Donnerstag, 18. April 2024

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Klimagipfel von Paris
"Es wird einen Vertrag geben, aber er wird schwach sein"

Der Weltklimagipfel beginnt am Montag in Paris, und Anton Hofreiter ist nicht sehr optimistisch. Der Fraktionschef von Bündnis90/Die Grünen sagte im DLF, es werde wohl einen Vertrag geben, um die Erderwärmung auf zwei Grad zu begrenzen. Aber wahrscheinlich werde es ein Vertrag auf freiwilliger Basis. Hofreiter kritisierte nachdrücklich die Bundesregierung, die ihre Anstrengungen mindestens verdoppeln müsse, um die selbst gesetzten Klimaziele noch zu erreichen.

Anton Hofreiter im Gespräch mit Jürgen Zurheide | 28.11.2015
    Grünen-Fraktionsvorsitzender Anton Hofreiter spricht am 1.7.2015 im deutschen Bundestag
    Hofreiter betonte, Deutschland werde eigentlich als Vorreiter angesehen, verhalte sich aber nicht mehr so. Weltweit werde darauf geschaut, was die USA, was China und was Deutschland tue. In Wahrheit bestehe die Gefahr, dass Deutschland sich blamiere. Die Reduzierung des CO2-Ausstoßes müsse doppelt so schnell vorangetrieben werden, damit man die eigenen Ziele überhaupt noch einhalten könne.
    Hofreiter begrüßte es, dass Bundesumweltministerin Hendricks den Ausstieg aus der Braun-Kohle-Industrie in Angriff nehmen will. Allerdings habe die Ministerin das schon mehrfach gesagt und sich jedes Mal nicht im Kabinett durchsetzen können. So sei es dann bei Ankündigungen geblieben.
    Der Fraktionschef trat erneut für ein Tempolimit auf deutschen Straßen ein. Es sei kostengünstig umzusetzen und reduziere die Schadstoffe in etwa so viel wie der Ausstoß eines mittelgroßen Kohlekraftwerkes. Problematisch sei, dass die Autoindustrie nicht dazu gezwungen werde, die neuesten Techniken zu benutzen - sondern von der Politik geschont werde.

    Das komplette Interview zum Nachhören:
    Jürgen Zurheide: Wir wollen uns mit dem Klimagipfel beschäftigen, da beginnt am Montag eine Riesenkonferenz in Paris, und die Hoffnungen weltweit sind natürlich groß, die Erwartungen auch. Auf der anderen Seite die Frage, wird es gelingen können – es gibt eine Menge Skepsis. Der Kollege Georg Ehring hat mit der Umweltministerin gesprochen, in unserem Interview der Woche im Deutschlandfunk hören Sie einen ersten Auszug von Barbara Hendricks:
    ((Einspieler))
    Das war Barbara Hendricks im Gespräch mit dem Kollegen Georg Ehring, das volle Interview können Sie, wie immer, hören am Sonntag um 11:05 Uhr im Deutschlandfunk. Wir wollen über dieses Thema jetzt reden mit den grünen Forderungen, den grünen Erwartungen an diesen Klimagipfel, dazu begrüße ich Anton Hofreiter von den Grünen. Zunächst einmal guten Morgen, Herr Hofreiter!
    Anton Hofreiter: Guten Morgen!
    Zurheide: Herr Hofreiter, ich will noch eine andere Stimme einbringen, Entwicklungshilfeminister Müller von der CSU meint, beobachtet zu haben, dass die Chinesen jetzt einen kompletten Paradigmenwechsel fahren, das heißt, die Chinesen machen mit beim Umweltschutz, beim Klimaschutz. Sehen Sie das auch so?
    Hofreiter: Es gibt in China durchaus Veränderungen, es liegt allerdings weniger am Klimaschutz, sondern es liegt daran, dass in China die klassische Umweltverschmutzung, also verschmutzte Luft in der Form, dass sie schwer zu ordnen ist, so problematisch ist durch die starke Kohleverstromung, dass China nicht mehr anders sich zu helfen weiß, als jetzt auf Umweltschutz zu setzen. Denn sie haben einfach festgestellt, dass wenn die Luft so schlecht ist, dass die Leute kaum mehr auf die Straße gehen können, dass das dann wirklich auch in China ein Problem ist.
    Zurheide: Sehen Sie denn das, was jetzt die Bundesumweltministerin will, dass das verpflichtend wird und vor allen Dingen auch überprüfbar wird. Haben Sie die Hoffnung, dass diesmal entsprechende Papiere unterzeichnet werden können?
