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Klimavertrag von Paris
"Ein realistisches Abkommen"

Der ehemalige Bundesumweltminister Jürgen Trittin (Grüne) hat den neuen Klimavertrag von Paris gelobt. Das Abkommen sei ein großer Fortschritt, sagte er im DLF. Als sinnvoll bezeichnete er insbesondere, dass die Umsetzung der vereinbarten Maßnahmen alle fünf Jahre überprüft werden soll. Das Abkommen sei politisch sehr viel bindender als viele vermuteten.

Jürgen Trittin im Gespräch mit Doris Simon | 14.12.2015
    Der Grünen-Politiker Jürgen Trittin
    Der Grünen-Politiker Jürgen Trittin (dpa / picture-alliance / Bernd von Jutrczenka)
    Damit auch Länder wie die USA dem Abkommen zustimmen konnten, wurde es in Paris so konzipiert, dass es rein rechtlich nicht bindend ist. Eine bindende Wirkung entfalte es aber dennoch, betonte Trittin - dadurch, dass sich die Unterzeichnerstaaten verantwortlich fühlten.
    Der frühere Bundesumweltminister kritisierte, dass das Abkommen von Paris aber nicht ausreiche, um das Zwei-Grad-Ziel noch zu erreichen. Deshalb müssten zusätzliche Maßnahmen umgesetzt werden. So müsse Deutschland zum Beispiel die Dekarbonisierung vorantreiben: unter anderem durch die energetische Gebäudesanierung, durch die Förderung der Elektromobilität und durch den Ausstieg aus der Braunkohle. Indem Kohlekraftwerke vom Netz genommen würden, könnten auch Überkapazitäten auf dem Strommarkt abgebaut werden, sagte Trittin.
    Elektromobilität wichtig für das "Autoland Deutschland"
    Der Bundesregierung warf der Grünen-Politiker im Zusammenhang mit der Energiewende Fahrlässigkeit vor: Der Ausbau der erneuerbaren Energien schaffe neue Arbeitsplätze. Das werde jedoch beispielsweise durch das Verbot von Freiflächen für Fotovoltaik-Anlagen verhindert. Das Festhalten an der Braunkohle zeige, dass sich die deutsche Umweltpolitik "an gestern und nicht an morgen" orientiere.
    Trittin betonte auch die besondere Bedeutung der Elektromobilität für das "Autoland Deutschland." Man versuche in Deutschland verzweifelt, die Dieseltechnologie zu reanimieren - obwohl das bereits in den USA gescheitert sei. Mit Sorge betrachte er die Entwicklung, dass Konkurrenz für den US-Elektrofahrzeugbauer Tesla aus China komme und nicht aus Deutschland: "Wir gefährden die industriellen Fähigkeiten unseres Landes," warnte Trittin.

    Das komplette Interview zum Nachlesen:
    Doris Simon: Vier Jahre Verhandlungen, zum Schluss zwei Wochen pausenlose harte Auseinandersetzungen in Paris und dann ein Klimaabkommen, das alle Staaten der Erde unterzeichnet haben und das von fast allen Seiten in höchsten Tönen als Schritt zur Rettung des Planeten gelobt wird. Die Erderwärmung soll auf deutlich unter zwei Grad im Vergleich zur vorindustriellen Zeit begrenzt werden, möglichst sogar nur auf 1,5 Grad. Die Industrieländer unterstützen Entwicklungsländer mit Milliarden bei der Reduzierung der Treibhausgase. Regelmäßig soll überprüft werden, ob die Staaten diese ihre Verpflichtungen auch einhalten.
    - Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Jürgen Trittin hat sich viele Jahre auch als Bundesumweltminister in der Klimapolitik engagiert. Herr Trittin, sind Sie denn froh, dass nach 23 Jahren endlich ein Vertrag auf dem Tisch liegt?
