Mittwoch, 17. April 2024

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Klimakonferenz
Wetterextreme im Treibhaus Erde

Der Jet Stream, ein kräftiger Höhenwind in mittleren Breiten, beschleunigt Flüge von Westen nach Osten. Dieser "Strahlstrom" aber schwächelt: Hoch- und Tiefdruckgebiete neigen verstärkt dazu, am Fleck zu kleben. Forscher untersuchen, ob damit die jüngsten Extremwetter-Ereignisse besser erklärt werden können.

Von Volker Mrasek | 30.11.2014
    Ein von einem Flächenbrand zerstörtes Haus nahe San Marcos, Kalifornien, USA. Aufnahme vom 15.5.2014
    Waldbrände werden in Regionen wie Kalifornien zunehmen. Hier ein Haus in San Marcos, das im Mai 2014 zerstört wurde. (picture-alliance / dpa / EPA / Michael Nelson )
    Dim Coumou: "Es gibt da gar nichts mehr zu diskutieren: Durch die Klimaerwärmung häufen sich extreme Wetter-Ereignisse."
    Kevin Trenberth: "Es gibt zunehmend starke Dürren. Hitzewellen und Waldbrände. Andererseits haben wir viele Fälle, in denen Starkniederschläge zu Überschwemmungen führen, und zwar weltweit."
    Dim Coumou: "Die Atmosphäre wird sich weiter erwärmen. Ich spreche hier nicht von der fernen Zukunft, sondern von den nächsten 20 Jahren."
    Die WMO, die Welt-Meteorologie-Organisation, erklärte das vergangene Jahrzehnt zur "Dekade der Klimaextreme". Die wärmste Zehn-Jahres-Periode seit dem Beginn kontinuierlicher Wetterbeobachtungen
    Die West-Sahara im Juli 2002: über 50 Grad Celsius
    Pakistan Ende Mai 2010: 53,5 Grad
    Hopetown in Australien im Sommer 2009: fast 49 Grad - nie zuvor war eine so hohe Temperatur so weit südlich auf dem Erdball gemessen worden
    2010 war das bisher wärmste Jahr der Aufzeichnungen. Zugleich aber auch das nasseste. Mit extremen Niederschlägen und Überschwemmungen.
    Pakistan Ende Juli: Heftiger Monsunregen löst verheerende Fluten aus, es trifft mehr als 14 Millionen Menschen, fast 2000 sterben.
    Der Nordosten Australiens im November: Monatelange Starkniederschläge setzen ein - und am Ende drei Bundesstaaten unter Wasser.
    Drei Jahre später, Deutschland, Österreich und Tschechien im Mai und Juni: Überschwemmungen an Donau und Elbe werden zum teuersten Wetterereignis, mit Schäden in Höhe von fast zehn Milliarden Euro.
    Der neue Trend kommt für Experten wie Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung nicht überraschend.
    "Die Klimaerwärmung hat bestimmte, einfach zu verstehende Aspekte. Also, man weiß gesichert, dass es immer wärmer wird, weil wir mehr Treibhausgase in die Luft geben. Und dann kann man eben auch sagen, sehr einfach: Es ist zu erwarten, dass wenn Sie die Temperaturverteilung einfach ins Warme verschieben, dass dann mehr warme Extreme, weniger kalte Extreme auftreten."
    Dieser Trend spiegelt sich auch in den vorliegenden Beobachtungsdaten, wie Thomas Stocker bestätigt, einer der führenden Köpfe im Weltklimarat IPCC. Der Schweizer Umweltphysiker zitiert eine Studie, in der man rekonstruiert hat, wie warm die Sommer in Zentraleuropa in den letzten 500 Jahren waren:
    "Und hat gesehen, dass sich hier über die letzten 500 Jahre eine Verschiebung der Statistik ergeben hat. Insbesondere kann man sagen: Die fünf heißesten Sommer sind alle nach 2001 aufgetreten in den letzten 500 Jahren, die fünf kältesten Sommer alle vor 1924."