    Hofreiter: Es besteht durchaus die Hoffnung, dass diesmal ein Vertrag rauskommt, aber das liegt schlichtweg auch daran, dass von vornherein der Vertrag so angelegt ist, dass er so schwach ist, dass am Ende die Länder nur freiwillig melden müssen. Und man wird sich, so wie es im Moment ausschaut, unter Umständen sogar verpflichten, auf das Zwei-Grad-Ziel einigen, und man wird sich vielleicht sogar auf ein Berechnungsmechanismus einigen. Aber was die einzelnen Länder zu tun haben, das wird dann freiwillig sein. Und Klimaschutz entscheidet sich am Ende nicht in Vertragswerken, sondern was lokal in den nationalen Ländern passiert. Und da schaut es sowohl in Deutschland schlecht aus, als auch in vielen anderen Ländern der Welt. Das heißt, ich vermute, es gibt einen Vertrag, aber einen so schwachen, dass er uns am Ende dann nicht ausreichend helfen wird.
    Zurheide: Über die Rolle Deutschlands wollen wir gleich noch ausreichend sprechen: Ich will aber noch mal bei den internationalen Gegebenheiten bleiben. Ist nicht das Entscheidende, so wichtig Deutschland ist, ist nicht das Entscheidende, dass einige andere Länder – China ist angesprochen –, dass die endlich das tun – die Amerikaner sicherlich auch –, endlich das tun, was notwendig ist?
    Hofreiter: Es ist entscheidend, dass viele Länder das tun, was notwendig ist. Aber da gibt es Interdependenzen. Und da Deutschland als das wichtigste Vorreiterland gilt, und wenn Deutschland schon nicht mehr für einen Vertrag kämpft, der auch verpflichtende Ziele enthält, ist die Gefahr groß, dass es einen Vertrag gibt, der uns am Ende nicht hilft. Nämlich, wie gesagt, entscheiden ist, was China macht, entscheidend ist, was USA macht, aber entscheidend ist auch, was Deutschland macht. Wir vergessen gerne, wir sind das viertgrößte Industrieland der Welt.
    Zurheide: Dann kommen wir auf die Rolle Deutschlands: Die Bundesumweltministerin hat jetzt auch pünktlich noch in dieser Woche gesagt, dass sie der Braunkohle den Stecker ziehen will. Haben Sie ihr schon einen Aufnahmeantrag geschickt?
    Hofreiter: Das begrüßen wir sehr, dass die Bundesumweltministerin der Braunkohle den Stecker ziehen will. Bloß, das hat sie schon mehrmals gesagt, und dann hat sie sich am Ende nie im Bundeskabinett durchgesetzt. Nach dem, was wir aus dem Wirtschaftsministerium hören, nach dem, was wir von ihren Parteifreunden hören aus den Ländern und nach dem, was wir aus der CDU hören, ist das schlichtweg nur eine Ankündigung, die wieder mal leider nicht umgesetzt wird.
    Zurheide: Auf der anderen Seite, auch die Grünen in Nordrhein-Westfalen haben zumindest so einem Tagebau wie Garzweiler in einer verkleinerten Form auch zugestimmt, weil man eben sagt, ja, es wird kleiner, es wird sauberer, und dann geht das. Reicht Ihnen das alles nicht?
    Hofreiter: Es reicht auch den Grünen in NRW nicht, aber die Grünen in NRW regieren leider nicht alleine und deshalb gab es da einen Kompromiss mit der SPD. Es ist ein Erfolg, dass immerhin der Braunkohletagebau, bereits genehmigte Braunkohletagebau, etwas zurückgenommen worden ist. Aber wir werden die selbst gesteckten Klimaschutzziele nicht erreichen, wenn die Bundesregierung so weiter macht. Das behaupten nicht wir Grünen, sondern das behaupten beratende Gremien der Bundesregierung selbst. Wir müssten die Anstrengungen verdoppeln, um die selbst gesteckten Ziele zu erreichen.
    Zurheide: Die entscheidende Frage, Herr Hofreiter, ist doch, setzen wir da an, wo man wirklich ansetzen muss: Wir steigen aus der Atomkraft aus, Braunkohle wird zurückgefahren – haben wir gerade besprochen. Die Frage ist ja, was in der Energiepolitik übrig bleibt, auch an sicheren Energien, denn wir wissen, dass die Alternativen natürlich nicht immer dann zur Verfügung stehen. Und was machen wir eigentlich mit den anderen Bereichen, Automobilverkehr, Häusersanierung – setzen wir immer an den richtigen Punkten an?
