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Klimawandel am Tejo

Seit mehr als einem Jahr regiert im krisengebeutelten Portugal eine konservative Koaltion mit stabiler Mehrheit. Ihren harten Sparkurs unterstützten bislang auch die größten Oppositionsparteien. Jetzt aber dreht der Wind.

Von Tilo Wagner | 25.09.2012
    Eine bizarre Szene und ein ungewöhnlicher Moment. Tausende wütend pfeifende Portugiesen stehen vor dem Präsidentenpalast im Lissabonner Vorort Belém, und mittendrin ein kleiner Chor, der ein altes Revolutionslied anstimmt. Das Pfeikonzert vor dem Palast verstummt, stattdessen singt ein Teil der Menge mit . "Acordai", "Wacht auf", und es ist klar, dass die Demonstranten nicht an das Volk appellierten, sondern an die Politiker.

    Das politische Klima in Portugal hat sich in den vergangen zweieinhalb Wochen grundlegend verändert. Seit die Regierung eine drastische Erhöhung der Sozialversicherungsbeiträge für Arbeitnehmer bekannt gab, reißt die Welle der Empörung nicht ab. Hundertausende Portugiesen organisierten über Soziale Netzwerke im Internet eine der größten Demonstrationen der portugiesischen Geschichte.

    Die konservative Regierungskoalition stand kurz vor dem Aus, weil die kleinere Volkspartei ihre Kritik an den jüngsten Sparvorschlägen öffentlich vortrug. Und die größte Oppositionspartei drohte mit einem Misstrauensantrag im Parlament. Erst als Staatspräsident Aníbal Cavaco Silva einen außerordentlichen Staatsrat einberief und sich hinter den Kulissen für eine Überarbeitung der Sparvorschläge einsetzte, gab Premierminister Passos Coelho im Parlament seine Dialogbereitschaft bekannt:

    "Die Regierung ist weder blind noch taub, und wird auch nicht stumm bleiben. Es kann sein, und das habe ich immer wieder betont, dass ich sehr entschlossen bin. Aber bitte verwechseln Sie Entschlossenheit nicht mit Unnachgiebigkeit."

    Die Regierung rudert nun zurück und bemüht sich, die Risse in der portugiesischen Politik zu kitten. Gestern traf sich der Premierminister mit Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden und kündigte an, dass die umstrittene Erhöhung der Arbeitnehmerbeiträge nun doch nicht umgesetzt werde. Auf die Portugiesen kommen aber trotzdem neue Abgaben zu, wahrscheinlich in Form einer zusätzlichen Einkommensteuer. Denn der Staat muss im kommenden Jahr rund zwei Milliarden Euro mehr einnehmen, und das obwohl die Troika aus EU, IWF und Europäischer Zentralbank das Defizitziel für 2013 von drei auf 4,5 Prozent nach oben korrigierte.

    Der Politologe Pedro Magalhães vom Institut für Sozialwissenschaften in Lissabon bezweifelt jedoch, dass die sichtbar gewordene Spaltung zwischen Volk und Regierung damit zu überbrücken sei:

    "Diese Situation ist das Ergebnis eines schwerwiegenden politischen Fehlers. Das Konzept zur Erhöhung der Sozialversicherungsbeiträge war sehr schlecht ausgearbeitet und die Präsentation war mangelhaft. Im Vorfeld gab es keinerlei Versuche, irgendjemanden von der Richtigkeit der Maßnahmen zu überzeugen, weder innerhalb der Opposition noch innerhalb der Regierungspartei oder sogar der Regierung selbst, und auch nicht mit den Sozialpartnern. Unabhängig davon, ob der Sparplan wirtschaftlich und finanzpolitisch sinnvoll ist oder nicht, wird dieser politische Fehler nicht einfach zu korrigieren sein. Das Vertrauen, das viele Portugiesen trotz allem in die Regierung gehabt hatten, ist schwer erschüttert worden. Die Akzeptanz neuer Sparmaßnahmen ist drastisch gesunken."

    Portugal hat in den vergangenen 15 Monaten versucht, sich immer wieder von dem Image eines "zweiten Griechenlandes" zu distanzieren. Als Beleg dafür galt bislang die politisch stabilen Verhältnisse im Land , und das weiß auch die Regierung. Passos Coelhos konservative PSD und die Volkspartei haben jetzt ein Kooperationsabkommen geschlossen, dass schwerwiegende Konflikte im Regierungslager künftig vermeiden soll. Pedro Magalhães glaubt, dass die Politiker nun einen Schritt auf das Volk zu machen müssen:

    "Die Regierung hat das Gespür verloren, an eine gewisse Selbstlosigkeit der Bürgers zu appellieren. In den Monaten zuvor hieß es immer: 'Wir sparen jetzt, dann wird es für alle in Zukunft besser.' Und diesen zweiten Teil, das Versprechen einer besseren Zukunft, verbinden viele Portugiesen nun nicht mehr mit dieser Regierung."