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Klimaforschung
Hitzewellen auf See

Wie stark steigt der Meeresspiegel? Wie sauer werden die Ozeane in Zukunft sein? Diese Fragen waren für Klimaforscher bisher vorrangig. Jetzt entdecken sie auch die sogenannten marinen Hitzewellen. Die sind nicht nur für die Fischerei bedenklich, sondern gefährden auch das Meeresökosystem.

Von Volker Mrasek | 25.02.2016
    Ein ausgewachsener Hummer unter Wasser in Abwehrhaltung vor einer Sandsteinwand des Helgoländer Felssockels.
    Der Hummer kann sich nicht mehr richtig vermehren, wenn es zu warm wird (dpa / Udo Schilling / Alfred-Wegener-Institut)
    Hillary Scannell ist Ozeanografin an der Universität von Washington in den USA. Und die einzige Forscherin, die zu einem Interview über marine Hitzewellen bereit war. Kollegen in Australien und Schottland dagegen wollten sich per sé nicht äußern. Weil sie in Kürze gemeinsam in einem renommierten Wissenschaftsjournal veröffentlichen möchten, wie sie sagen. Und da seien Interviews im Vorfeld nicht gerne gesehen. Wie auch immer: Laut Hillary Scannell entsteht hier im Moment ein neues Forschungsfeld:
    "Bisher hat die Klimaforschung Hitzewellen im Meer nicht so recht wahrgenommen. Weil sich solche Wärme-Episoden aber immer mehr häufen, schenkt man ihnen jetzt größere Beachtung."
    Wie stark steigt der Meeresspiegel? Wie sauer werden die Ozeane in Zukunft sein? Diese Fragen waren für Klimaforscher bisher vorrangig. Jetzt entdecken sie auch die sogenannten marinen Hitzewellen.
    "Sie sind ganz analog zu Hitzewellen an Land und gekennzeichnet durch eine Erwärmung des Wassers an der Meeresoberfläche. Auch marine Hitzewellen haben eine gewisse zeitliche und räumliche Ausdehnung. Im Sommer 2012 zum Beispiel gab es eine Hitzewelle im Nordwest-Atlantik. Die Wassertemperaturen waren drei Monate lang ein bis drei Grad höher als normal, auf einer Fläche so groß wie die USA."
    Solche Temperaturschübe beeinträchtigen das Meeresökosystem und auch die Fischerei. Das macht sie so bedenklich:
    "Marine Hitzewellen machen der Fischerei oft zu schaffen. Es kann sein, dass sich kommerziell genutzte Fischarten oder Hummer nicht mehr richtig vermehren, wenn das Wasser zu warm ist. Oder dass sie abwandern, weil Organismen sterben, von denen sie sich ernähren. Meerestiere und -pflanzen reagieren generell sehr sensibel auf eine Zunahme der absoluten Wassertemperatur, sodass sich die Lebensgemeinschaften verändern."
    Mangelnde Durchmischung des Meeres verursacht Hitzewellen
    Die Hitzewellen im Meer haben zunächst einmal natürliche Ursachen. Das beste Beispiel dafür ist der tropische Pazifik. Dort gibt es seit jeher warme und kalte Phasen, besser bekannt als El Nino und La Nina. Alle paar Jahre wechseln sie sich ab. Derzeit herrschen El-Nino-Bedingungen. Die berühmten Passatwinde über dem Pazifik sind abgeflaut, das Meer wird nicht mehr richtig durchmischt. Die Folge: Im tropischen Ost-Pazifik kommt kein kaltes Tiefenwasser mehr hoch, die Meeresoberfläche erwärmt sich - so entsteht eine Hitzewelle vor der Küste Chiles.
    Hinzu kommt aber inzwischen auch noch der Erwärmungstrend durch den Klimawandel. Er setzt noch eins drauf. Das zeigt sich in Messdaten aus dem Nord-Atlantik und Nord-Pazifik. Die Hillary Scannell jetzt analysiert hat. Sie reichen bis 1950 zurück und stammen vor allem von Schiffen, später auch von Satelliten:
    "Wenn wir nur die natürlichen Klimaschwankungen betrachten, dann würden wir erwarten, dass marine Hitzewellen etwa alle fünf Jahre auftreten. Wir beobachten aber, dass sie seit Mitte der 70er-Jahre häufiger geworden sind. Das deckt sich genau mit dem Zeitpunkt, an dem die Ozeane begannen, sich stärker zu erwärmen."
    Noch beeindruckender sind die Daten der australischen Meeresforscher. Die wollen zwar im Augenblick nichts dazu sagen. Doch ihre Ergebnisse haben sie schon einmal auf einem Workshop vorgestellt.
    Zahl der Hitzetage auf See heute viermal so hoch wie vor 100 Jahren
    Demnach treten marine Hitzewellen inzwischen doppelt so häufig auf wie noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Und sie dauern auch doppelt so lange. Die Zahl der Hitzetage auf See sei heute fast viermal so hoch wie damals - bis zu 40 pro Jahr, so die Forscher.
    Hillary Scannell geht davon aus, dass sich dieser Trend noch verstärkt:
    "Wenn die globale Erwärmung weiter so anhält, werden diese Hitzewellen noch häufiger. Und das Meeresökosystem und die Fischerei werden noch stärker unter ihnen leiden. Wir müssen uns auf solche Veränderungen einstellen."