    Hofreiter: Nein, wir setzen nicht ausreichend als die Bundesrepublik Deutschland an den richtigen Punkten an, denn der Mobilitätsbereich – Sie haben es angesprochen – ist ein ganz, ganz zentraler Bereich. Und wenn ich mir VW anschaue, aber auch andere Autohersteller: VW hat betrogen, bei anderen Autoherstellern weiß man es nicht. Aber was man weiß, der CO2-Ausstoß bei denen ist viel zu hoch. Und diesen Industriebereich hat man immer geschont. Erst vor zwei Jahren hat Frau Merkel das letzte Mal einen eh schon schwachen Kompromiss auf EU-Ebene zerstört, um scheinbar die deutsche Automobilindustrie zu schonen. Ich glaube, dass man dem Klima schadet, auch der Industrie nicht nutzt, nämlich, man zwingt sie nicht dazu, die modernsten und saubersten Autos zu produzieren.
    Zurheide: Sie können sich jetzt ganz beliebt machen, können zum Beispiel ein Tempolimit auf deutschen Straßen fordern. Da sagen alle, das würde schon einiges bringen. Ist das so?
    Hofreiter: Das ist so. Ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen würde ungefähr so viel bringen wie ein mittelgroßes Kohlekraftwerk. Aber es würde vor allem auch die Anzahl der Verkehrstoten reduzieren. Und das ist keine neue Forderung von uns, sondern das ist eine lang aufgestellte Forderung. Und sie wäre sehr kostengünstig umzusetzen.
    Zurheide: Ich komme auf der anderen Seite noch mal auf den Aspekt der Industrie, den Sie gerade angesprochen haben. Und deshalb hatte ich auch diese anderen Bereiche ins Gespräch gebracht: Wenn ich zum Beispiel die Stahltarifverhandlungen dieser Woche noch mal auf mich wirken lasse, wo im Nordwesten ein Tarifabschluss gemacht worden ist, wo dann aber Arbeitgeber und auch Gewerkschaften gemeinsam gesagt haben: Wir tun schon eine Menge, aber wenn jetzt aus Brüssel bestimmte Klimaschutzanforderungen nur für Deutschland gelten, haben wir keine Chance, im internationalen Wettbewerb mit China zu bestehen. Ist das ein Totschlagargument oder nehmen Sie das auch ernst?
    Hofreiter: Es ist auf der einen Seite ein Totschlagargument, auf der anderen Seite muss man es ernst nehmen, nämlich wie so häufig liegt die Wahrheit in der Mitte. Deshalb muss man darauf achten, dass es nicht zum sogenannten Carbon Leakage kommt. Was ist damit gemeint – damit ist gemeint, dass wir hier in Europa oder in Deutschland eine Regulierung finden und am Ende dann der Stahl in China produziert wird und zu uns importiert wird, dann hat man nichts gewonnen. Klimaschutz ist eine internationale Aufgabe. Auf der anderen Seite müssen natürlich auch so Länder wie Deutschland zeigen, wie es geht, damit man eine Chance hat, dass andere Länder nachziehen. Nämlich, wenn es keiner zeigt, wie es geht, dann können die, die eh unwilliger sagen, immer behaupten, ihr macht es ja in eurem eigenen Land nicht, ihr wisst doch selber, dass es nicht funktioniert.
    Zurheide: Jetzt sind wir bei der ganz spannenden Frage: Wenn ich noch mal auf die Braunkohle zurückkomme, dann stellen wir natürlich fest, dass gerade die ostdeutsche Braunkohle von Vattenfall zum Verkauf gestellt, dass es da allergrößte Probleme gibt. Und wenn ich dann ein bisschen weiter östlich von Cottbus mir anschaue, dass die Polen gerade neue Gruben aufmachen wollen. Und ich habe hier noch die Liste vor mir, wer wie viel nach draußen bläst, da sind die Polen mit ihrer Kohleindustrie ganz oben. Ist das nicht genau das Problem, dass wir – ich will nicht sagen, zu hart rangehen, aber im internationalen Wettbewerb zwar der Vorreiter sind, aber vieles bei uns den Bach runtergeht. Und dann geht es hinter der Grenze weiter. Das kann es doch nicht sein, oder?
