Donnerstag, 25. April 2024

Archiv

Klimagipfel
Höhn: "Deutschland nicht mehr Vorreiter" bei Umweltzielen

In Warschau verhandelt die Weltgemeinschaft derzeit um ein neues Klimaabkommen. 2015 sollte dieses eigentlich verabschiedet werden, doch die Verhandlungen gestalten sich zäh. Die grüne Bundestagsabgeordnete Bärbel Höhn findet, dass Deutschland und die EU ihre Vorreiterrollen im Klimaschutz verloren haben – dies mache die Verhandlungen schwieriger als früher.

Bärbel Höhn im Gespräch mit Christoph Heinemann | 22.11.2013
    Christoph Heinemann: Zwei Wochen haben nicht gereicht, der Gipfel muss voraussichtlich nachsitzen. Zur Erinnerung: In der polnischen Hauptstadt ringen Delegierte aus 194 Staaten seit zwei Wochen um Fortschritte auf einem Weg zu einem neuen Klimaabkommen. 2015 soll es verabschiedet werden und 2020 in Kraft treten. Soll, wie gesagt. Meldepflichtig ist bisher nur eins: Die großen Umweltorganisationen Greenpeace, WWF oder Oxfam haben aus Protest gegen mangelnde Fortschritte die Konferenz verlassen.
    Der deutsche Chefunterhändler Karsten Sach wird sich wohl die Nacht um die Ohren schlagen müssen, unser Korrespondent Georg Ehring auch, und das gilt auch für Bärbel Höhn, Bundestagsabgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen, die wir jetzt in Warschau begrüßen. Guten Tag!
    Bärbel Höhn: Guten Tag aus Warschau.
    Heinemann: Frau Höhn, kann man sich Klimagipfel künftig sparen?
    Höhn: Ich glaube nicht, denn der Klimawandel ist ja ein globales Problem und das muss man einfach auch global lösen. Aber natürlich – das haben Sie auch dargestellt im Bericht – ist es immer schwerer, die Ergebnisse dieser Klimakonferenzen wirklich der Bevölkerung noch zu erklären und nahezubringen, und deshalb, glaube ich, braucht es auch eine Veränderung dieser Klimakonferenzen.
    Heinemann: Nach welcher Schrittfolge funktioniert dieser Tanz, ein Schritt vor, zwei zurück, oder zwei vor, einen zurück?
    Höhn: Ich glaube, es geht eher um Millimeter nach vorne, weil das Problem ist, dass momentan das Tempo von den Blockierern bestimmt wird, und da gibt es doch einige. Aus unterschiedlichen Gründen wird blockiert und was wir leider nicht mehr haben und was wir bei den vergangenen Konferenzen schon auch öfter mal hatten, sei es Kyoto oder sei es Bali oder auch weitere Konferenzen, dass damals Deutschland und die EU Vorreiter waren und mit anderen Ländern zusammen dann in der Lage waren, die anderen zu treiben und auch zu besseren Beschlüssen zu kommen. Nun ist Deutschland nicht mehr Vorreiter, die EU ist nicht mehr Vorreiter und die anderen blockieren, und dann wird in so einer Situation der ganze Prozess blockiert.
    Heinemann: Was müsste sich also ändern?
    Höhn: Ich habe eigentlich die Hoffnung, dass wir auf einem anderen Gebiet schon relativ weit sind, nämlich zum Beispiel bei dem Ausbau der erneuerbaren Energien. Auch durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz in Deutschland sind die Preise für die Erneuerbaren, Fotovoltaik und Windkraft, sehr gesunken und immer mehr Länder sagen jetzt, okay, es ist einfacher und besser und billiger, in Erneuerbare zu investieren als in Kohle. 70 Prozent der Investitionen in die Stromproduktion gehen weltweit mittlerweile in die Erneuerbaren, und das, finde ich, ist schon ein gutes Zeichen. Das heißt, wir müssten eher gute Beispiele hier präsentieren. Länder, die nach vorne gehen wollen, müssten mehr Einfluss bekommen. Oder auch Kommunen, die einfach zeigen, wie es geht. Von daher, glaube ich, muss das hier ein anderes Gewicht kriegen, der Druck von unten muss stärker werden.
    Bremser auf dem Gipfel
    Heinemann: Wenn der Erkenntnisgewinn so groß ist, warum wird dann noch gebremst und wer bremst?