    Es fällt mehr Regen, wenn sich die Luft im Zuge des Klimawandels erwärmt. Auch das ist plausibel. Kevin Trenberth, Meteorologe und Klimawissenschaftler am Nationalen Zentrum für Atmosphärenforschung der USA in Boulder:
    "Eine wärmere Atmosphäre kann auch mehr Feuchtigkeit aufnehmen. Seeluft zum Beispiel enthält heute rund fünf Prozent mehr Wasserdampf als um das Jahr 1970 herum. Welchen Gewittersturm auch immer man dann hat - er sammelt diese zusätzliche Feuchtigkeit auf, und es regnet etwas stärker."
    Treibhausgase in der Atmosphäre nehmen nach und nach zu. Die Temperatur steigt allmählich, die Luft wird etwas feuchter. So weit folgt alles der Logik von Treibhauseffekt und Klimaerwärmung. Doch lässt sich allein damit das Ausmaß der Unwetter erklären, wie die Welt sie inzwischen durchlebt?
    Rekordsommer nur durch Treibhauseffekt?
    "August 2003. Der heißeste Sommer seit Jahrzehnten. Wochenlang Temperaturen von bis zu 40 Grad."
    "Es ist viel zu heiß! Ist nicht schön."
    "Notdienste und Krankenhäuser sind überfordert."
    "Ich bin spazieren gegangen und bin umgekippt."
    "Vor allem in den Städten sterben überdurchschnittlich viele Menschen. In ganz Europa geschätzte 35.000."
    "Der Sommer 2003 war ein wirklich außergewöhnlicher Sommer."
    Der Meteorologe Wolfgang Fricke. Lange Jahre leitete er das Observatorium des Deutschen Wetterdienstes am Hohenpeissenberg in Bayern.
    "Wir hatten eine Abfolge von Hochdruck-Wetterlagen, wie wir sie nur selten beobachten. Es kam immer wieder ein Hochdruckgebiet nach dem anderen, besonders im Juni und auch im August."
    Dem "Jahrhundert-Sommer" 2003 folgt schon sieben Jahre später der nächste. Etwas weiter im Osten ...
    "Hitze und Dürre machen Russlands Bauern zu schaffen. Russland kämpft gegen verheerende Waldbrände
    "Hunderttausende Feuerwehrleute kämpfen weiter gegen die verheerenden Waldbrände."
    "Eine Katastrophe."
    "Die Feuer waren in Folge einer extremen Hitzewelle ausgebrochen, die Russland seit Anfang Juli plagt."
    Wochen ohne Wolke am Himmel. Ohne einen Tropfen Regen. In denen das Wetter stillzustehen scheint, die Böden austrocknen und kein Wasser mehr verdunstet, was die Hitze um so mehr befeuert. Ist das wirklich bloß der langsam stärker werdende Treibhauseffekt? Oder läuft hier noch etwas ganz anderes ab? Etwas, das die Dynamik der Atmosphäre verändert. Die großräumigen Wellen und Luftströmungen auf der Nordhalbkugel, die den Wechsel von Hoch- und Tiefdruckgebieten steuern. Es ist eine der spannendsten Fragen in der Klimaforschung derzeit: Verändert die globale Erwärmung die großräumige Luftzirkulation in der Nordhemisphäre maßgeblich? Lässt sie dadurch Wetterextreme viel langatmiger werden? Und das heute schon?
    Veränderung im Strahlstrom
    Abstecher in eine unwirtliche Weltregion, die uns näher ist, als viele glauben: das Nordpolargebiet. Hier, in der Arktis, beginnt die Fahndung nach den Ursachen unserer forcierten Unwetter.
    "Die Arktis ist ja viel kälter als die Tropen. Aber in jüngster Zeit erleben wir etwas, das als arktische Beschleunigung bekannt geworden ist: Der Nordpol erwärmt sich viel schneller als der Rest der West. Dadurch wird der Temperaturunterschied zwischen dem Äquator und der Polarregion kleiner."
    Einer der Fahnder: Der niederländische Geophysiker Dim Coumou vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Und im Fokus: das Temperatur- und Druckgefälle zwischen der Arktis und den Tropen. Dieser Gradient treibt den Transport von Luft und Energie in der Atmosphäre an, gerade in unseren Breiten.
    "Wird dieser Temperatur-Gradient kleiner, darf man erwarten, dass sich die Dynamik der Atmosphäre in mittleren Breiten verändert. Und damit auch unsere Wettersysteme. Deshalb ist das Ganze so wichtig!"
