Donnerstag, 25. April 2024

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Klimaforscher bemängelt "Abwesenheit eines verlässlichen Grenzwertes"

Laut Thomas Peter resultieren die Unterschiede in der Bewertung der Messergebnisse einerseits aus der ungleichmäßigen Verteilung der Aschewolke in Europa. Auf der anderen Seite gebe es auch keinen einheitlichen, verlässlichen Grenzwert.

Thomas Peter im Gespräch mit Dirk Müller | 21.04.2010
    Dirk Müller: Einmal fliegen sie, dann fliegen sie wieder nicht. Es gibt offizielle Flugverbote, es sei denn, die Piloten bewegen sich auf Sicht im Luftraum. Der europäische Luftraum steht auch heute Morgen noch ganz im Schatten der isländischen Vulkanasche, aber es soll jetzt besser werden, auch in Deutschland. Dazu Christine Kellek von der Deutschen Flugsicherung.

    O-Ton Christine Kellek: Der Norden, Bremen, Hamburg und die beiden Berliner Flughäfen, sind ja schon seit heute Nacht geöffnet, bleiben dies auch vorerst. Wir werden gegen Mittag sukzessive auch im mittleren deutschen Raum weitere Flughäfen öffnen, vielleicht auch gegen Mittag Stuttgart und Frankfurt, dann etwas später am Nachmittag auch den Süden. Wir haben keine festen Zeiten dafür bekannt gegeben, weil wir einfach die exakte Wetterlage zur entsprechenden Zeit abwarten möchten. Aber es sieht insgesamt sehr gut aus.

    Müller: Christine Kellek mit Optimismus von der Deutschen Flugsicherung. – Aber jedes europäische Land hat in den zurückliegenden Tagen die Flugpraxis anders geregelt, auch anders als die Nachbarn, als die direkten Nachbarn, die oft nur wenige Kilometer entfernt operierten. Chaos und Verwirrung: In Deutschland durfte für ein paar Stunden abgehoben werden, in Großbritannien wiederum nicht, dann wieder doch. In Österreich gibt es Flugfreiheit, ebenso in der Schweiz. Keine Starterlaubnis hingegen in Dänemark. Welche Asche- und Wetterkriterien sind denn nun entscheidend für den Flugverkehr in der aktuellen Situation? – Darüber sprechen wollen wir mit Professor Thomas Peter vom Institut für Atmosphäre und Klimaforschung an der ETH in Zürich. Guten Morgen!

    Thomas Peter: Guten Morgen, Herr Müller!

    Müller: Herr Peter, machen Wind und Wolken vor Landesgrenzen Halt?

    Peter: Nein! Das wissen wir natürlich alle: Sie machen nicht vor Landesgrenzen Halt und leider eben auch nicht die vulkanischen Aerosolteilchen.

    Müller: Haben Sie eine Erklärung dann für diese Verwirrung?

    Peter: Ja, die habe ich in der Tat. Es ist eine einmalige, erstmalige Situation, vor die hier alle teilnehmenden Parteien gestellt sind. Das heißt also, während es in der Vergangenheit natürlich oft schon Vulkanausbrüche gab, auch heftige Vulkanausbrüche mit starken Aerosolbeladungen in der Atmosphäre, war doch immer dann die Weisung auch durch die Flugzeugbauer, um Vulkanwolken tunlichst herumzufliegen und nicht hineinzufliegen. Wenn nun eine solche Wolke, was hier dann das erste Mal in dieser Größenordnung passiert ist, praktisch einen ganzen Kontinent bedeckt, gut, dann sind wir vor eine neue Situation gestellt. Von daher habe ich für das Chaos ein gewisses Verständnis. Es bestand keine Vorbereitung darauf.

    Müller: Aber wie kommt es, dass unterschiedliche Regionen, dass unterschiedliche Messstationen andere Ergebnisse gebracht haben?

    Peter: Zum einen, wenn Sie sagen, unterschiedliche Messstationen andere Ergebnisse, dann liegt das natürlich daran: obwohl die Verfrachtung dieses Materials vor Landesgrenzen keinen Halt macht, besteht natürlich trotzdem keine komplette Homogenität im europäischen Flugraum, keine gleichmäßige Verteilung. Es gibt da schon Unterschiede. Allerdings: Diese Unterschiede werden nicht so ohne Weiteres eins zu eins sich abbilden in Erlaubnis oder Verbot von Flügen. Hier sind einfach Menschen am Werk, die sehr schwierige Entscheidungen machen müssen. Von daher habe ich größtes Verständnis für die Ämter, die dahinter stehen. Sie stehen unter dem Druck von allen möglichen Seiten: zum einen, die Sicherheit absolut gewährleisten zu müssen, zum anderen dies nicht in übertriebener Art und Weise machen zu dürfen, weil dadurch natürlich immense Kosten auflaufen.

