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Klimawandel
Grönland braucht Kühlschränke

Der Klimawandel und die globale Erwärmung sind in Deutschland bisher eher ein abstraktes Phänomen - abgesehen zum Beispiel von den warmen Temperaturen im Dezember. Auf Grönland sieht das anders aus. Dort schmilzt langsam das Eis - und das verändert massiv die Lebensgewohnheiten der Inuit, der indigenen Einwohner.

Von Ralf Geissler | 15.12.2015
    Eine Kette von Eisbergen im grönländischen Thule.
    Früher haben die Jäger ihre Vorräte einfach im Boden vergraben. So hielten sie sich gut gekühlt über Monate. Doch aufgrund der Erwärmung funktioniert das nicht mehr. (imago stock&people)
    Ich bin Toku und komme aus der Gegend von Qaanaaq im Norden Grönlands. Ich lebe dort von der Jagd und vom Fischen.
    Toku Oshima sitzt in einer für Jäger ungewohnten Umgebung: in einem Viersterne-Hotel in Ilulissat. Die berühmtesten Gletscherforscher der Welt haben sie eingeladen. Sie wollen erfahren, wie der Klimawandel das Leben der Inuit verändert. Und Toku erzählt:
    "Die größte Veränderung: Das Meereis verschwindet. Doch wir brauchen das Eis, weil wir auf der zugefrorenen Fläche mit unseren Hundeschlitten jagen: nach Robben und Walrössern. Auch die Eisbären finden ohne das Eis weniger Beute. Deshalb kommen sie unseren Dörfern immer näher."
    Meereis schwindet
    Die Konferenz findet nicht ohne Grund in Ilulissat statt. Hier kann man den Klimawandel sehen. Einst lebten im Ort mehr Schlittenhunde als Menschen. Das Heulen hallt noch immer durch die Straßen. Doch es sind weniger Hunde geworden, sagt der Schweizer Forscher Konrad Steffen.
    "Mit dem Hundeschlitten reisen Sie von einem Dorf zum anderen. Das ist heute praktisch nicht mehr möglich. In Ilulissat hat es vor 20 Jahren noch 5.000 Hunde gegeben. Inzwischen hat es vielleicht noch 1.500, vielleicht 2.000. Weil sie brauchen die Hunde nicht mehr. Sie können sich nicht mehr entlang des Meereises fortbewegen. Also Meereis ist nicht mehr vorhanden, auch im Winter gefriert der Ozean hier nicht zu."
    Mehr Fische durch Erwärmung
    Was vor allem die Jäger ärgert, freut die Fischer. Immer zeitiger im Jahr fahren sie aufs Meer und werfen ihre Netze aus. Bjarne Lyberth arbeitet für den Grönländischen Jagd- und Fischereiverband. Er sagt, der Klimawandel hat auch Vorteile. Durch die Erwärmung der Gewässer gibt es jetzt mehr Fisch.
    "Wir fangen mehr Kabeljau. Wir finden Arten, die hier früher kaum gelebt haben, wie Makrelen. Dafür wurden unsere Fangquoten gerade auf 100.000 Tonnen pro Jahr erhöht. Und wir haben einen Zuwachs an Heilbutt."
    Andere sehen diese Entwicklung mit Unbehagen. Andreas Ahlstroem beobachtet seit Langem, wie sich die Arktis verändert. Der Klimaforscher sagt, dass plötzlich neue Arten auftauchen und andere verschwinden, werde sich fortsetzen. Kleine Völker wie das grönländische mache das verwundbar.
    "Wenn Sie hier eine Fischfabrik bauen, um Kabeljau zu verarbeiten. Und dann verschwindet der Kabeljau und stattdessen haben Sie nun ganz viele Garnelen, dann muss hier eine sehr kleine Gesellschaft ihre Wirtschaft umstrukturieren. Und das macht die Dinge kompliziert."
    Die Wirtschaft muss umstrukturiert werden
    Toku Oshima, die Jägerin aus dem hohen Norden, entgegnet: Die Inuit haben sich immer anpassen müssen. Sie werden es wieder tun. Sie geht jetzt häufiger fischen und seltener zur Jagd. Sie erlegt auch Wale, was manchen Europäer schreckt, den Inuit aber erlaubt ist.
    "Wir verkaufen die Haut des Wals an eine Fabrik bei uns. Von dort wird sie als Delikatesse nach ganz Grönland verschickt. Wir nutzen das Fleisch, die Zähne des Wals – einfach alles. Und die Reste verfüttern wir an die Schlittenhunde."
    Früher haben die Jäger ihre Vorräte einfach im Boden vergraben. So hielten sie sich gut gekühlt über Monate. Doch aufgrund der Erwärmung funktioniert das nicht mehr. Auf Grönland kaufen die Inuit jetzt Kühlschränke.