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Klimawandel
"Es geht hier um die vierte Industrielle Revolution"

Um das Zwei-Grad-Ziel zu erreichen, müsse schnell gehandelt werden, sagte Thomas Stocker, Autor des Sachstandsberichtes des Weltklimarates, im DLF. Jetzt stehe der Übergang an von einer fossilen Gesellschaft zu einer Gesellschaft, die ihre Energie durch erneuerbare Prozesse gewinne.

Thomas Stocker im Gespräch mit Georg Ehring | 03.11.2014
    Das Braunkohle-Kraftwerk Jänschwalde in Brandenburg im Februar 2014
    Nur 255 Milliarden Tonnen Kohlenstoff dürfen noch in die Atmosphäre gelangen, um das Zwei-Grad-Ziel zu erreichen. (picture-alliance / dpa / Patrick Pleul)
    Stocker sagte, eine ganz wichtige neue Beobachtung des Weltklimareports sei, dass der Ozean eine riesige Menge Energie aufgenommen habe - mehr als 90 Prozent zusätzlich seit 1970. Die Erwärmung reiche bis vier Kilometern Tiefe. Ebenfalls neu in den Weltklimareport eingeflossen sei die Beobachtung, dass die beiden Eisschilder Grönland und Antarktis jedes Jahr Masse verlieren und so um 30 Prozent zum Anstieg des Meeresspiegels beitragen.
    Um die Erderwärmung unter zwei Grad zu halten, dürften etwa 255 Milliarden Tonnen Kohlenstoff noch in die Atmosphäre ausgelassen werden. Derzeit seien es zehn Milliarden Tonnen pro Jahr. "Da ist es recht einfach, sich eine Zeit abzuschätzen, die uns noch verbleibt für dieses Zwei-Grad-Ziel: Es sind etwa 25 Jahre."
    Auch in Zukunft werde noch fossile Energie gebraucht, sagte der Schweizer Klimaforscher weiter. Aber man müsse die Aufgabe in der richtigen Skala sehen: "Es geht hier um die vierte Industrielle Revolution." Nach Mechanisierung, Elektrifizierung und Digitalisierung komme nun die "Erneuerbarisierung".