    Zusammen mit einigen Potsdamer Institutskollegen veröffentlichte Coumou erst kürzlich eine Studie. Darin beschreiben die Forscher, auf welche Weise der arktische Temperaturschub Wetterextreme in mittleren Breiten möglicherweise zeitlich verlängert.
    "Bitte lesen Sie sorgfältig unsere Sicherheitsinstruktionen. Sie befinden sich vor Ihnen und enthalten alle wichtigen Informationen."
    Schlüsselprozesse laufen in einer Höhenströmung ab, mit der wir alle dann und wann unterwegs sind - auch ohne Atmosphären- oder Klimaforscher zu sein.
    "Meine Damen und Herren! Wir sind startbereit. Ladies and gentlemen, we are ready for take-off."
    Wer schon einmal im Langstreckenflieger unterwegs war, weiß: Die Reise von Westen nach Osten verläuft schneller als in Gegenrichtung. Denn von New York nach Frankfurt etwa fliegt man mit Rückenwind, eingebettet in den Jet Stream.
    Stefan Rahmstorf: "Der Jet Stream - oder Strahlstrom kann man ihn auf Deutsch auch nennen - ist ein Höhenwind in den mittleren Breiten, der von Westen nach Osten strömt. Praktisch ein Band von besonders hohen Windgeschwindigkeiten, das sich an der Luftmassengrenze bildet zwischen kalter Polarluft im Norden und wärmerer Luft im Süden."
    Kein gleichförmiges Band allerdings, wie Stefan Rahmstorf betont. Der Jet Stream schlägt vielmehr nach Norden und Süden aus. Am Rand der Wetterschicht, dort wo auch Flugzeuge verkehren, schlängelt er sich durch die obere Troposphäre:
    "My name is Fritz Klein. I'm your pilot tonight. We just crossed the German-Polish border."
    Rahmstorf: "Der Jet Stream schlenkert einfach, weil sich an solchen Dichte-Grenzflächen tendenziell immer Wellen ausbilden können. Daran kann man zum Beispiel sehr schön auch die Wellen in der Atmosphäre, die planetarischen Wellen, sehen. Diese Schlenker folgen den planetarischen Wellen."
    Eine Sinuskurve, die um die ganze Nordhalbkugel herum läuft - so kann man sich den Verlauf der planetarischen Wellen im Prinzip vorstellen. Und auch den dadurch geprägten Schlingerkurs des Jet Streams. In ihrer Position über den Kontinenten sind Wellenberge und -täler dabei nicht starr. Sie verlagern sich immer wieder . Mal sind sie breiter, mal schmaler. Mal weiter im Osten, mal weiter im Westen. Ihre Wellenlänge variiert
    Rahmstorf: "Diese normalen planetarischen Wellen haben etwas zu tun mit der Abfolge von Hoch- und Tiefdruckgebieten, die hier immer so reinkommen - typischerweise vom Atlantik he, weil sie eben zum Beispiel bestimmen, in welchen Teilen die Winde gerade aus Süden wehen und in welchen Gebieten sie aus Norden kommen. Das heißt, diese Wellen bewegen sich auch. Die stehen nicht auf der Stelle, sondern die laufen von West nach Ost so durch. Und dann haben wir eben abwechselnd mal Hochdruck- und mal Tiefdruckwetter."
    Quasi-stationäre Wellen
    Doch offenbar verhalten sich die planetarischen oder Rossby-Wellen, wie sie auch heißen, nicht mehr normal. Sie geraten inzwischen häufiger in einen Zustand, den die Forscher quasi-stationär nennen. Natürlich laufen die Wellen weiter um die Nordhalbkugel, und auch der Jet Stream hört nicht auf zu blasen. Aber Wellenberge und -täler verlagern sich nicht mehr. Es ist, als würde man die Luftströmung in ein festes Flussbett zwingen, und über Wochen kann sie nicht anders, als immer dieselben Schlenker zu beschreiben. Hoch- und Tiefdruckgebiete treten auf der Stelle. Am Potsdam-Institut leitet Dim Coumou neuerdings eine Forschergruppe, die sich speziell mit der atmosphärischen Zirkulation und Extremwetter-Ereignissen beschäftigt.