    Hofreiter: Das ist eben der Irrtum, dass wir inzwischen glauben, dass wir immer noch Vorreiter sind. Wir sind inzwischen nicht mehr Vorreiter. Von den zehn schmutzigsten Braunkohlekraftwerken weltweit stehen allein fünf in einem einzigen Land, und das ist die Bundesrepublik Deutschland. Deshalb, die Vorstellung, wir sind verbal in vielen Dingen noch der Vorreiter, aber in der Realität sind wir es nicht mehr, weil nämlich unter anderem auch in anderen Bereichen, wie Wärme und Verkehr, relativ wenig vorangeht und bei uns die Kohle über die letzten Jahre geboomt hat. Und deswegen, Polen ist da ein problematisches Land, aber schaut drauf, wie Deutschland redet und wie es handelt und sieht deshalb einen gewissen Zwiespalt. Deshalb müssten wir, um das entsprechend zu ändern, auch zeigen, dass wir wirklich Vorreiter sind. Nämlich, wenn man das in der Bundesrepublik Deutschland behauptet, dann mag das der eine oder andere glauben, aber die Regierungen im Ausland sind nicht doof und schauen sich deshalb die Zahlen genau an. Und wenn Behauptungen und Zahlen auseinanderfallen, dann hat man ein Problem.
    Zurheide: Wobei, ich habe hier gerade die Zahlen, die "Frankfurter Rundschau" bringt das heute, da sind wir in Deutschland, wenn wir RWE nehmen, mit 3,3 Milliarden Tonnen CO2, die Polen sind bei 10,8 – das ist schon eine deutliche Differenz. Also, da würde ich schon sagen, wenn da bei den Polen noch was draufkommt, kann bei uns ein bisschen was runtergehen, das können wir gar nicht kompensieren. Das darf doch nicht passieren, richtig?
    Hofreiter: Nein, es darf nicht passieren, dass in Polen entsprechend der CO2-Ausstoß nach oben geht. Aber wie gesagt, die eigenen Beratungsgremien der Bundesregierung sagen der Bundesregierung, dass sie doppelt so viel oder doppelt so schnell den CO2-Ausstoß reduzieren müssten, um nur ihr eigenes Klimaschutzziel entsprechend einzuhalten. Das ist das Klimaschutzziel der ersten Großen Koalition. Und das kriegen andere Länder auch mit. Selbst die "Welt" hat geschrieben, Frau Merkel möge schweigen in Paris angesichts dessen, was sie in Deutschland geleistet hat. Nämlich wenn andere Länder genau auf die Zahlen schauen, ist Deutschland blamiert.
    Zurheide: Letzer Punkt: Wenn es dann diesen Strukturwandel aus Ihrer Sicht schärfer geben muss – die Arbeitnehmer, was dürfen die von den Grünen erwarten? Wird dieser Strukturwandel aus grüner Sicht begleitet, muss er begleitet werden? Ich mach mal die Klammer auf und sage, 23 Milliarden geben wir für alternative Energien ... Also zugespitzt, der Stahlarbeiter aus Duisburg in seiner Mietwohnung zahlt für den Häuslebauer in Bayern, der seine CO2, der seine Solaranlage auf dem Dach hat – ist das so richtig?
    Hofreiter: Es ist richtig, dass bezahlt wird dafür, dass wir die erneuerbaren Energien nach oben fahren. Aber wir geben alleine jetzt wieder 1,6 Milliarden Euro Subventionen aus für den Verbleib von Braunkohlekraftwerken. Unserer Vorstellung nach hätte man die 1,6 Milliarden lieber ausgegeben, wegen mir auch gerne für den Strukturwandel, um moderne Technologien zu fordern. Wir haben über die letzten Jahrzehnte Dutzende von Milliarden ausgegeben für die Kohlesubventionen. Und es ist allen klar, dass am Ende die Braunkohle eine auslaufende Technologie ist. Lasst uns doch die 1,6 Milliarden, die dieses Jahr neu ausgegeben werden oder beschlossen worden ist, neu auszugeben von der Regierung, doch lieber ausgeben für die Begleitung des Strukturwandels, dass zukunftsfähige Arbeitsplätze entstehen, dass die Menschen auch eine Perspektive habe. Und man nicht bloß feststellen kann, ja, wir geben sehr, sehr viel Steuergeld aus, um eine Industrie abzuwickeln. Lasst uns das Geld lieber ausgeben, um neu zukunftsfähige Industrien mit dem Geld aufzubauen. Da haben die Regionen langfristig was davon.
    Zurheide: Das war Anton Hofreiter, der grüne Parteichef im Deutschlandfunk. Herr Hofreiter, ich bedanke mich für das Gespräch, danke schön!
    Hofreiter: Ich sage danke!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.