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Klimaerwärmung
0,5 Grad - Kleine Differenz, große Wirkung

Die Vertragsstaaten der Pariser Klimaschutzvereinbarung haben sich das Ziel gesetzt, die Erderwärmung auf unter zwei Grad zu begrenzen im Vergleich zur vorindustriellen Zeit. Und alle Partner sind sich einig, dass die Erwärmung schon bei anderthalb Grad stoppen sollte. Was macht schon ein halbes Grad, mag sich mancher denken. Viel! - sagt ein internationales Forscherteam.

Von Volker Mrasek | 22.04.2016
    Ausgetrockneter Boden
    Ausgetrockneter Boden (AFP PHOTO / Nelson Almeida)
    Ja, es macht einen Unterschied, ob sich die Erdatmosphäre um 1,5 oder um zwei Grad Celsius erwärmt. In manchen Weltregionen kann dieser Unterschied sogar sehr groß sein. Zu diesem Schluss kommen die Autoren der neuen Vergleichsstudie. Im Computer simulierten sie, wie es zum Beispiel für die Wasserversorgung und Ernteerträge in den beiden Welten aussähe - bei anderthalb und bei zwei Grad plus. Dazu benutzten die Forscher sogenannte Klima-Impaktmodelle.
    Der Niederländer Michiel Schaeffer, einer der Autoren, stellte die Ergebnisse jetzt in Wien vor, auf der Jahrestagung der Europäischen Geophysikalischen Gesellschaft:
    "Wir sehen, dass sich die Tropen als ein Hot-Spot herausstellen. Bei zwei Grad plus würden sie die Grenze zu einem neuen, noch nicht erlebten Klima-Regime überschreiten."
    Hitzewellen und Trockenperioden dauerten dann länger als in einer 1,5-Grad-Welt. Das würde sich der Studie zufolge auch auf die Getreideernte in tropischen Ländern auswirken. In Westafrika und Mittelamerika könnten die Mais- und Weizen-Erträge doppelt so stark einbrechen. Und das bei nur einem halben Grad mehr im globalen Durchschnitt.
    Eine weitere Modellregion in der neuen Studie ist der Mittelmeer-Raum. Hier prophezeien die Forscher einen Rückgang der Niederschläge um 17 Prozent, sollte die Zwei-Grad-Welt wahr werden. Viel geringer sei das Wasserdefizit bei einem halben Grad weniger. Dann betrage es nur die Hälfte.
    Unterschiede gebe es auch in der Reaktion von Ökosystemen, so der Biophysiker und Meteorologe:
    "Was zum Beispiel tropische Korallenriffe angeht, muss man sagen: Bei zwei Grad sind sie praktisch alle gefährdet. Bei 1,5 wird es zwar auch schon für 90 Prozent der Riffe bedenklich. Aber hier könnten es Korallen nach unseren Modellen noch schaffen, sich auf die Erwärmung einzustellen und auch am Ende des Jahrhunderts noch da zu sein."
    Anders sieht es offenbar bei Gebirgsgletschern aus. Ben Marzeion, Professor für Klimageographie an der Universität Bremen, gibt viele der Landeismassen schon jetzt verloren. Ob sich die Erde um 1,5 oder zwei Grad erwärme, spiele keine große Rolle. 50 bis 60 Prozent der Gletscher seien nicht mehr zu retten, sagte Marzeion jetzt auf der Wiener Fachtagung:
    "Selbst wenn die globale Erwärmung sofort stoppte, würden Gebirgsgletscher trotzdem weiter schmelzen und etwa 30 Prozent ihrer Masse verlieren. Sie reagieren noch lange auf heute schon vorhandenes Kohlendioxid in der Atmosphäre. Wir haben diese Eisverluste längst angestoßen. Sie sind nur noch nicht vollständig umgesetzt."
    Beim Anstieg des Meeresspiegels wiederum wäre ein Erwärmungsstopp bei 1,5 Grad Celsius nützlich. Er fiele dann im Durchschnitt zehn Zentimeter geringer aus als in einer Zwei-Grad-Welt, so die neue Studie von Michiel Schaeffer und seinen Kollegen. Das Fazit der Forscher: Die Folgen des Klimawandels ließen sich auf jeden Fall abmildern, wenn es gelänge, die Reißleine schon bei 1,5 und nicht erst bei zwei Grad zu ziehen. Manche hatten behauptet, das mache keinen großen Unterschied.
    Vielleicht spielt das alles aber auch letzten Endes gar keine Rolle. Denn nach jetzigem Stand ist keines der beiden Temperaturziele mehr zu schaffen. Dafür tun die Staaten einfach zu wenig. Die Maßnahmen, die sie auf dem Klimagipfel in Paris zusagten, reichen bei weitem nicht aus. Erwan Monier hat das in Wien noch einmal bekräftigt. Er forscht am Massachusetts Institute of Technology in den USA:
    "Die Wahrscheinlichkeit, dass wir über das Zwei-Grad-Ziel hinausschießen, ist äußerst hoch. Sie liegt bei 95 Prozent. Das Abkommen von Paris geht eher in Richtung drei bis dreieinhalb Grad."
    Die Staatengemeinschaft muss also rasch nachbessern. Sonst ist selbst die Zwei-Grad-Welt schon bald außer Reichweite.