    "Wir beobachten, dass solche Ereignisse neuerdings zunehmen. Nach unseren statistischen Analysen treten sie etwa seit dem Jahr 2000 häufiger auf. Und das ist sehr interessant! Denn genau seit dieser Zeit schlägt die Erwärmung der Arktis so richtig durch. Wir können uns vorstellen, dass sich dadurch die quasi-stationären Zustände der Zirkulation häufen."
    Das Förderband, das uns normalerweise die Hochs und Tiefs aus dem Westen herantransportiert, kommt so zum Stillstand. Stefan Rahmstorf:
    "Und dann haben wir ein stationäres Hoch oder Tief, was sehr lange über einem bestimmten Fleck sitzt. Das ist dann eben das, was dann auch zu den extremen Wetterverhältnissen beiträgt. Wir würden jetzt zwei, drei Tage mit sehr warmen Temperaturen, sagen wir, über 30 Grad oder so nicht als besonders extrem empfinden. Wenn dieses Wetter aber sechs Wochen lang anhält, dann haben wir eine richtige Hitzewelle, wie eben so Juli, August 2003, bei diesem Jahrhundertsommer. Wenn man sich jetzt den Jet Stream wieder vorstellt, der würde dann eine bestimmte Schlaufe zum Beispiel über Europa haben, die so auf der Stelle steht."
    Luftbild eines Lagers von Minenarbeitern in Quebecs Nunavik-Region. Die baumlose Tundra-Landschaft im Norden Kanadas ist kaum erkundet.
    Luftbild eines Lagers von Minenarbeitern in Quebecs Nunavik-Region. Die baumlose Tundra-Landschaft im Norden Kanadas ist kaum erkundet. (AFP / Jacques Lemieux)
    "Kapitän Schumacher und seine Besatzung möchten sich von Ihnen verabschieden. Wir hoffen, dass Sie sich bei uns an Bord wohlgefühlt haben. Einen angenehmen Weiterflug!"
    Von Musikinstrumenten kennt man das Prinzip des Resonanz-Bodens. Bei einer Gitarrensaite zum Beispiel. Ihre Schwingung wird im Körper des Instrumentes quasi eingefangen, immer wieder reflektiert und dadurch verstärkt. Mit diesem Mechanismus erklären die Potsdamer Forscher auch die Häufung von Wetterextremen in Europa. Demnach kleben Hochs und Tiefs immer dann lange auf der Stelle, wenn Rossby-Wellen durch Resonanzen in der Atmosphäre verstärkt werden und sich förmlich aufschaukeln. Das sei der Fall bei ganz bestimmten Wellenlängen.
    Stefan Rahmstorf: "Das sind Wellen, wo man, wenn man einmal um die Nordhalbkugel herumwandert, sechs oder sieben oder acht Wellenberge und Wellentäler dann beobachtet."
    Jahrhundertsommer und Rekordflut
    Dim Coumou: "In mittleren Breiten hat die Erde einen Umfang von rund 20.000 Kilometern. Wenn Sie das durch 7 teilen, kommen Sie grob auf 3000 Kilometer. Das ist die Wellenlänge der planetarischen Welle mit der Zahl 7. Es geht hier also um Strukturen, die die Dimension von Kontinenten haben."
    Rahmstorf: "Ich hatte bereits den Jahrhundertsommer 2003 erwähnt. Aber auch die Elbe-Flut im Jahr davor, 2002, war ebenfalls ein solches Ereignis."
    Coumou: "Wenn wir diese quasi-stationären Rossby-Wellen haben, kommt es auch zu extremen Niederschlagsereignissen. Oft sogar gleichzeitig. Das ist kein Widerspruch! Nehmen wir die Moskauer Hitzewelle von 2010. Zur selben Zeit gab es verheerende Überschwemmungen in Pakistan. Einerseits strömte zwar heiße Sahara-Luft nordwärts Richtung Moskau. Weiter östlich flossen andererseits aber auch kalte arktische Luftmassen bis hinunter nach Pakistan. Dort trafen sie auf den heißen Monsun und lösten die extremen Niederschläge aus."
    Die USA Anfang 2014 – an einem einzigen Januar-Tag werden landesweit fast 50 neue Kälterekorde aufgestellt.