    Höhn: Das ist sehr unterschiedlich. Brasilien zum Beispiel bremst momentan, weil die Wahl vor der Tür steht und weil sie da einfach aus innenpolitischen Gesichtspunkten keine Zugeständnisse außenpolitisch machen wollen, weil ihnen das als Schwäche im Inland ausgelegt wird. China bremst, weil sie eigentlich nie verbindliche Ziele eingehen wollen. Sie wollen sich von anderen nicht kontrollieren lassen. Und die EU bremst auch, weil gerade das Land, in dem wir sind, Polen, eigentlich immer blockiert hat beim Klimaschutz, weil sie sehr auf Kohle setzen. Deutschland hat bisher auch immer mit blockiert und das, was wir jetzt an leichten Öffnungen gesehen haben, nachdem die FDP keine große Rolle mehr spielt in der Regierung, ist nicht ausreichend für den Klimaschutz. Die Akteure müssen besser werden und versuchen, den Einfluss der Bremser zu mindern.
    Heinemann: Der FDP mussten Sie jetzt noch eins mitgeben. – Welches Mindestziel müsste erreicht werden, damit Sie jetzt doch noch von einem guten Gipfel sprechen könnten?
    Höhn: Es gibt eigentlich drei Punkte. Es ist ja jetzt keine ganz große Konferenz wie in Kopenhagen, sondern eher eine technische Konferenz. Die Erwartungen dürfen nicht zu hoch sein, das muss man auch wieder klar sagen. Der erste Punkt ist: Es muss ein klarer Weg definiert werden, wie wir zu einem Nachfolgeabkommen von Kyoto kommen, und das muss jetzt schon eingestielt werden, weil das braucht total viel Zeit. Sie haben ja die 194 Länder genannt. Also ein konkreter klarer Weg dahin, das ist momentan noch nicht wirklich da. – Der zweite Punkt ist mehr Vertrauen, und mehr Vertrauen heißt, dass die ganzen Finanzzusagen, die ja gemacht worden sind, in Kopenhagen, in Cancun, jetzt eben auch stärker auf den Weg gebracht werden, damit zum Beispiel die besonders betroffenen Länder sagen, okay, wir können auch zu einem gemeinsamen Kompromiss kommen. – Und der dritte Punkt ist eigentlich der wichtigste, dass stärker ein Weg aufgezeichnet wird, wie können wir dieses Zwei-Grad-Ziel überhaupt noch erreichen, welches Land ist wirklich für welche CO2-Minderung zuständig und wie klar sind die auch definiert, dass man sich da nicht mit Statistiken rausmogeln kann.
    Heinemann: Frau Höhn, die deutschen Grünen fordern jetzt ein Klimaziel für die Europäische Union: mindestens 55 Prozent CO2-Verringerung bis 2030. Da freuen sich natürlich alle wirtschaftlichen Wettbewerber der Union - China, USA und so weiter.
    Höhn: Vielleicht sollte sich auch Europa darüber freuen, denn wenn wir davon ausgehen, dass der Klimaschutz absolut notwendig ist, damit wir auf dieser Welt überleben, sind die Länder, die vorangehen, vielleicht auch diejenigen, die mit den Technologien, die sie dann entwickeln, auch bei den anderen wieder Märkte öffnen können. Deutschland ist momentan wirtschaftlich stark, man kann sagen obwohl, oder ich würde sogar sagen: weil wir die Energiewende eingestielt haben und weil wir da mittlerweile fast 400.000 Arbeitsplätze haben und auch solche Produkte verkaufen.
    Heinemann: Das Lied wird jetzt schon seit Jahrzehnten gesungen. Fakt ist: In Deutschland schließt ein Solarwerk nach dem anderen, während die Chinesen Rekordexporte haben.
    Höhn: Nein. Fakt ist, dass hier, auch wenn in der Tat durch eine falsche Politik aus meiner Sicht von der letzten Regierung, leider sehr viele Fotovoltaik-Arbeitsplätze verloren gegangen sind, trotzdem die Zahl der Arbeitsplätze bei den Erneuerbaren eben nicht gesunken ist, weil entsprechend mehr aufgebaut worden sind bei der Windkraft und bei anderen der erneuerbaren Energien.
    China und die Erneuerbaren
    Heinemann: Gleichwohl wollen die anderen den Deutschen nicht folgen. Polen, haben Sie gesagt, setzt auf Kohle, die Chinesen machen, was sie wollen. Sind die Deutschen einfach hysterisch bei dem Thema?
