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Klimapolitik und Gerechtigkeit
"Der Wandel wird in vielen Gesellschaften schmerzhaft sein"

Beim "Global Solutions Summit" in Berlin suchen Experten nach globalen Lösungen für Klimakrisen, Gewalt und Armut. Wichtig sei dabei stets, ökonomischen, technischen und politischen Fortschritt mit sozialem Fortschritt zu verknüpfen, sagte Markus Engels, Generalsekretär der Initiative, im Dlf.

Markus Engels im Gespräch mit Jule Reimer | 19.03.2019
Olaf Scholz (SPD), Bundesminister der Finanzen, spricht beim "Global Solutions Summit" zu den Teilnehmern.
Beim Global Solutions Summit kommen Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft zusammen (dpa/Kay Nietfeld)
Jule Reimer: Ob G7-, G8- oder auch die mit der Finanzkrise 2008 ins Leben gerufenen G20-Gipfel: Jedes Jahr übernimmt ein anderes Mitgliedsland die Präsidentschaft dieser Treffen, zu denen sich mächtige und einflussreiche Staaten versammeln. Wer so einem Club ein Jahr lang vorsteht, will sich profilieren und seine eigenen Themen durchbringen. Um mehr Kontinuität und weniger Themen-Hopping in die Zusammenarbeit der G20-Staaten zu bringen, wurden vor zwei Jahren die sogenannten T20 ins Leben gerufen: T steht für Think – Denken, es trafen sich also Wissenschaftler und Denkfabriken der G20-Staaten - mit dem Ziel, globale Lösungen für globale Probleme zu finden. Daraus entstand die Global Solutions Initiative, die sich gerade zu ihrem eigenen Gipfel mit 1000 internationalen Entscheidern aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft in Berlin zusammenfinden und zudem sich auch EU-Vizepräsident Frans Timmermanns und Bundeskanzlerin Merkel einfanden. Kurz vor dieser Sendung fragte ich Markus Engels, den Generalsekretär der Global Solutions Initiative, ob globale Lösungssuche in Zeiten von "Make America great again" überhaupt noch gefragt ist.
Markus Engels: Wir haben in der Tat ein Paradoxon. Wir haben offensichtlich globale Probleme, die auch nur durch internationale Kooperation gelöst werden können, und gleichzeitig in vielen Staaten einen Rückzug ins Nationale, teilweise Nationalistische, mit einer "me first"-Ideologie. Genau deshalb ist es aus unserer Sicht, aus Sicht von Global Solutions jetzt notwendig, dass die Zivilgesellschaft da mit eingreift und unterstützt und sagt: Ja, wir brauchen eine Kontinuität der Themen in den G20. Es kann ja nicht sein, dass ein Gremium, das über solche fundamentalen Fragen wie Klimawandel, wie die neue Datengesellschaft, die Zukunft der Arbeit, Migration spricht, eine so hohe Diskontinuität hat durch die wechselnden Präsidentschaften. Deswegen hat sich Global Solutions gegründet, um auch eine Antwort zu geben auf diese "me first"-Ideologie.
"Es gibt natürlich einzelne, die ausscheren"
Reimer: Angetreten sind Sie 2016/2017. Da wurde nachhaltiges Wirtschaften sehr groß geschrieben. Wir hatten 2015 das Pariser Klimaabkommen. 2016 haben im Rahmen des G20-Gipfels in China US-Präsident Barack Obama damals und auch Chinas Staatspräsident Xi Jinping das Pariser Klimaabkommen angenommen, auch ratifiziert oder ratifizieren lassen. Was ist übrig geblieben von dem Elan für nachhaltiges Wirtschaften?