    Rahmstorf: "Es gibt auch Mechanismen, die hauptsächlich in den Wintermonaten greifen."
    Im Bundesstaat Minnesota fällt das Thermometer auf minus 38 Grad Celsius.
    "Die geringere Eisbedeckung, die dann im Herbst/Winter in der Arktis auch herrscht und dort große Wärme-Freisetzungen aus dem Ozean in die Atmosphäre mit sich bringt - auch das beeinflusst die Atmosphären-Dynamik. Und da gibt es auch Daten-Analysen von verschiedenen Forschergruppen, die das zeigen."
    Arktische Wärme bringt Kälte nach Europa
    Deutschland im Januar 2010 und 2012: Nach vielen milden Wintern kommt es wieder zu echten Kältewellen. Mit örtlichen Tiefsttemperaturen von minus 27 Grad.
    "Zum Beispiel ist ja gezeigt worden, dass es verstärkt zum Einstrom arktischer Kaltluft zu uns nach Europa hinein kommt, weil sich in den letzten zehn, 15 Jahren öfter mal ein Hochdruckgebiet über der Barents-/Karasee festsetzt, die früher immer eisbedeckt war und jetzt häufig eben teilweise eisfrei auch noch bis in den Winter hinein ist."
    Weitere Forschergruppen sind an dem Thema dran. Und präsentieren andere Theorien für eine mögliche Fernwirkung der Arktis auf unser Wetter:
    "Es gibt zum Beispiel von Jennifer Francis und ihren Kollegen aus den USA etwas andere Mechanismen, die auch mit dem Strahlstrom zu tun haben. Sie sagt: Der verlangsamt sich. Der wirft größere Wellen, nämlich weitere Ausdehnung nach Norden und nach Süden."
    Dim Coumou: "Die beiden Theorien schließen sich nicht gegenseitig aus. Sie können durchaus glücklich vereint leben! Allerdings würde ich sagen: Zumindest im Sommer, den wir genauer untersucht haben, kann unsere Wellen-Resonanz die jüngsten Extremwetter-Ereignisse besser erklären.
    Wenn Francis und Coumou mit ihren Thesen richtig liegen, dann ist das starker Tobak! Dann bringt die arktische Aufheizung das Wettersystem in mittleren Breiten nachhaltig aus dem Takt. Und wir müssten viel schneller mit viel krasseren Wetterextremen rechnen, als man das bisher vom Klimawandel angenommen hat. Auf der Basis von Veränderungen im Energie- und Wasserhaushalt, die nur schleichend ablaufen. Eine solche Theorie erfordert natürlich überzeugende Belege. Sie beizubringen, ist schwierig. Deshalb gibt es Fachkollegen, die vorerst skeptisch sind - wie den britischen Atmosphärenphysiker Tim Woollings von der Universität Oxford in England:
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    Der erste Schnee in der Stadt Nürnberg (Bild: Daniel Karmann/dpa) (Daniel Karmann/dpa)
    "Ich würde sagen, derzeit ist das alles nicht mehr als eine Hypothese - wenn auch eine gute! Wir brauchen noch wichtige Bestätigungen dafür. Die physikalischen Grundlagen sind noch nicht überzeugend genug ausgearbeitet. Und wir müssen diesen Fernwirkungsmechanismus auch in Klimamodellen simulieren können. Das ist bisher nur in ganz wenigen Fällen gelungen. Es fehlen also noch entscheidende Belege für diese Theorie."
    Ein weiterer Einwand des Briten: Die vorliegenden Studien betrachteten lediglich den Zeitraum der letzten 14 Jahre:
    "Wir bräuchten Beobachtungsdaten über mehrere Jahrzehnte, um wirklich verlässlich sagen zu können, dass sich da ein arktisches Signal aus dem Chaos des Wettergeschehens herausschält. Und solche Datensätze haben wir nicht. Dafür erwärmt sich die Arktis einfach noch nicht lange genug."
