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Klimagerechtigkeit
Nichtstun ist ein Fall für die Justiz

Wenn Staaten sich nicht für die Senkung des CO2-Ausstoßes einsetzen würden, müssten Gerichte des jeweiligen Staates ihm dieses vorschreiben, schlägt der Rechtsphilosoph Thomas Pogge von der US-University Yale vor. Er gehört einer Juristengruppe an, die Staaten eindringlich auffordert, Maßnahmen gegen den Klimawandel einzuleiten.

Thomas Pogge im Gespräch mit Jule Reimer | 15.09.2015
    Prof. Dr. Thomas Pogge, Philosophieprofessor Yale University
    Prof. Dr. Thomas Pogge, Philosophieprofessor Yale University (imago/Reiner Zensen)
    Jule Reimer: Vergangenen Juni geschah in den Niederlanden etwas Einmaliges. Ein niederländisches Gericht verurteilte nach einer Klage der holländischen Umweltorganisation Orgenda die eigene Regierung, mehr gegen den Klimawandel zu tun. Sie müsse den Treibhausgas-Ausstoß des Landes bis zum Jahr 2020 um mindestens ein Viertel reduzieren. Die Begründung: Die Regierung sei verpflichtet, die eigenen Bürger vor Gefahren zu schützen. Dazu gehörten auch die Gefahren des Klimawandels und dem damit verbundenen Anstieg des Meeresspiegels, und von dem sind die Niederlande als ein unter dem Meeresspiegel liegendes Land besonders betroffen.
    Ein Zusammenschluss international renommierter Juristen hat dieses Ereignis aufgegriffen und sagt jetzt, kein Staat darf es in sein Belieben stellen, ob er etwas gegen den Klimawandel tut oder nicht. Der Rechtsphilosoph Thomas Pogge von der US-University Yale ist Teil dieser Juristengruppe. Ich fragte ihn kurz vor dieser Sendung in Berlin, ob es völkerrechtlich irgendeine Basis für diese These gibt.
    Thomas Pogge: Ja, es gibt sicherlich verschiedene Grundlagen für diese These, insbesondere die Menschenrechte. Wir sind alle schon auf die Menschenrechte verpflichtet und es ist ganz klar, wenn die Staaten einfach so weiter emittieren, wie sie das bisher getan haben, dass dann eine Klimakatastrophe droht, die die Menschenrechte von Milliarden von Menschen gefährden wird.
    Reimer: Auf der anderen Seite gibt es auch viele Wissenschaftler, die schon vor dem Klimawandel warnen, aber sagen, wir wissen jetzt nicht, wie schlimm es wird, es könnte sehr schlimm werden.
    Pogge: Ja, das ist richtig. Aber es ist natürlich so, wenn eine Gefahr droht mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit und wir nicht wirklich abschätzen können, wie hoch diese Wahrscheinlichkeit ist und wie groß die Gefahr ist, selbst dann müssen wir Vorsichtsmaßnahmen ergreifen und versuchen, die Bevölkerung der Welt vor diesen Auswirkungen zu schützen, auch wenn sie nur wahrscheinlich und nicht sicher sind.
    Hohe CO2-Emittenten in die Pflicht nehmen
    Reimer: Und welche Staaten sehen Sie da in welcher Form in der Pflicht?
    Pogge: Insbesondere diejenigen Staaten, die mehr emittieren als vereinbar wäre mit einer Abwendung der Klimakatastrophe. Das sind vor allen Dingen in erster Linie Australien und die Vereinigten Staaten, die so bei 17 Tonnen pro Person liegen, aber dann natürlich auch die europäischen Staaten und sogar China. Wir liegen jetzt im Moment so um die neun, zehn, elf Tonnen pro Person. Das ist immer noch viel zu viel.
    Reimer: Und wie viel dürfte man?
    Pogge: Na ja. Wir haben jetzt weltweit fünf Tonnen pro Person und wir müssen diese fünf Tonnen graduell reduzieren um ungefähr sechs Prozent pro Jahr, um unter der Zwei-Grad-Grenze zu bleiben.
    Reimer: Diese Juristengruppe macht in ihren Ausführungen allerdings auch eine Einschränkung. Sie sagen: Alle Staaten müssen Emissionen so weit reduzieren, wie es ihnen ohne erhebliche zusätzliche Kosten möglich ist. Wir hatten ja hier in der Bundesrepublik gerade in den letzten Monaten die Auseinandersetzung über den Umgang mit Braunkohlekraftwerken, die besonders klimaschädlich sind, und der Bundesverband der Deutschen Industrie argumentiert natürlich auch mit der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie und die Gewerkschaften, insbesondere die IG Bergbau, Chemie, Energie warnt vor Arbeitslosigkeit in den Braunkohlegebieten. Das sind Kosten.