Engels: Ich glaube schon, dass der Elan noch da ist in vielen Regionen und in vielen Ländern dieser Erde. Aber es gibt natürlich einzelne, die ausscheren. Donald Trump ist ein Beispiel, der ja das Klimaabkommen gekündigt hat. Aber es gibt gleichzeitig ein anderes Phänomen. In der Sekunde, als Trump das verkündet hat, hat sich sofort auf der Ebene der Regionen und der Städte ein Netzwerk gebildet, die gesagt haben: Nein, wir wollen die Klimaverpflichtungen der USA weiter einhalten. Und es hat auch private Initiativen gegeben, die im Grunde dann die Verpflichtung der föderalen und der bundesstaatlichen Regierungen übernommen haben. Das ist ein interessantes Phänomen, was wir dringend unterstützen müssen. Das tun wir hier auch bei Global Solutions, indem wir die lokale und regionale Ebene einbeziehen.
Reimer: Entschuldigung, dass ich da mal kurz unterbreche. – Das stimmt, das sind Initiativen. Aber Tatsache ist, dass die USA erstens ein mächtiger Player sind, dass der nächste G20-Gipfel von Saudi-Arabien ausgerichtet wird, und danach sind die USA dran. Das heißt, die bestimmen das Programm.
Engels: Ja! Aber erstens rate ich dazu, nicht nur mit dem Finger auf andere zu zeigen. Wir wissen ja auch selber in Deutschland, wie schwierig es ist, aus dieser ölgeprägten Denke rauszukommen. Wir haben selber eine starke Autoindustrie und wir wissen, wie schwierig das ist. Zweitens: Ich habe gestern mit dem G20-Sherpa von Saudi-Arabien gesprochen. Saudi-Arabien hat nicht das Pariser Klimaabkommen gekündigt. Wir beraten jetzt gerade mit denen deren Prioritäten. Der Klimawandel wird definitiv eine Priorität sein. Aber Sie haben natürlich recht: Natürlich ist dieses Geschäft schwieriger geworden. Ich glaube, eine ganz zentrale Antwort ist – das ist auch etwas, was wir lernen aus der Klimagesetzgebung, die Macron ja versucht hat -, dass man die Klimafrage zu einer Gerechtigkeitsfrage machen muss. Man darf das nicht entkoppeln, Wirtschaft gegen Umwelt, und deswegen muss man Gerechtigkeitsthemen, soziale Themen mitdenken, denn sonst fliegen – und das haben wir ja in Frankreich gerade erlebt – einem auch die gut gemeinten Klimagesetze um die Ohren. Das ist, glaube ich, ein Paradigmenwechsel im Denken, der notwendig ist, damit wir diese "me first"-Ideologie nachhaltig beantworten.
Sozialen Fortschritt nicht aus dem Blick verlieren
Reimer: Sie haben aber das Problem, dass zum Beispiel auch Brasilien ebenfalls mittlerweile ausschert unter dem neuen Präsidenten Jair Bolsonaro.
Engels: Genau! Das ist das, was ich sage. Wir haben im Augenblick eine populistische Bewegung, die sagt, Globalisierung ist böse und durch Abschottung und durch Kündigung von internationalen Verträgen können wir unsere Bevölkerung schützen. Das ist natürlich offensichtlich eine absurde Strategie, aber wir hatten bisher keine Antwort. Und ich glaube, dass die Antwort sein muss – das ist das, was der Global Solutions Summit versucht: Wir nennen das Recoupling, die Verknüpfung von ökonomischem, technischem, politischem Fortschritt mit sozialen Fortschritten. Nur wenn diese Verknüpfung gelingt, dann können wir auch in den sogenannten Rust Belts, in den Regionen, wo es nicht so gut ist, sagen, ihr könnt im Zweifel davon profitieren. Aber klar ist, nicht, dass Sie mich missverstehen: Dieser Wandel wird in vielen Gesellschaften schmerzhaft sein. Und wir selber in Deutschland erleben ja gerade, wie schwer uns das fällt. Ich habe heute im Tagesspiegel gelesen, dass die Bundesregierung für das nächste Jahr schon in den Haushalt Strafzahlungen, die für die EU fällig werden, weil wir selber die europäischen Klimaziele nicht einhalten, eingeplant hat. Aber ich glaube, dass durch diese Recoupling-Idee wir endlich eine Antwort haben, wie das gehen könnte.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.