    Solche Einwände sind durchaus berechtigt. Das räumen selbst die Verfechter der neuen Resonanz-Theorie ein. Stefan Rahmstorf:
    "Ich glaube, eine der wichtigsten offenen Fragen ist, inwieweit sich jetzt diese Resonanzen tatsächlich verändern. Inwieweit das wirklich an der arktischen Erwärmung liegt. Und dann natürlich wird jeden interessieren: Wie wird das weitergehen? Es gibt da auch nicht den von den Medien so geliebten Forscherstreit, sondern man versucht einfach, da mit einer gewissen Konkurrenz, aber auch mit vereinter Kraft natürlich das System besser zu verstehen."
    "Es befindet sich derzeit ein Tiefdruckgebiet direkt über Deutschland."
    "Der Westen als auch der Südwesten von Schauern und Gewittern heimgesucht."
    "Bis zum Münsterland etwa kommt der Regen voran."
    "Unwetter mit Hagel und Sturmböen, teilweise extrem heftigem Starkregen."
    "Gewitter, die jede Menge Unwetterpotential haben." Das ist unsere aktuelle Warnlage."
    Monsun im Münsterland
    Im Münsterland bricht am 28. Juli 2014 die Hölle los. Über den flachen Landstrich nördlich des Ruhrgebietes zieht ein Tiefdruck-Wirbel hinweg und macht den Tag zur Nacht. Schwere Gewitter entladen sich, es kommt zu monsunartigen Regenfällen. Mit 12-Stunden-Niederschlagssummen, wie sie laut dem Deutschen Wetterdienst nicht einmal alle 100 Jahre auftreten. Auch an anderen Stellen Deutschlands gießt es wie aus Eimern. Schon in den Tagen und Wochen vorher war das so.
    "Das waren wirklich Fälle, wo 200 Millimeter an einzelnen Stationen gemessen wurden. Das heißt, wir sind hier in Niederschlagsbereichen, die sonst in einem Monat beziehungsweise eigentlich sogar im ganzen Sommer fallen."
    Thomas Deutschländer ist Meteorologe beim Deutschen Wetterdienst DWD in Offenbach. Dort befasst er sich vorwiegend mit den Wechselwirkungen zwischen Klima und Wetter. Der diesjährige Sommer mit seinen extremen Niederschlägen ist da ein äußerst lohnendes Studienobjekt. Neun Mal, und damit ungewöhnlich häufig, stellte sich allein im Juni und Juli eine Wetterlage ein, die die Meteorologen als TM bezeichnen, als "Tief über Mitteleuropa". Auch am Tag des verheerenden Starkregens im Münsterland.
    Eine verbogene Ampelanlage ist am 10.06.2014 neben umgeknickten Bäumen im Hofgarten in Düsseldorf (Nordrhein-Westfalen) zu sehen. Orkanböen, Starkregen und heftige Blitze: Wie eine Walze zog eine Gewitterfront über Nordrhein-Westfalen am 09.06.2014 hinweg.
    Eine verbogene Ampelanlage neben umgeknickten Bäumen im Hofgarten in Düsseldorf (picture alliance / dpa / Rolf Vennenbernd)
    "Die Wetterlage ist häufig, nicht immer, aber häufig wirklich mit sehr starken intensiven Niederschlägen verbunden. Ein in der Regel sehr stationäres, also sprich: ortsfestes Tief, was dazu führt, dass feucht-warme Luftmassen aus dem Mittelmeerbereich nach Deutschland oder Mitteleuropa geführt werden. Die treffen dann hier auf kältere Luftmassen von Norden. Und das Ganze führt dann eben dazu, dass es zu diesen heftigen Starkniederschlägen kommt, weil dann auch so viel Wasser in der Atmosphäre ist."
    Bis Ende August trat diese Wetterlage insgesamt 19 Mal auf - ein Extremwert. Und ungewöhnlich auch deshalb, weil sich das Tief Mitteleuropa im Sommer typischerweise nur selten blicken lässt. Bemerkenswert ist zudem, dass dieses gewitterträchtige Wetter-System auf dem Vormarsch zu sein scheint:
    Deutschländer: "Also, zum einen haben wir festgestellt, auf Basis von statistischen Auswertungen, dass diese Wetterlage in den letzten rund 60 Jahren ungefähr 20 Prozent zugenommen hat. Wir sprechen hier von einer Wetterlage, die im Jahr im Schnitt etwa acht bis zehn Mal früher und jetzt eben etwas häufiger auftritt. Wir reden hier also von einer Zunahme von zwei bis drei Fällen. Aber wir sind noch nicht restlos sicher, dass es sich dabei auch um einen langfristigen, nachhaltigen Trend handelt. Im Moment deutet aber alles darauf hin."