    Jürgen Trittin: Das ist ein großer Fortschritt, dass wir ein Anschlussabkommen haben, was nach 2020 Kyoto folgt. Und es gibt einen weiteren ganz großen Fortschritt: Das bindet inzwischen alle Länder, sich verantwortlich zu fühlen, dem Klimawandel entgegenzutreten. Und das dritte: Man hat ein realistisches Abkommen gemacht, ein Abkommen, was zwar auf der einen Seite sagt, wir wollen zwischen 1,5 und zwei Grad bleiben, aber was weiß, dass die bisher gemachten Zusagen der Länder dafür nicht ausreichen. Das sind so rund 2,7 Grad. Also hat man sich vorgenommen, dieses Abkommen alle fünf Jahre zu überprüfen. Und hat einen Mechanismus installiert, der mit sicherstellen soll, dass die anvisierten Ziele auch erreicht werden.
    Simon: Herr Trittin, Sie sagen, es bindet alle Staaten der Welt. Das ist eine deutliche Verbesserung gegenüber Kyoto. Aber rechtlich bindend ist das Abkommen ja nicht. Man wollte es so machen, damit die USA auch zustimmen können. Aber ist das nicht problematisch?
    Trittin: Jetziges Klimaabkommen ist der richtige Weg
    Trittin: Ich glaube, dass das der richtige Weg ist. Es war der einzige Weg, ein solches Abkommen zu bekommen, also einen Ansatz zu wählen, wo die Staaten erst mal eigene Beiträge erbringen, diese zu sammeln, dann zu schauen, was kommt dabei heraus, was müssten wir eigentlich tun, und diesen Mechanismus zu installieren. Es hat sich ja auch gezeigt, dass mit der veränderten Haltung der USA hier es tatsächlich zu einem Verhandlungsergebnis kommen konnte. Die USA haben versprochen, ihre Anstrengungen oder ihre Leistungen an Entwicklungsländer bei der Anpassung zum Klimawandel zu verdoppeln. Sie haben im eigenen Lande mit dem Clean Air Act ein Gesetz vorgelegt, was weiter geht als in Deutschland. Es gibt in Deutschland keine Vorschriften für den CO2-Ausstoß von Kraftwerken. Also es zeigt sich, hier ist auf dieser Basis der freiwilligen Beiträge Bewegung reingekommen. Und ich glaube, die politische Bindungswirkung dieses Abkommens ist höher, als viele jetzt vermuten.
    Simon: Sie sagten, das Abkommen ist ambitioniert in seinen Zielen. Festgeschrieben ist als Ziel ja eine Begrenzung der Erderwärmung auf unter zwei, möglichst 1,5 Grad Celsius. Das was da aber in Paris jetzt festgeschrieben wurde, das reicht ja gar nicht, um dieses Ziel zu erreichen. Was muss denn da jetzt passieren?
    Trittin: 2,7, das ist noch zu viel
    Trittin: Das bringt uns auf eine Erwärmung von 2,7, das ist noch zu viel. Und deswegen muss man jetzt zusätzliche Maßnahmen ergreifen. Wir haben ja hier in Deutschland gewisse Erfahrung, wie man so etwas machen kann. Der Umstand, dass weltweit im letzten Jahr 143 Gigawatt erneuerbare Stromkapazität neu installiert wurde, mehr als fossile, hat damit zu tun, dass die in Deutschland eingeleitete Energiewende weltweit diese Technologien billig und wettbewerbsfähig gemacht hat. Aber was wir jetzt tun müssen, ist in der Tat ernsthafte Schritte dahin zu gehen, was Deutschland verbal proklamiert hat, nämlich zu dekarbonisieren, also den Kohlenstoffgehalt der Industrieproduktion wirklich runterzubringen. Dazu müsste man mehr investieren in energetische Gebäudesanierung. Dazu muss man aussteigen aus der Braunkohleverstromung und Kohleverstromung. Und dazu muss man richtig große Schritte tun, gerade im Autoland Deutschland in Richtung Elektromobilität.
    Simon: Wenn wir gerade mal bei Deutschland bleiben. Bis 2020 wollten wir ja ursprünglich 40 Prozent der Emissionen reduziert haben im Vergleich zu 1990. Tatsächlich sind wir jetzt gerade mal bei 27 Prozent. Wenn wir das noch nicht mal hinkriegen, sind da die Ziele nicht vielleicht zu ambitioniert?
