Mittwoch, 17. April 2024

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Klimakonferenz in Bonn
"Uns läuft die Zeit davon"

Die Bonner Klimakonferenz sei diplomatisch ein Erfolg gewesen, sagte Ottmar Edenhofer vom Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung im Dlf. Gemessen an den globalen Herausforderungen sei der Prozess aber zu langsam. Von der Konferenz sei ein klares Signal ausgegangen, dass der Kohleaustieg entscheidend ist für den Klimaschutz.

Ottmar Edenhofer im Gespräch mit Jörg Münchenberg | 17.11.2017
    Ottmar Edenhofer in der Technischen Universität in Berlin.
    Ottmar Edenhofer vom Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung bei der öffentlichen Vorstellung des 5. Klimaberichts des Weltklimarates (picture alliance / dpa / Rainer Jensen)
    Jörg Münchenberg: In Bonn geht heute die Weltklimakonferenz der Vereinten Nationen zu Ende. Zwei Wochen lang haben die Delegationen verhandelt und sondiert. Dabei geht es vor allem um eine Konkretisierung über das, was vor zwei Jahren in Paris vereinbart worden ist. Das Ziel: Die durch Treibhausgase verursachte Erderwärmung soll auf deutlich unter zwei Grad begrenzt werden. In Bonn ging es nun darum, diese Vorgaben mit Inhalten zu füllen, etwa wie der CO2-Ausstoß künftig gemessen und angegeben werden soll. Sprich: Es geht um einheitliche Regeln. Herr Edenhofer, die Bonner Klimakonferenz geht heute zu Ende.
    Würden Sie sagen, das war ein gutes Treffen für einen besseren Klimaschutz?
    "Nationalstaaten erhöhen ihr Ambitionsniveau"
    Edenhofer: Na ja. Diese COP 23 in Bonn hatte ja zunächst mal nur die Aufgabe, Ausführungsbestimmungen festzulegen nach dem Paris-Abkommen. Und gemessen daran war das eine erfolgreiche COP, diplomatisch eine erfolgreiche Konferenz, weil man sich auf die wichtigsten Ausführungsbestimmungen geeinigt hat. Aber ich glaube, es gibt drei wesentliche Aspekte, die diese Konferenz zukunftsweisend machen. Das erste ist: Die Fidschi-Präsidentschaft hat sich jetzt entschlossen, bis zur nächsten Konferenz in Polen, die mitten im schlesischen Kohlerevier stattfinden wird, einen Prozess anzustoßen über ein ganzes Jahr hinweg, so dass die einzelnen Nationalstaaten ihr Ambitionsniveau erhöhen. Das, glaube ich, ist ein sehr, sehr wichtiger Aspekt.
    Der zweite wichtige Aspekt war, dass es für die Anpassung in Entwicklungsländern Finanzierungszusagen gegeben hat. Und das dritte, wenn auch zunächst mal nur symbolisch, aber eben wichtig, dass sich 18 Länder zusammengetan haben, um einen Kohleausstieg zu beschließen, zum Beispiel Frankreich bis 2021, Großbritannien bis 2025. Jetzt kann man sagen, die haben eh fast keine Kohlekraftwerke mehr. Das stimmt. Aber immerhin: Es hat dieser Konferenz ein Signal gegeben, dass die Kohlefrage die entscheidende Frage ist, wenn wir überhaupt die Tür für einen ambitionierten Klimaschutz offenhalten wollen.
    Ein zu langes Dokument
    Münchenberg: Herr Edenhofer, Sie ziehen ja eine relativ positive Zwischenbilanz. Trotzdem: Hätte aus Ihrer Sicht da noch was konkreter ausfallen müssen? Oder ist da vielleicht sogar noch am heutigen Tag mit Nachbesserungen zu rechnen?
    Edenhofer: Nein. Ich glaube nicht, dass da mit großen Nachbesserungen zu rechnen ist. Das ist ein sehr umfangreiches Dokument, auch ein zu langes Dokument. Das wird jetzt im nächsten Jahr verhandelt und gekürzt.
    Aber wo Sie natürlich Recht haben ist: Wenn man diese Konferenz misst an den globalen Herausforderungen, dann zeigt sich natürlich schon, dass der Prozess zu langsam ist. Es sind ja in diesem Jahr 2017 die weltweiten Emissionen wieder gestiegen. Die Hoffnung, die viele gehabt haben, dass die Emissionen sich stabilisieren und dass wir jetzt schon auf einem Weg sind eines ambitionierten Klimaschutzes, davon kann überhaupt keine Rede sein. Nach wie vor investieren viele Länder, nicht nur Entwicklungsländer, auch Länder wie zum Beispiel Japan in Kohlekraftwerke. Man kann schon sagen, uns läuft die Zeit davon. Man muss immer wissen, mit welcher Elle man misst. Misst man mit der Elle des Klimadiplomaten, dann war die Konferenz ein Erfolg. Misst man mit der Elle des Klimaforschers, dann wird man natürlich sagen müssen, dass gerade angesichts der wieder steigenden Emissionen das Tempo deutlich zu langsam ist.
