Donnerstag, 28. März 2024

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Klimaneutraler Verkehr
"Bis 2040 müssen alle Pkw mit Verbrennungsmotoren von der Straße verschwinden"

Will die EU die Pariser Klimaziele einhalten, muss der Verkehr einer Greenpeace-Studie zufolge bis 2040 klimaneutral werden. Dazu müsste die Zahl der Pkws und Lkws auf europäischen Straßen halbiert werden, sagte Benjamin Stephan von Greenpeace im Dlf. Autos, die dann noch fahren, müssten elektrisch sein.

Benjamin Stephan im Gespräch mit Susanne Kuhlmann | 14.09.2020
Starker Verkehr auf der Flughafentangente Ost, der Staatsstrasse 2580
Ohne Verringerung des Straßenverkehrs droht vor allem in Städten der Verkehrsinfarkt (dpa/Stephan Görlich)
Flugverkehr, Schifffahrt, Straßenverkehr – im Verkehrsbereich sind die Emissionen in den vergangenen 30 Jahren am schnellsten gewachsen. Sie lagen laut der Umweltorganisation Greenpeace zuletzt 28 Prozent höher als im Jahr 1990. Was muss im Verkehrssektor passieren, damit Europa die Pariser Klimaschutzziele erreicht? Mit der Klärung dieser Frage beauftragte Greenpeace eine Studie beim Kölner NewClimate Institut und dem belgischen Instituts Climact. Im Dlf-Interview erläutert Greenpeace-Verkehrsexperte Benjamin Stephan die Ergebnisse der Studie.
Susanne Kuhlmann: Herr Stephan, die Ausgangslage ist in den EU-Staaten ja ziemlich unterschiedlich.
Benjamin Stephan: Das ist in der Tat so. Allerdings sind die Wege, die man beschreiten muss, dann doch wieder ähnlich. Wir müssen die Alternativen zum Auto verbessern, Bus, Bahn, Radverkehr, sodass wir – das zeigt die Studie ganz deutlich – es 2040 auch schaffen, mit etwa der Hälfte der Autos auszukommen. Die Autos, die wir dann in Europa noch auf den Straßen haben, die dann noch fahren, die sind elektrisch, die müssen elektrisch sein. Spätestens ab 2028 sollten dazu keine neuen Diesel, Benziner oder auch Hybride mehr als Neuwagen zugelassen werden und auch bis 2040 müssen alle Pkw mit Verbrennungsmotoren von der Straße verschwinden. 2040 ist der Zeitpunkt, wo wir dann wirklich zu null CO2-Emissionen aus dem Verkehr kommen müssen, wenn man das 1,5 Grad Ziel, das im Klimaschutzabkommen von Paris verankert wurde, wirklich ernst nehmen will und einhalten möchte.
"Auch auf dem Land kann man Alternativen ausbauen"
Kuhlmann: Angesichts der Corona-Pandemie schätzen viele Menschen ja den Individualverkehr im eigenen Auto wieder ganz neu und die Autoindustrie ist jedenfalls in Deutschland ein enorm wichtiger Wirtschaftsfaktor. Was sieht Ihre Studie zu diesen beiden Punkten vor?
Stephan: Mit Corona hat sich die Studie jetzt nicht direkt beschäftigt, aber da haben wir uns das auch schon angesehen an anderer Stelle im Frühjahr in diesem Jahr. Und man sieht es natürlich, dass es den Trend zum Auto gibt, mit dem großen Risiko, dass wir wirklich vor einem Verkehrsinfarkt der Städte stehen. Deswegen ist es ganz wichtig, dass man da auch die Alternativen stärkt. Wenn Menschen jetzt gerade nicht stark Bus und Bahn frequentieren, dann ist es gerade das Fahrrad, und dass das gut funktioniert und auch sehr gut angenommen wird, haben ja einige Städte gezeigt, die dort neue sogenannte "Pop Up Bike Clames" installiert haben, um den Menschen einen sicheren Radfahr-Raum zu geben. Das ist wichtig und weiter ist natürlich auch wichtig, dass die Politik den öffentlichen Verkehr jetzt unterstützt, über diese Corona-Delle hindurchzukommen, dass dort Konzepte ausgearbeitet werden, dass Menschen auch wieder sicher Bus und Bahn nutzen können und nutzen wollen.
Kuhlmann: Jetzt wohnt ja ein nicht unerheblicher Anteil der Bevölkerung auf dem Land und nicht in den Städten, wo schon Alternativen ganz gut vorhanden sind. Was passiert mit denen?
Stephan: Auch auf dem Land kann man Alternativen ausbauen, aber natürlich hat man aufgrund der geringeren Bevölkerungsdichte nicht ganz die Möglichkeiten, und dort wird es wahrscheinlich auch noch stärker zur Autonutzung kommen in Zukunft. Da ist es natürlich ganz wichtig, dass die Menschen auch dann die Möglichkeit haben, die richtigen Autos angeboten zu bekommen. Das heißt, das müssen Elektrofahrzeuge sein, die klein und leicht sind, das heißt keine riesigen Elektro-SUVs, dass man dort aber geteilte Nutzung in Nachbarschaften, in Gemeinden hat, damit diese Fahrzeuge nicht den ganzen Tag herumstehen, sondern man die möglichst effizient nutzen kann.
"Deutschland war allergrößter Bremser in der Vergangenheit"
Kuhlmann: Ein großes Problem ist ja auch der Güterverkehr, sowohl auf den Autobahnen als auch in den Städten. Wie könnte der in 20 Jahren unterwegs sein?
Stephan: Da geht die Studie in eine ähnliche Richtung. Auch da geht es darum, dass die Zahl der LKW auf europäischen Straßen fast halbiert wird bis 2040 und natürlich im Gegenzug dann die Schiene und auch die Binnenschifffahrt ausgebaut wird. Man hat es ja in dem Beitrag zuvor schon gehört: Über die Lastenfahrräder in den Städten gibt es auch die Möglichkeiten, umzusteigen auf Verteilung mit Lastenfahrrädern und Fahrradkurieren, um das Ganze schonender sowohl für das Klima, aber auch für die Menschen zu machen, die in den Städten leben, weniger Lärm, weniger Abgase, und dann auch mehr Lebensqualität dadurch zu erhalten.
Kuhlmann: Die EU-Kommission will das europäische Klimaziel ja auch anheben. Welche Länder, bezogen auf den Verkehr, könnten mitziehen und wo sehen Sie die Bremser?
Stephan: Ich glaube, es ist entscheidend, wie sich Deutschland verhält. Deutschland war allergrößter Bremser in der Vergangenheit – immer wenn es darum ging, gerade im Verkehr CO2-Ziele für die Autos oder so etwas wirklich ambitioniert genug auszugestalten. Das ist jetzt wirklich auch ein Lackmustest, ob das, was vor ein paar Tagen Peter Altmaier gesagt hat, wir müssen hier voran, Klimaschutz ist wichtig, ob die Bundesregierung das auch wirklich ernst meint. Der Verkehrsminister, Herr Scheuer, der läuft da in eine ganz andere Richtung. Der hat schon angekündigt, nein, das darf auf keinen Fall ambitionierter werden oder sollte nicht zu ambitioniert werden, und er hat jetzt auch noch mal Verkaufsprämien für Diesel und Benziner gefordert.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.