    Zunahme über die Jahrzehnte hinweg
    Hinweise darauf gibt es aus Klima-Modellläufen. Dabei zeigte sich, dass die Häufigkeit im Laufe des Jahrhunderts weiter zunehmen könnte:
    "So in einer Größenordnung zwischen zwei und fünf Fälle mehr, das heißt vielleicht noch einmal eine Zunahme, wie wir sie jetzt schon beobachtet haben. Und das ist natürlich schon nicht ganz ohne, wenn diese Wetterlage zunimmt. Dann haben wir natürlich mehr Gefahr, dass es zu Starkniederschlägen und auch Überschwemmungen und dem, was damit verbunden ist, kommen kann."
    Die Wetterexperten des DWD betrachten die Dinge naturgemäß aus einer eigenen Perspektive. Thomas Deutschländer und seine Kollegen interessiert vornehmlich, ob und in welchem Umfang es zu veränderten Wetterextremen hierzulande kommt. Und nicht unbedingt wodurch. Um so spannender ist es aber zu fragen: Erhärten die Beobachtungen des DWD vielleicht den Verdacht, dass der Wandel in der Arktis unsere Wetterküche nachhaltig aufwirbelt? Können die Wetterfrösche die Klimaforscher bestätigen? Noch sei die Statistik schwach, betont auch Deutschländer. Aber:
    "Wir beobachten ja schon die Tendenz, dass wir mehr sogenannte meridionale Wetterlagen haben. Das heißt, diese klassische West-Wetterlage, dass sich die Tiefs wirklich so auf einer Autobahn von West nach Ost bewegen, die kommt seltener vor. Und wir haben mehr diese sogenannten Trog-Ausbrüche, wo dann also Kaltluft an irgendeinem Ort der Welt weit nach Süden ausbricht. Dafür haben wir dann an einer anderen Stelle dann eben auch die Warmluft weit im Norden. Das ist schon etwas, was mit der arktischen Amplifikation zu tun haben dürfte. Das würde auch dazu passen, dass sich so ein Tief wie das Tief Mitteleuropa dann auch einmal länger und öfter bei uns einnistet."
    Stefan Rahmstorf: "Diese planetarischen Wellen-Resonanzen, das ist schon ein sehr spezielles Phänomen. Und ist jetzt bei weitem nicht die Erklärung von allen Wetterextrem-Ereignissen. Sondern es werden zum Beispiel Hitzewellen auch ohne Veränderungen in den planetarischen Wellen häufiger - einfach dadurch, dass das Klima wärmer wird."
    Doch dieser lineare Effekt könnte immer stärker überlagert werden vom Störfeuer aus der Arktis.
    Dim Coumou: "Nach den Klimamodellen ist zu erwarten, dass die arktische Erwärmung weiter fortschreitet. In dem Fall werden die Prozesse, die zu stationären Wetterzuständen bei uns führen, eine immer größere Bedeutung bekommen."
    Weltklimagipfel 2015 soll Abkommen bringen
    "So I invite the conference to adopt document FCCC / CP ..."
    Im kommenden Jahr, auf dem Weltklimagipfel in Paris, soll es endlich einen tragfähigen internationalen Vertrag geben, um den Ausstoß von Treibhausgasen zu verringern. Die letzte große Vorbereitungskonferenz findet jetzt in Lima in Peru statt. Dort wird auch Thomas Stocker sein. Um den Delegierten die Erkenntnisse aus dem aktuellen Weltklimareport zu erläutern.
    "Wir haben verlässliche, zuverlässige Botschaften. Also, wir werden wiederum in Lima sagen: Die Erwärmung des Klimasystems ist eindeutig. Der Einfluss des Menschen ist klar. Und wir werden noch einmal sagen: Die Beschränkung des Klimawandels erfordert große Reduktionen der Treibhausgas-Emissionen."
