. Seine Temperatur könnte im Laufe des Jahrhunderts um zwei Grad Celsius zulegen, in den nördlichen Ostseebecken sogar doppelt so stark. Gleichzeitig steigt der Meeresspiegel. Die Wissenschaftler rechnen hier mit einem Plus von 40 bis 100 Zentimetern bis Ende des Jahrhunderts, hauptsächlich durch die wärmebedingte Ausdehnung des Meerwassers. Dazu Hans von Storch, Direktor am Institut für Küstenforschung im Geesthachter Helmholtz-Zentrum:
    "Erstens: Es wird wärmer. Und daher wird es weniger Meereis geben in der Ostsee. Und zweitens: Der Meeresspiegel steigt. Und da es weniger Meereis gibt im Winter, wird es an den Küsten, an denen es bisher regelmäßig Meereis gab, eine stärkere Erosion geben. Weil dann die Winterstürme nicht mehr übers Eis gehen, sondern übers Meer. Und da gibt's Seegang und stärkere Strömungen, und das nagt dann an den Kliffs und Stränden."
    Doch nicht nur das. Steigt der Meeresspiegel, können Sturmfluten tiefer an Land vordringen - auch an der deutschen Ostsee-Küste. Von Veränderungen sei auch beim Niederschlag auszugehen, sagt Marcus Reckermann:
    "Da sagen uns die Modelle, dass wir für den gesamten Ostsee-Raum eher eine Erhöhung der Niederschläge haben. Es wird wohl nasser werden. Aber im Sommer, speziell im südlichen Bereich, also Deutschland, Polen, da, wo wir leben, ist die Wahrscheinlichkeit schon hoch, dass es da trockener wird. Dass es da also auch für die Landwirtschaft Anpassungsbedarf geben wird."
    Apropos Landwirtschaft: Von Äckern fließen immer noch zu viele Düngemittel ab und landen am Ende in der Ostsee. Dort führen sie zu Algenblüten. Wenn die Pflanzen absterben, sinken sie zum Meeresgrund und werden zersetzt - ein Prozess, der sehr viel Sauerstoff aufzehrt. In der Folge entstehen sogenannte Todeszonen in den tiefen Becken der Ostsee, die praktisch sauerstofffrei sind.
    Auch hier wirkt sich der Klimawandel nach den Erkenntnissen der Forscher negativ aus, da Algen in wärmerem Wasser besser gedeihen. Sodass ...
    "... selbst, wenn wir die Einträge von Nährstoffen sehr schnell reduzieren, es durch die Erwärmung eben sehr viel später erst einen Effekt geben wird."
    Die sauerstoff-freien Zonen könnten sich infolge der Erwärmung sogar noch weiter ausdehnen, heißt es im neuen Bericht. Darunter würde das marine Ökosystem leiden - und mit ihm auch der Dorsch, einer der wichtigen Speisefische in der Ostsee. Er hat wichtige Laichgebiete in den tiefen Meeresbecken, und die könnten weiter zusammenschrumpfen.
    Von dem Klimabericht wird jetzt noch eine Kurzfassung erstellt. Wie Hans von Storch sagt, soll sie am Ende in allen neun Sprachen der Ostsee-Anrainerstaaten vorliegen:
    Man könnte sich natürlich denken: Wenn die Gemeindeverwaltung in Kühlungsborn ... das weiss ich nicht, ob die das vorhat, aber wenn die ... vorhätte, eine neue Strandanlage anzulegen, dann wär' es vielleicht ganz vernünftig, dass man da 'mal reinguckt, welche Schwierigkeiten denn da auftreten könnten oder auch nicht. Das heißt, wir haben eigentlich ein sehr gutes Wissen, um Anpassungsmaßnahmen begleiten zu können. Nur es nimmt nicht die einfache Form an: Es sind 77 Zentimeter Meeresspiegel-Anstieg in Danzig im Jahr 2095."