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Klimawandel in den Tropen
Mangroven wandern nach Norden

Der Klimawandel macht sich nicht nur an den Polen bemerkbar, sondern auch in tropischen Breitengraden. Mangroven, die charakteristischen "Bäume auf Stelzen" haben bereits auf die Erwärmung reagiert: Sie breiten sich in die benachbarte Klimazone aus - auch mit Hilfe von Hurrikans.

Von Guido Meyer | 12.08.2019
Mangrovenwald in La Boquilla, Kolumbien
Mangroven sind an das Leben im Gezeitenbereich tropischer Küstenregionen angepasst - im Gegensatz zu den meisten Pflanzen vertragen sie Salzwasser (Deutschlandradio/Charlotte Voß)
Wir sind hier in den Everglades, dem größten Nationalpark in den östlichen Vereinigten Staaten, sagt John Kominoski vom Institut für Wasser und Umwelt der Florida International University. Der US-Biologe steht mit seinen Gummistiefeln im Wasser – genauso wie die Bäume um ihn herum:

"Mangroven stehen mit ihren Füßen – oder besser: mit ihren Wurzeln – im Boden. Aber eben unter Wasser. Und im Gegensatz zu den meisten Pflanzen vertragen sie Salzwasser."
Ein Teil der Wurzeln aber ragt aus dem Wasser heraus, so dass sie Sauerstoff aus der Luft aufnehmen können. Diese langen, dünnen Wurzeln sind es auch, die Mangroven ihr typisches Aussehen verleihen: Bäume auf Stelzen. Derzeit zeigen die Pflanzen erneut, was es für einen Baum heißt, anpassungsfähig zu sein. Kominoski:
"Außerhalb des Everglades-Nationalparks hier dehnen sich die Mangroven in Richtung Norden aus, die Atlantikküste hinauf. Sie mögen warme Temperaturen. Und auch weiter nördlich ist es nun wärmer."
Mangroven speichern CO2 äußerst effektiv
Und dort erobern sich Mangroven einen neuen Lebensraum. Sie dehnen ihr Territorium aus, hinein in ein Gebiet, in dem sie bislang nicht beheimatet waren. Kominoski:
"Mangroven sind nützlich – einfach weil sie so produktiv sind. Wie alle Pflanzen betreiben sie Photosynthese. Sie filtern Kohlendioxid aus der Atmosphäre und wandeln das CO2 um in Biomasse. Die Bäume speichern es, und zwar so effektiv wie keine andere Pflanzenart. Damit tun sie uns natürlich einen großen Gefallen."
Eine der Folgen des sich derzeit abspielenden Klimawandels ist der steigende Meeresspiegel. Auch hier erweisen sich Mangroven als nützlich. John Kominoski schreitet durch das Wasser und steht auf einmal etwas erhöht:
"Unter Mangroven entstehen mit der Zeit kleine Anhöhen. Im Laufe der Jahre sorgt die Biomasse, die im Boden gespeichert wird, dafür, dass er sich etwas hebt. Das kann zwar Wellen nicht stoppen, die sich auf das Land zubewegen. Diese Anhöhen verlangsamen aber die Geschwindigkeit und die Wucht der Wellen, so wie eine Art Filter."
Bäume schützen vor Hurrikans
Die Biologin Andreina Contreras von der Florida International University ergänzt:
"Damit schützen sie auch das Festland vor Hurrikans. Durch ihre Wurzeln im Wasser und im Meeresboden haben Mangroven einen sehr festen Stand. Sie bleiben auch bei starken Winden stehen. Dadurch wirken sie wie ein Schutzschild, der weiter landeinwärts stehende Bäume vor dem Wind abschirmt. Sonst würden sie während eines Hurrikans vielleicht umstürzen."
Andreina Contreras untersucht den Expansionsdrang von Mangroven. Sie fand heraus: Auch viele Fische, Muscheln, Krabben und andere Kleintiere profitieren von den neuen Mitbewohnern. Einige verbringen ihr ganzes Leben zwischen dem Wurzelwerk der Bäume. Sie bieten ihnen Schutz vor größeren Fressfeinden. Aber, so John Kominoski:
Ökosysteme und Landschaften verändern sich
"Es gibt Wettbewerb. Mangroven werfen Schatten. Das hindert andere Pflanzen an ihrem Wachstum. Einige Vögel mögen sie ebenfalls nicht, weil sie im Sumpf nach Nahrung suchen. Und wo bislang offene Küstenmarschen waren, stehen nun Bäume."
Satellitenaufnahmen belegen, dass zwischen 2003 und 2010 das von Mangroven bewachsene Gebiet Floridas um 70 Prozent größer geworden ist. Und es ist kein Ende in Sicht. Je wärmer es nördlich der Everglades wird, desto weiter dehnen die Bäume sich aus. Kominoski:
"Mangroven wandern derzeit in die subtropische Klimazone hinein, bis nach Georgia, nördlich von Florida. Hier die Everglades liegen auf 23 Grad nördlicher Breite. Georgia beginnt bei 30 Grad. Mangroven haben ihren Lebensraum also um bis zu acht Breitengrade nach Norden erweitert, und das binnen weniger Jahrzehnte."
"Biologisches Mahnmal für die Folgen des Klimawandels"
Und hier, im US-Bundesstaat Georgia, steht dann auch die nördlichste Mangrove, die jemals beobachtet wurde. Gefunden hat sie vor einigen Jahren Ilka Feller vom Smithsonian Environmental Research Center in Maryland. Heute ist die Wissenschaftlerin emeritiert und lebt in Florida:
"Da hinten der Baum steht seit ungefähr 15 Jahren hier. Wahrscheinlich sind seine Samen von einem Hurrikan 2004 hierhin geweht worden. Und da mehr und stärkere Hurrikane vorhergesagt werden, werden Mangroven wohl weiter und weiter nach Norden getrieben. Ihre Standorte werden so zu einem biologischen Mahnmal für die Folgen des Klimawandels."