    Kosten für Emissionssenkung müssen abgefedert werden
    Pogge: Das sind sicherlich Kosten, aber das sind nicht Kosten, die vergleichbar wären mit den Kosten, die eine Klimakatastrophe nach sich ziehen würde. Natürlich: Wir müssen sehen, dass diese Kosten abgemildert werden, dass wir zum Beispiel bei Umschulung von Leuten helfen, die durch Stilllegung von Bergbau arbeitslos geworden sind. Aber das ist alles für uns tragbar und sicherlich sehr viel milder als die unglaublichen Kosten, die auf uns zukommen würden, wenn diese Klimakatastrophe tatsächlich eintritt. Stellen Sie sich mal vor, die Ozeane steigen um 50 Meter an, was das für eine unglaubliche Katastrophe wäre.
    Reimer: Hieße das denn praktisch, dass eigentlich heutzutage schon die Bürger der kleinen pazifischen Inselstaaten, die bedroht sind, die deutsche Bundesregierung jetzt für den Braunkohlekompromiss verklagen könnten und wir haben einfach nur glück, dass es bisher nicht passiert ist?
    Pogge: Es gibt kaum ein internationales Gericht, unter dem man eine solche Klage unterbringen könnte, wo das irgendwelche Erfolgsaussichten hätten. Die besten Erfolgsaussichten bestehen - und dadurch ist ja auch unsere Gruppe zustande gekommen -, glaube ich, innerhalb von Staaten, dass das Gericht eines Staates diesem Staat vorschreibt, größere Anstrengungen zu unternehmen, die Emissionen zu verringern.
    Reimer: Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland müsste eigentlich einfach nur vor Gericht gehen?
    Pogge: Na ja, das wäre sicherlich einen Versuch wert, und das ist ja genau jetzt auch passiert mit dem Orgenda-Fall.
    Reimer: Und wie wollen Sie dann die Pflicht zur Reduktion durchsetzen? Wir haben ja keine Sanktionsmechanismen bisher und der Vertrag, der bei den Klimaverhandlungen in Paris geschlossen werden soll, da ist ja genau die Verbindlichkeit ein heikler Punkt.
    Pogge: Ganz richtig und Sie haben ganz recht, dass es da keine Sanktionen gibt. Aber in den zivilisierteren Staaten dieser Welt hören die Regierungen auf die Gerichte ihres eigenen Landes. Wenn in Deutschland zum Beispiel das Bundesverfassungsgericht der Regierung sagt, das dürft ihr nicht machen, dann gehorcht die Regierung und da braucht man keine Sanktionen. Das ist einfach selbstverständlich in einem Rechtsstaat.
    Reimer: Heißt das in der Konsequenz auch, dass wir demnächst nicht nur Asylsuchende, die politisch verfolgt werden, anerkennen sollten, müssen, sondern auch Klimaflüchtlinge?
    Pogge: Na ja, das ist eine Frage, die eher in die Moral hineinspielt. Rechtlich sind wir dazu sicherlich nicht verpflichtet unter dem bestehenden Recht, aber moralisch schon. Wenn wir Schädigungen auslösen, die es Menschen unmöglich machen, in ihrer Heimat zu verbleiben, und diese Menschen dann zu uns kommen, haben wir schon eine moralische Verantwortung, sie aufzunehmen oder ihnen allermindestens mal zu helfen.
    Reimer: Dann jetzt noch mal die Frage der Durchsetzung. Was würden Sie sich jetzt wünschen, oder was streben Sie an, um diese Verpflichtung, etwas gegen den Klimawandel zu tun, rechtsfester oder verbindlicher zu machen?
    Pogge: Was wir uns vorstellen ist, dass die obersten Gerichte der Staaten unsere Prinzipien studieren, vor allen Dingen auch den langen rechtlichen Kommentar zu diesen Prinzipien studieren und dann Entscheidungen treffen, die das Handeln ihrer eigenen Regierungen einschränken und diesen Regierungen vorschreiben, dass sie die Emissionen ihrer Länder so einschränken, wie es universal nötig wäre, um die Zwei-Grad-Grenze nicht zu durchbrechen. Die Zwei-Grad-Grenze ist natürlich die Grenze, die Wissenschaftler identifiziert haben als die Obergrenze, oberhalb derer es dann zu sehr großen Klimakatastrophen kommen kann. Wir müssen die Temperatur an der Erdoberfläche nicht mehr ansteigen lassen als um zwei Grad Celsius.
    Reimer: Regierungen, die nichts gegen den Klimawandel tun, sind ein Fall für die Justiz, sagt der Rechtsphilosoph Thomas Pogge in unserem vorab aufgezeichneten Interview.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.