    Höhn: Ich würde sagen, die Chinesen machen gar nicht, was sie wollen, sondern die Chinesen folgen den Deutschen, und zwar absolut konsequent. Das heißt, die Chinesen haben erkannt: der Weltmarkt Fotovoltaik, den wollen sie besetzen. Deshalb war es eine falsche Politik, den Chinesen diesen Weg zu eröffnen. Es wäre doch sinnvoll gewesen, …
    Heinemann: Sorry, ich meinte jetzt die Klimaziele. Ich sprach von den Klimazielen.
    Höhn: Okay. Bei den Klimazielen muss man vielleicht sagen, dass auch in China jetzt 73 Prozent bei der Stromproduktion in Erneuerbare investiert werden. Die haben, was Erneuerbare angeht, wirklich ganz interessante Ziele. Man muss allerdings sagen, China muss jetzt auch was tun, denn der Ausstoß pro Kopf – es geht ja nicht nur um den absoluten, sondern pro Kopf – in China hat ungefähr jetzt das Maß erreicht vom Durchschnitt von der EU. Da kann China sich eigentlich nicht mehr rausreden und sagen, wir sind ein Schwellenland, wir werden auch anders behandelt als die EU, sondern auch da muss China jetzt was bringen. Insofern versuchen sie sich da schon auch ein bisschen rauszumogeln aus ihrer Verantwortung.
    Heinemann: „Muss was tun“ hört man immer wieder. Tun sie aber nicht!
    Höhn: Das will ich nicht unbedingt sagen. Wie gesagt, bei den Erneuerbaren sind sie vorneweg, weil sie da auch wirtschaftliche Erfolge sehen für die Zukunft. Das, was sie nicht wollen ist, dass sie verbindliche Ziele vorgeben, weil sie wollen sich von keinem, auch nicht von einem UN-Prozess, kontrollieren lassen vor Ort. Das ist in der Tat ein großes Problem, damit muss man auch umgehen. Aber zum Beispiel mit der Kohle stoßen sie ja an die Grenzen. Sie haben so viel Luftverschmutzung – ich komme gerade aus einem Gespräch von der chinesischen Delegation -, dass sie de facto eigentlich die Kosten für die Beseitigung dieser Luftverschmutzung auch mit in den Kohlepreis einrechnen müssten, und da sehen sie natürlich auch schon, dass dann die Erneuerbaren gleichwertig sind zur Kohle. Die werden auch aussteigen müssen aus der Kohle, auch aus gesundheitlichen Gründen ihrer Bevölkerung gegenüber.
    Heinemann: Frau Höhn, wenn man mal den Zustand oder die Lage der deutschen Industrie zusammenfasst, oder des deutschen produzierenden Gewerbes: Mindestlohn, extrem hohe Stromkosten, Forderungen nach stärkerer Beteiligung an Rentenversicherungsbeiträgen, Umweltauflagen, jetzt Frauenquote. Wenn auch der letzte Industriearbeitsplatz in der EU zu teuer ist, dann wird man irgendwann merken, dass man Ideologie nicht essen kann.
    Höhn: Ich will dazu sagen, dass die Arbeitsplätze bei den energieintensiven Betrieben in den letzten Jahren gestiegen sind, und das hat damit zu tun, dass dieser Teil der Wirtschaft absolut ausgenommen ist von den Kosten der Energiewende und die haben deshalb stabile Preise seit 2008 und damit im Prinzip im Verhältnis zu ihren Konkurrenten in Frankreich und den Nachbarländern – bei denen sind die Preise gestiegen – sogar eine bessere Situation als vor fünf Jahren. Das heißt, ich will jetzt nicht die neuen Beschlüsse der Koalition hier interpretieren, aber was die Energiewende angeht, sind genau diese Arbeitsplätze eigentlich sogar zu stark ausgenommen, weil sie jetzt eher profitieren von der Preissenkung der Erneuerbaren, aber die Kosten der Erneuerbaren nicht mitzahlen müssen.
    Heinemann: Bärbel Höhn, Bundestagsabgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen, direkt aus Warschau. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören!
    Höhn: Bitte.
    Bärbel Höhn
    Geboren 1952 in Flensburg, Schleswig-Holstein. Studium der Mathematik und Volkswirtschaft in Kiel. Seit 1985 Mitglied von Bündnis 90/Die Grünen. 1995-2000 Ministerin für Umwelt, Raumordnung und Landwirtschaft und von 2000-2005 Ministerin für Umwelt und Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen. Seit Oktober 2005 Abgeordnete des Deutschen Bundestages. Seit Juni 2012 Mitglied im Landesvorstand der Grünen in NRW.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.