    Das Interview in voller Länge:
    Jasper Barenberg: Jetzt gibt es endgültig keine Ausreden mehr, sagen die Wissenschaftler, sagt der Weltklimarat der Vereinten Nationen in seinem fünften Bericht. In Kopenhagen haben sie eine Art Zusammenfassung erarbeitet der bisherigen drei Teile, und die macht klar: der Klimawandel ist Menschwerk. Die Folgen sind drastischer als gedacht, die Natur nicht so widerstandsfähig wie vermutet. Und doch: Handelt die Weltgemeinschaft schnell, dann lassen sich die schlimmsten Folgen noch abwenden. - Mein Kollege Georg Ehring hatte in Kopenhagen Gelegenheit, mit einem der Autoren des Weltklimaberichtes zu sprechen. Thomas Stocker forscht an der Universität Bern und beschäftigt sich vor allem mit der physikalischen Basis, also mit den Grundlagen zum Verständnis des Klimawandels.
    Georg Ehring: Herr Stocker, Sie sind Schweizer und Klimaforscher. Wie erleben Sie den Klimawandel persönlich?
    Thomas Stocker: Nun, der Klimawandel ist direkt vor unserer Haustüre. Wir haben Gletscher, wir beobachten, dass diese Gletscher fast alle in den letzten 50 Jahren massiv zurückgegangen sind, eine große Herausforderung für die alpine Region, insbesondere auch für den Tourismus. Im Zusammenhang damit auch die Erwärmung, die wir verstärkt erkennen in der Schweiz: global etwa 0,85 Grad Celsius, in der Schweiz etwa 1,7 Rad Celsius seit Beginn des 20. Jahrhunderts.
    Deutlicher Anstieg des Meeresspiegels zu beobachten
    Ehring: Der IPCC hat jetzt den fünften Sachstandsbericht vorgelegt. Auch nach dem vierten Sachstandsbericht hieß es, wir wissen, dass es den menschengemachten Klimawandel gibt. Was wussten wir denn damals noch nicht, was wir heute wissen?
    Stocker: Eine ganz wichtige Beobachtung, die in den letzten paar Jahren zustande gekommen ist, ist, dass der Ozean eine riesige Menge von Energie aufgenommen hat. Er hat über 90 Prozent der zusätzlichen Energie seit 1970 aufgenommen, und die können wir messen durch die Erwärmung vor allem der obersten 700 Meter des Ozeans weltweit. Aber die Erwärmung reicht bis etwa zwei Kilometer Tiefe und in einzelnen Regionen sogar bis in vier Kilometer Tiefe.
    Die zweite Beobachtung, die wir jetzt machen können im Gegensatz zum früheren Sachstandsbericht, ist die Tatsache, dass die beiden Eisschilder Grönland und Antarktis jedes Jahr Masse verlieren. Sie schmelzen dahin und tragen etwa 30 Prozent zum Anstieg des Meeresspiegels bei.
    Ehring: Der Anstieg des Meeresspiegels ist eines Ihrer Ergebnisse. Ist der früher unterschätzt worden?
    Stocker: Der ist nicht unterschätzt worden, aber wir haben natürlich nicht so viele Messungen zur Verfügung gehabt, die es uns erlaubt haben, damals ein gesamtes Budget zu machen des Anstieges des Meeresspiegels, das heißt, die verschiedenen Komponenten, die zum Anstieg beitragen, in einer Einheit darzustellen, die mit dem direkt beobachteten Anstieg übereinstimmt, also die Erwärmung des Wassers, das zu einer Ausdehnung führt, die Abschmelzung der Gletscher weltweit und das Schmelzen der Eisschilder in der Antarktis und in Grönland.
    "Für das 2-Grad-Ziel bleiben noch etwa 25 Jahre"
    Ehring: Die Menschheit hat ein CO2-Budget, wenn die Erwärmung unter zwei Grad gehalten werden soll. Wie viel können wir uns denn noch leisten?
    Stocker: Nun, die Zahlen haben wir in diesem Arbeitsbericht jetzt das erste Mal zusammengetragen. Das verbleibende Budget beträgt, wenn Sie die Jahre 2012 und 2013 auch noch einrechnen, etwa 255 Milliarden Tonnen Kohlenstoff, den wir in die Atmosphäre auslassen dürfen. Das muss man in Zusammenhang stellen mit den zehn Milliarden Tonnen von Kohlenstoff, die jedes Jahr weltweit emittiert werden, und dann ist es recht einfach, sich eine Zeit abzuschätzen, die uns noch verbleibt für dieses Zwei-Grad-Ziel. Es sind etwa 25 Jahre.
    Ehring: Viele Staaten sehen Kohle, Öl und Gas als Bodenschätze. Müssen Sie auf diese Schätze verzichten?
    Stocker: Nun, wenn wir von der Erkenntnis ausgehen, dass wir ein limitiertes Budget haben, dann gibt es verschiedene Möglichkeiten, mit dem verbleibenden Budget umzugehen. Sicher wird auch in Zukunft noch fossile Energie gebraucht werden für ganz bestimmte Prozesse - denken wir zum Beispiel an das Fliegen -, aber der Bericht zeigt auch auf, dass es verschiedene Technologien geben wird oder am entwickeln ist, wo auch Kohlenstoff von der Atmosphäre entfernt werden kann. Nur sind das im Moment Pilotversuche, die keine globale Auswirkung haben, und deshalb ist es besonders wichtig, früh zu beginnen, damit dieses noch verbleibende Budget so lang wie möglich anhält.
    Ehring: Die Menschheit steht also vor großen Aufgaben. Glauben Sie, dass das klappt?
    Stocker: Ich bin Optimist, aber ich glaube, man muss die Aufgabe auch in der richtigen Skala sehen. Es geht hier um die vierte industrielle Revolution. Die erste Revolution war die Mechanisierung, dann kam die Elektrifizierung, wir alle haben die dritte industrielle Revolution erlebt, nämlich die Digitalisierung, und jetzt kommt - ich brauche ein Wort, das es noch nicht gibt - die Erneuerbarisierung. Das heißt, der Übergang von der fossilen Gesellschaft in eine Gesellschaft, die ihre Energie durch erneuerbare Energien, durch erneuerbare Prozesse gewinnt.
    Barenberg: Der Forscher Thomas Stocker aus Bern im Gespräch mit meinem Kollegen Georg Ehring.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.