    Trittin: Nein. Ich glaube einfach, dass die Bereitschaft, diesen Weg zu gehen, obwohl man nun die Erfahrung gemacht hat, wie sehr sich das ökonomisch und ökologisch rentiert, immer wieder an Lobbygruppen scheitert, denen man nachgibt. Nehmen wir einfache Beispiele. Jeder weiß, wenn wir unsere alten Gebäude besser isolieren würden und vielleicht nur zwei, drei Prozent von den alten Gebäuden im Jahr, dass wir nicht nur Zehntausende von Arbeitsplätzen entstehen lassen würden, sondern bis 2030 würden wir so viel Gas einsparen, wie wir in diesem Jahr aus Russland importieren. Jeder weiß, wenn wir zu einem stabileren Strommarkt kommen wollen, dass wir dahin kommen müssen, die Überkapazitäten auf dem Strommarkt abzubauen. Das Klügste wäre es, daran zu gehen, die Kraftwerke vom Netz zu nehmen, die Strom immer nur unter Unmengen von CO2 produzieren. Das sind die Kohlekraftwerke. Aber auch hier hat sich die Regierung, anstatt aus den fossilen Subventionen auszusteigen, erst jüngst bereitgefunden, noch mal 1,6 Milliarden an neuen Kohlesubventionen an RWE und Vattenfall auszuschütten.
    Simon: Aber wenn Sie, Herr Trittin, sagen, das rentiert sich ökonomisch und ökologisch, das sieht man bei uns - Sie sprechen von der Kohle -, wenn man den Atomausstieg weitermacht, wenn man aus der Kohle rausgeht und zugleich aber die Netze noch nicht soweit hat in Deutschland, es die Speichermedien für Wind und Sonne noch nicht gibt, schädigen wir uns da nicht als Wirtschaftsnation?
    Trittin: Deutschland hat weltweit die geringsten Stromausfälle
    Trittin: Wir sind das Land, was die geringsten Stromausfälle weltweit hat. Und in der Tat überlasten wir unsere Netze. Deswegen müssen wir ja diese Überlast reduzieren und deswegen müssen wir die großen Grundlastkraftwerke mit der Braunkohle dort rausnehmen. Und wenn ich sage, es rentiert sich, sehen Sie: Durch die erneuerbaren Energien sind bis zu 400.000 neue Arbeitsplätze in Deutschland entstanden. Wie fahrlässig man damit umgehen kann, hat auch die Bundesregierung bewiesen. Das Verbot von Freiflächen für Fotovoltaik-Anlagen, die Einführung der Sonnensteuer, das alles hat in Deutschland in den letzten drei Jahren 40.000 Arbeitsplätze von diesen 400.000 wieder gekostet. Und dann diskutieren wir mit großem Aplomb, wenn die Umweltministerin sagt, wir wollen bis 2040 aus der Kohle aussteigen, ohne betriebsbedingte Kündigungen, dass das ja 20.000 Arbeitsplätze sein würden. Das halte ich für in der Tat eine Diskussion, wo man sich nur am gestern, aber nicht an morgen orientiert.
    Simon: Wird sich das jetzt nach Paris ändern?
    Trittin: Ich würde mir das sehr wünschen. Die Frage, schaffen wir es, zum Beispiel mehr für Elektromobilität zu tun, wird für den Industriestandort Deutschland, das Autoland von entscheidender Bedeutung sein. Ich sehe mit großer Sorge, dass Firmen wie Tesla mittlerweile von China auf dem Gebiet Konkurrenz bekommen, aber nicht von Deutschland. In Deutschland versucht man verzweifelt, die in den USA vollends gescheiterte Dieseltechnologie noch mal zu reanimieren. Das ist etwas, wo wir auf Dauer tatsächlich die industriellen Fähigkeiten unseres Landes gefährden.
    Simon: Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Jürgen Trittin war das zum Klimaabkommen von Paris. Herr Trittin, vielen Dank!
    Trittin: Guten Tag.
    Simon: Auf Wiederhören!
    Trittin: Tschüss.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.