    Eigentlich hätte der erhoffte Welt-Klimavertrag schon 2009 in Kopenhagen zu Stande kommen sollen. Doch dieser Gipfel scheiterte bekanntlich mit Pauken und Trompeten. Diesmal sei die Situation eine andere, sagt Michel Jarraud, der Generalsekretär der Welt-Meteorologie-Organisation:
    "2009 wurden noch einige Unsicherheiten in der Klimaforschung als Ausrede benutzt, um keine Maßnahmen zu ergreifen. Inzwischen bestehen diese Unsicherheiten aber nicht mehr. Und es gibt keine Entschuldigung mehr für Untätigkeit."
    Jarraud meint damit vor allem die sogenannte Erwärmungspause. Seit 1998 ist die globale Mitteltemperatur in Bodennähe nicht mehr so stark gestiegen wie in den zwanzig Jahren davor. Das stellte tatsächlich auch Klimaforscher wie Kevin Trenberth vor ein Rätsel. Doch inzwischen gibt es eine schlüssige Erklärung für die vermeintliche Trendwende:
    "Zur gleichen Zeit hat sich der Ozean weiter erwärmt, und der Meeresspiegel ist unverändert gestiegen. Wir haben herausgefunden, dass große Anteile der Wärmeenergie in größere Tiefen transportiert wurden. Es ist der Ozean, der sich derzeit vor allem aufheizt! Wie wir sehen, manifestiert sich die globale Erwärmung manchmal in unerwarteter Weise."
    Es gibt neue Befunde, die den Klimawandel sogar noch bedrohlicher erscheinen lassen. Und die im aktuellen Weltklimareport noch gar nicht erwähnt sind. Den Potsdamer Physiker und Ozeanographen Stefan Rahmstorf beunruhigen vor allem Studien aus der Antarktis am anderen Ende der Welt:
    Anzeichen für Veränderung mehren sich
    "Es ist in diesem Frühjahr durch mehrere Forschergruppen gezeigt worden, dass die West-Antarktis - ein großer Eisschild dort, der genug Eis enthält, um den Meeresspiegel um drei Meter anzuheben -, dass die praktisch ihren kritischen Punkt überschritten hat, das heißt in einen sich selbst erhaltenden, unaufhaltsamen Zerfallsprozess übergegangen ist. Und das ist wirklich neu seit dem IPCC-Bericht."
    Einen zusätzlichen Motivationsschub für die Verhandlungen in Paris könnten die Klimaforscher liefern, wenn sie demnächst die Temperaturdaten für 2014 auswerten. Im tropischen Pazifik wird nämlich weiter mit einem El Nino gerechnet, also dem Eintritt einer monatelangen Warmphase mit stark erhöhten Meeresoberflächentemperaturen. Das, sagt US-Forscher Trenberth, werde sich weltweit auswirken:
    "Ein Teil dieser Wärme aus dem Pazifik geht in die Atmosphäre und erzeugt dort eine zusätzliche Mini-Klimaerwärmung. Es könnte deshalb gut sein, dass 2014 am Ende das wärmste Jahr der Aufzeichnungen wird. Und 2015 ist gleich der nächste Kandidat."
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    Blick auf das Schelf des Pine-Island-Gletschers in der Westantarktis (Nasa)
    Und dann sind da diese immer gravierenderen Wetterextreme. Die weltweiten Schadensfälle haben sich seit 1980 verdreifacht. Und ähnliche Steigerungsraten zeigen die Daten von Rückversicherern auch für Europa. Ein Trend, der sich nach allem, was die Klimaforschung heute weiß, weiter fortsetzt. Wie hoch werden die Schäden erst in 20 oder 30 Jahren sein? Die Häufung von Hitzewellen und Starkniederschlägen. Ihre immer höheren Kosten - sie könnten die Regierungen vielleicht am besten dazu bewegen, wirklich Ernst zu machen mit dem globalen Klimaschutz. Das ist längst überfällig. Und es ist auch schon lange klar, welcher Weg zum Ziel führt. Kraftwerke, Industrie und Verkehr müssten ihren Ausstoß von Kohlendioxid und anderen Treibhausgasen drastisch reduzieren, betont auch Rajendra Pachauri, der Vorsitzende des Weltklimarates. Eine Alternative dazu gebe es nicht:
    "There's really no plan B. Because there is no planet B."
    Wir haben keinen Plan B. Denn es gibt auch keinen Planeten B!