    Müller: Herr Peter, reden wir über Österreich und die Schweiz. Sie sitzen ja in Zürich. Nennen wir es mal die beiden Alpenländer, aus der deutschen Perspektive jedenfalls respektvoll gemeint. Warum war dort Flugfreiheit gegeben? Gab es dort keine Glas- und Lavapartikel?

    Peter: In der Schweiz wurde ja gestern begonnen, der Flugraum wieder geöffnet zu sein, und in der Tat haben wir mit unseren Messungen, die wir hier über Zürich ausgeführt haben und die die Meteo Schweiz in Payerne ausgeführt hat, seit der Nacht davor praktisch keine Indizien mehr für noch vorhandene vulkanische Aerosolpartikel.

    Müller: Und auf der deutschen Seite des Bodensees hat man das anders gesehen. Ist das erklärbar?

    Peter: Nein, das ist wahrscheinlich so nicht erklärbar, also nicht naturwissenschaftlich erklärbar, sondern wirklich dadurch erklärbar, dass hier andere Einschätzungen vorliegen, und das hängt zusammen mit der Abwesenheit eines verlässlichen Grenzwertes. Das heißt also, selbst wenn jetzt von wissenschaftlicher Seite aus eine komplette akkurate Kartografierung des europäischen Flugraums vorgelegen hätte, das heißt also, selbst wenn wir zu jedem Zeitpunkt gewusst hätten, in dem, dem und dem Kubikkilometer Luft befindet sich so und so viel Aerosol zu dem und dem Zeitpunkt, selbst dann hätten wir ja nicht gewusst, was genau mit dieser Information zu tun ist. Zurzeit wird sich, denke ich, jeder Turbinenhersteller hüten, über den eigenen Flugzeugmotor eine genaue Angabe zu machen, so und so viel ist möglich, so und so viel sollte nicht gemacht werden.

    Müller: Wenn wir, Herr Peter, bei diesen Vulkanaerosolen bleiben. Die haben sich ja überall verteilt. Warum ist es dann verantwortbar, auf Sichtflug zu gehen?

    Peter: Das ist mir selber auch ein Rätsel, wie es zu dieser Entscheidung kommt. Hier irgendwie die natürlichen Wasserwolken oder so umfliegen zu wollen, scheint mir nicht besonders naheliegend zu sein. Zwar kann in denen eine höhere Konzentration vorliegen, weil die natürlich praktisch die Aerosolpartikel aufsammeln, aber das dann mit Sichtflug zu regeln, verstehe ich persönlich nicht.

    Müller: Weil die Gefahr auch irgendwo überall lauert?

    Peter: Weil die Gefahr auch letztlich überall irgendwo lauert, weil die Aerosolpartikel nur mit Messmethoden nachzuweisen sind und nicht mit bloßem Auge erkannt werden können, und diese Messmethoden waren nicht darauf vorbereitet, diese Messungen so zu machen, wie gesagt eine uns überfordernde erstmalige solche Situation, und von daher großes Verständnis meinerseits für den klaren Beschluss der Behörden, über längere Zeiten den Flugraum geschlossen zu halten.

    Müller: Wenn wir auf den nächsten Vulkan schauen, der potenziell ausbrechen könnte, ausbrechen wird, welche Konsequenzen schlagen Sie vor?

    Peter: Ich denke, wir sollten besser darauf gewappnet sein, dass solche Situation so oder so ähnlich tatsächlich wieder auftreten können. Von daher wäre es wahrscheinlich schon mit verhältnismäßig moderaten Mitteln möglich, hier vorbereitet zu sein, das heißt also Messungen darauf installiert zu haben, die dann sozusagen nur angeschaltet werden müssen. Ein Problem bestand ja einfach darin, die wissenschaftliche Maschinerie sozusagen auf Touren zu kriegen, was – so können Sie es sich wirklich ganz genau vorstellen – letztlich darin resultierte, dass Mitarbeiter, Doktorierende und so weiter, sich in freier Arbeit, unbezahlter Arbeit die Nächte um die Ohren geschlagen haben, um diese Messungen zu machen. Das zeigt einfach, hier ist ein gewisses Vakuum und es wäre gut, dieses zu füllen. Es kann mit verhältnismäßig kleinem Aufwand hier schon ein großer Effekt und eine große Hilfe erreicht werden. Was ich nicht genau weiß hingegen ist, wie das dann auf der Triebwerksseite aussieht, das heißt also, wie die Triebwerksbauer zu Schlüssen darüber kommen, wie viel dieser Belastung für die Triebwerke verkraftbar ist und problemlos verkraftbar ist, oder wie viel ein Problem darstellt.

    Müller: Bei uns im Deutschlandfunk Professor Thomas Peter vom Institut für Atmosphäre und Klimaforschung an der ETH in Zürich.