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"Klimawandel" in der EU-Politik

Der CDU-Politiker Herbert Reul soll Chef des Industrieausschusses im Europäischen Parlament werden. Seine Wahl ist umstritten, da er als Verfechter einer industrie- und atomfreundlichen Energiepolitik gilt.

Von Volker Finthammer | 16.07.2009
    Herbert Reul versteht die Aufregung um seine Person nicht. Der CDU-Politiker, der dem EU-Parlament bereits seit 2004 angehört, sieht sich nicht als Industrielobbyist oder als Gegner einer engagierten Klimapolitik, wie das in manch einem Bericht zu lesen oder hören war.

    "Das ist barer Unsinn. Interessenvertreter für einzelne Industrieunternehmen - das geht auf keinen Fall und das billig zu Wasser, zu Lande und überall sonst bekämpfen","

    … erklärt er in seinem Büro im zehnten Stock des Straßburger Parlamentsgebäudes. Seit 2006 ist Herbert Reul der energiepolitische Sprecher der deutschen Christdemokraten im EU-Parlament und heute um die Mittagszeit dürfte er zum Vorsitzenden des mächtigen Industrieausschusses gewählt werden: ein einflussreicher Posten. Denn von der Energie und Klimapolitik bis hin zu den Technologien der Zukunft hat dieser Ausschuss bei allen relevanten Fragen ein gewichtiges Wort mitzureden.

    ""Ich hätte mir einen anderen Mann oder eine andere Frau an der Spitze gewünscht","

    … sagt die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Rebecca Harms. Dabei ist die Entscheidung für Herbert Reul wieder einmal den christdemokratischen Proporzfragen im EU-Parlament geschuldet und gar nicht so sehr einer industriepolitischen Überlegung. Reuls Vorgängerin war die CSU-Politikerin Angelika Niebler.

    Doch im neuen EU-Parlament ist der CSU-Mann Manfred Weber jetzt mit an die Spitze der Fraktion gewählt worden: einer der wenigen A-, also Führungsposten, die jede Fraktion zu vergeben hat. Deshalb musste Angelika Niebler einem CDU-Politiker Platz machen. Und da der Nordrhein-Westfale Reul bereits in der vergangenen Legislaturperiode dem Industrieausschuss angehörte, lag die Entscheidung auf der Hand.

    ""Sein Engagement zum Beispiel für die Atomenergie als ideale Lösung, sein Engagement gegen ehrgeizigen Klimaschutz, sein Engagement, auch gegen das Ziel Energieeffizienz verbindlich vorzuschreiben in der Europäischen Union, steht in einem krassen Widerspruch zu dem, was wir zu Schwerpunkten machen würden, und zeigt, wo die Konflikte in den nächsten fünf Jahren liegen werden","

    … sagt die Grüne Rebecca Harms. Doch da fühlt Herbert Reul sich missverstanden. Er sieht sich als streitbarer Politiker, der keinesfalls nur einseitig Interessen vertritt. Sein Engagement für die Interessen der Energiebranche bei den Verhandlungen zum Klimaschutz oder auch bei der Liberalisierung des Energiebinnenmarktes hält Reul für gerechtfertigt:

    ""Ich finde, jemand, der sich dafür einsetzt, dass auch die Folgen für die Industrie beachtet werden, oder dass man darüber nachdenkt, welche Kosten das verursacht, oder wie man Kosten günstiger gestalten kann, und wie man Abläufe vernünftiger gestalten kann, dass das genauso legitim ist, wie diejenigen, die sich dafür einsetzte, dass bestimmte Industriezweige der erneuerbaren Energie Zukunftswachstum bekommen. Ich frage mich immer, warum wird eigentlich jemand, der eine kritische Position einnimmt wie ich, befragt, während jemand, der sich für die Solar- oder die Windenergie einsetzt, für den ist das Normal und richtig, obwohl es da auch ein Einsetzen für einen Industriezweig sogar ist. Das ist ja noch viel offensichtlicher."

    Der Vorsitzende der Sozialdemokraten im EU-Parlament nimmt die Entscheidung gelassener. Martin Schulz weiß streitbare Kollegen zu schätzen und kennt ihre Probleme:

    "Er wird - ähnlich wie ich - selbst noch daran arbeiten, noch sympathischer rüberzukommen."

    Man werde sehen müssen, wie lange sich Reul an der Spitze des Ausschusses halten wird, fügt Schulz noch an. Ein wichtiger Gegenspieler im parlamentarischen Geschehen wird der SPD-Politiker Jo Leinen sein. Der wird künftig den Umweltausschuss leiten. Herbert Reul nimmt die Debatte um seine Person gelassen. Als Ausschussvorsitzender müsse er zu allererst dafür sorgen, dass der Laden läuft:

    "Und das setzt zweitens voraus, dass er fair und unabhängig diese Aufgabe wahrnimmt, und das heißt, dass er natürlich nicht derjenige ist, der Position bezieht, sondern der dafür sorgt, dass im Ausschuss auch Meinungsbildung gelingt und ein Konsens organisiert wird."

    Und daran, so Reul, will er sich messen lassen.