    Was aber positiv an der ganzen Sache ist, dass man zumindest verstanden hat, dass es nicht nur darum geht, jetzt immer wohlfeile und ambitioniertere Ziele zu formulieren, sondern dass man sich jetzt wirklich darauf konzentrieren muss, Instrumente und Maßnahmen zu entwickeln, die dann auch implementiert werden.
    Klimaschutz kann ein Treiber für neue Innovationen sein
    Münchenberg: Sie haben es gerade schon angerissen: der CO2-Ausstoß steigt wieder dieses Jahr. Dann haben wir die Argumentation auf der einen Seite, das Überleben der Menschheit, auf der anderen Seite Bewahrung zum Beispiel des Industriestandorts Deutschlands und Verhinderung einer Strukturkrise etwa in der Lausitz. Das sind in etwa die Kategorien, in denen hier gerungen wird. Sind die denn trotzdem richtig, oder muss man vielleicht auch sagen, da hat eine Seite gar nicht die Brisanz des Themas erkannt?
    Edenhofer: Ganz gewiss haben nicht alle die Brisanz des Themas erkannt. Aber Politik besteht natürlich trotzdem in einem Interessensausgleich und in der Durchsetzung auch ambitionierter Maßnahmen. Wenn man sich jetzt das Dokument anschaut aus den Koalitionsverhandlungen, dann wird ja der Zielkonflikt ziemlich deutlich. Ich glaube aber trotzdem, dass die Wahrnehmung, der Klimaschutz, das ist eigentlich eine Bedrohung für einen Industriestandort, oder der Klimaschutz ist eigentlich eine Verhinderung von Innovationen, dass das eine falsche Wahrnehmung ist. Ich glaube, dass wir sehr wohl, wenn wir in Deutschland den Kohleausstieg ökonomisch und effizient angehen, dass das sehr wohl ein Treiber für Innovationen sein kann, und das ist ja ganz offenkundig.
    Wir wollen ja auch in Deutschland vermehrt in Elektromobilität investieren. Die Autoindustrie will sich da neu aufstellen. Aber Elektromobilität hat ja nur dann einen Sinn, wenn der Strom emissionsfrei erzeugt wird, wenn vorher der Stromsektor dekarbonisiert worden ist. Vor diesem Hintergrund zeigt sich eigentlich schon recht deutlich, wie wichtig der Kohleausstieg für weitere Innovationen vor allem im Verkehrssektor ist. Ich denke, was wichtig ist, dass wir jetzt die Debatten der Vergangenheit hinter uns lassen, Klimaschutz ständig als Innovationshindernis zu betrachten. Im Gegenteil: Ein kluger, ein effizienter Klimaschutz kann ein Treiber für neue Innovationen sein.
    Münchenberg: Nun gibt es ja sehr unterschiedliche Interpretationen, was ein kluger Klimaschutz sein soll. Gucken wir nach Berlin. Die Jamaika-Sondierungsgespräche sind erst einmal vertagt. Da war oder ist ja ein zentraler Streitpunkt die Klimapolitik, die Rolle der Braunkohle bei der deutschen Energieversorgung. Macht Ihnen das jetzt trotzdem eher Mut, oder sind Sie eher pessimistisch, wenn Sie sehen, wie da im Augenblick in Berlin gerungen wird über dieses Thema?
    Edenhofer: Im Augenblick wird ja in Berlin darum gerungen, wieviel Gigawatt aus dem System gehen sollen bis 2020. Da hat angeblich die Kanzlerin jetzt einen Kompromissvorschlag gemacht mit sieben Gigawatt. Entscheidend ist aus meiner Sicht, dass wir jetzt endlich in Deutschland erkennen, dass wir ein Kohleland sind. Wir haben zwar den Anteil der Erneuerbaren erhöht, aber wir haben tatsächlich noch einen kohlelastigen Stromsektor. Das müssen wir jetzt anpacken. Und aus meiner Sicht kann es nicht nur darum gehen, dass wir jetzt dann uns verzanken in der ganzen Frage, wie viele Kohlekraftwerke in den nächsten Jahren vom Netz gehen sollen. Viel wichtiger ist der Fluchtpunkt, der dort angezielt werden muss, und dieser Fluchtpunkt muss auch sein, dass der europäische Emissionshandel reformiert wird, deutlich reformiert wird, und dass der Emissionshandel dann auch Zähne bekommt, und das heißt auch, dass wir dort einen Mindestpreis brauchen. Wenn wir einen Mindestpreis zwischen 30 und 40 Euro pro Tonne CO2 hätten, dann würde der Kohleausstieg in Deutschland wie von selber funktionieren und dann hätten wir auch die Trumpfkarten in der Hand, einen effizienten Kohleausstieg in Europa hinzubekommen.
    "Kohleausstieg ist Einstieg in kluge Klimapolitik"
    Münchenberg: Noch mal zu dieser deutschen Debatte um die Braunkohle. Würden Sie sagen, die Grünen sind in ihrer Forderung nach Abschaltung der 20 schlimmsten Braunkohlekraftwerke zu ambitioniert?
    Edenhofer: Ich glaube nicht, dass sie zu ambitioniert sind. Aber das wird auf einen mittleren Kompromiss herauslaufen. Entscheidend ist, dass es nicht nur darum geht, dass sich Klimapolitik in Deutschland jetzt darin erschöpfen kann, dass wir aus der Braunkohle aussteigen, sondern das braucht noch sehr viel mehr Maßnahmen. Der Streitpunkt ist ja gar nicht mal so sehr, ob wir aus der Kohle aussteigen oder nicht. Jedenfalls entnehme ich das dem Koalitionsvertrag. Sondern es geht ja im Wesentlichen darum, wie sollen denn eigentlich künftig die Klimaschutz-Instrumente ausgestaltet werden.
    Da will die FDP, dass die anderen Sektoren wie zum Beispiel der Verkehrssektor und der Wärmesektor in den Emissionshandel integriert werden. Die Grünen wollen hier einen Mindestpreis haben. Ich glaube, das deutet eigentlich ziemlich deutlich darauf hin, auf zwei Schritte: Man muss den Emissionshandel jetzt reformieren. Und was wir dringend benötigen ist: Wir brauchen eine Reform der Energiesteuern, denn unsere Energiesteuern in Deutschland, die besteuern Strom und Gas am höchsten, was absurd ist. Denn wenn wir den Stromsektor elektrifizieren wollen, wenn wir Elektroautos wollen, dann hat da eine Stromsteuer nichts zu suchen. Und auch die hohe Besteuerung von Gas sinnlos, denn man braucht auch hier für den Wärmemarkt im Übergang und auch bei den Gaskraftwerken diese Option. Vor dem Hintergrund, glaube ich, wäre jetzt wichtig, dass die Koalitionspartner verstehen, der Kohleausstieg ist ein Einstieg in eine kluge Klimapolitik. Die Reform des europäischen Emissionshandels plus eine Reform der Energiesteuern ist wichtig, denn es geht ja nicht nur darum, dass jetzt der CO2-Preis auf den Stromsektor wirkt, sondern er muss auf alle Sektoren wirken, auf den Verkehrssektor, auf den Wärmemarkt, denn sonst kann man eine so hoch industrialisierte Volkswirtschaft wie die deutsche nicht dekarbonisieren.
    Ermutigende Bürgerinitiativen
    Münchenberg: Herr Edenhofer, lassen Sie uns zum Schluss noch mal auf Bonn schauen, auf diese Klimakonferenz. Da muss man sagen, solche Konferenzen sind ja unglaublich komplex. Die verstehen ja eigentlich auch nur noch Fachleute, die sich in dieser Materie auskennen. Besteht aber nicht die Gefahr, dass dadurch auch die notwendige öffentliche Unterstützung ein Stück weit abhandenkommt, Stichwort zum Beispiel Transparenz, Nachvollziehbarkeit, öffentliche Akzeptanz?
    Edenhofer: Ja, das ist sicherlich richtig. Es gibt im Grunde genommen da zwei Wahrnehmungen. Viele Leute haben in der Öffentlichkeit den Eindruck gehabt, nach Paris ist eigentlich das Thema Klimaschutz und Klimapolitik erledigt. Man hat jetzt hier die entsprechenden Beschlüsse gefasst. Es wurde offensichtlich in der Öffentlichkeit nicht ausreichend verstanden, dass das jetzt erst der Anfang ist eines sehr, sehr langwierigen Transformationsprozesses. Und in der Tat ist es ja auch so, dass viele Leute gar nicht mehr verstehen, was da verhandelt wird.
    Umgekehrt ist es aber doch sehr ermutigend, dass es zum Beispiel jetzt Bürgerinitiativen gibt, die sagen, wir wollen eine CO2-Bepreisung, wir wollen auch eine Energiesteuerreform. Ich glaube, es ist sehr, sehr wichtig, dass die Politik aus dem Thema Klima, aber auch aus dem Thema Industriestandort Deutschland nicht ein Expertenthema macht, sondern dass das in einer breiteren Öffentlichkeit diskutiert wird, dass die Leute verstehen, warum wir eine solche Energiesteuerreform benötigen. Meine Erfahrung ist, wenn man das erklärt, wenn man das darlegt, dass eigentlich die meisten Leute das durchaus als was Vernünftiges empfinden. Aber Sie haben sicherlich recht: Da fehlt eine Kommunikation mit der Öffentlichkeit und die Politik und die Wissenschaft muss hier nachlegen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.