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Klimawandel in Deutschland
Neuer Bericht rät zu verstärkten Anpassungsmaßnahmen

In Marrakesch beraten ab heute Vertreter aus knapp 200 Ländern über die Umsetzung des Pariser Weltklimavertrags. Ziel ist, die Erderwärmung auf "deutlich unter zwei Grad" im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter zu begrenzen. Auch Deutschland ist von den Klimaveränderungen betroffen, beschreiben 126 Wissenschaftler in dem Sammelband "Klimawandel in Deutschland".

Von Volker Mrasek | 07.11.2016
    Anwohner und Helfer beseitigen am 24.06.2016 in Stromberg (Rheinland-Pfalz) den Schlamm, den ein Unwetter durch Starkregen und Überflutungen verursacht hat.
    Anwohner und Helfer beseitigen am 24. Juni 2016 in Stromberg (Rheinland-Pfalz) den Schlamm, den ein Unwetter durch Starkregen und Überflutungen verursacht hat. (dpa)
    Deutschland ist eine reiche Industrienation. Und in Mitteleuropa soll sich die Erwärmung ja gar nicht so stark bemerkbar machen wie in anderen Weltregionen, die es viel härter treffen dürfte. Müssen wir uns da wirklich Sorgen machen? Nach dem, was so alles im neuen Bericht "Klimawandel in Deutschland" steht, wäre es sicher klug, diese Frage mit "Ja" zu beantworten.
    Zwar gibt es Unsicherheiten, die noch immer bestehen, was die zukünftige Entwicklung von Stürmen, Starkniederschlägen und Hochwasser-Ereignissen anbelangt. Doch dafür ist der Temperaturtrend in Deutschland umso klarer. In den letzten 130 Jahren ist der Sommer im Schnitt um 1,2 Grad wärmer geworden, Hitzewellen dauern heute dreimal so lang - und in Zukunft sicher noch viel länger, wie der Report hervorhebt:
    "Insbesondere bei unverminderter Treibhausgas-Emission lassen Klimaprojektionen eine deutliche Verschärfung der Entwicklung erwarten. So könnte die Anzahl von Hitzewellen bis zum Ende des Jahrhunderts im ungünstigsten Falle um bis zu fünf Ereignisse pro Jahr in Norddeutschland zunehmen und um bis zu 30 Ereignisse pro Jahr in Süddeutschland."
    Das bedeutet nicht nur steigenden Hitzestress für die Bevölkerung, sondern es begünstigt auch die Entstehung von Ozon und Sommersmog durch den Verkehr in städtischen Ballungsräumen:
    "Ozon-Spitzenkonzentrationen sollten aufgrund lokaler Emissionsminderungen abnehmen. Dies wird allerdings durch die wärmeren Sommer und vor allem bei einer Zunahme von extremen Hitzeperioden teilweise kompensiert, so dass in Zukunft vermehrte Anstrengungen bei der Vermeidung von Emissionen erforderlich werden."
    Umstellung der Waldbewirtschaftung nötig
    Ein Wink mit dem Zaunpfahl in Richtung Auto-Industrie, die schon heute mit dem Stickoxid-Ausstoß ihrer Fahrzeuge Probleme hat und so den "Abgasskandal" auslöste. In Zukunft werden die Grenzwerte wohl noch weiter verschärft werden. Denn Stickoxide sind eine der wichtigsten Zutaten für die Entstehung des Reizgases Ozon.
    In immer wärmeren Sommern sehen die Autoren des Berichts auch eine Herausforderung für Land-und Forstwirtschaft:
    "Die gegenwärtige Geschwindigkeit des Klimawandels überfordert die natürliche Anpassung der Wälder. Trockenstress durch weniger Sommerniederschläge und die dadurch beschleunigte Entwicklung von Insekten sowie die steigende Gefahr von Waldbränden und Stürmen werden die Anfälligkeit der Bäume erhöhen."
    Nötig sei eine weitere Umstellung der Waldbewirtschaftung. Weg von Monokulturen und hin zu vitalen Mischbeständen, die zunehmend Holz auch für energetische Zwecke liefern sollen:
    "Die standort- und klimaangepasste Auswahl der Baumarten spielt eine große Rolle. Holzprodukte können zudem energieintensive Materialien und fossile Energieträger ersetzen und so zu einer Reduktion der Treibhausgas-Emissionen beitragen."
    Am meisten gefährdet ist die Produktionsfunktion von Böden
    Für Landwirte in Deutschland sei die Lage noch nicht so dringend. Sie könnten die Auswirkungen des Klimawandels in den nächsten zwei bis drei Jahrzehnten wahrscheinlich im Wesentlichen beherrschen. Das werde sich aber möglicherweise ändern:
    "Zunehmende extreme Wetterlagen wie Früh- und Spätfröste, extreme Hitze, Dürre, Hagel und Sturm könnten die Landwirtschaft herausfordern. Eine ausgewogene Mischung von Winter- und Sommerkulturen kann klimabedingt steigende Produktionsrisiken abfedern. Ebenso wichtig sind Reserve-Kapazitäten für unvorhergesehene Wetterlagen und Lager für Getreidevorräte."
    Schon heute sollten Landwirte aber alles dafür tun, die Humusauflage und die Fruchtbarkeit der Böden zu bewahren, die sie beackern. Das werde durch den Klimawandel in Zukunft immer schwieriger:
    "Am meisten gefährdet ist die Produktionsfunktion von Böden, insbesondere durch zunehmende Vernässung oder Austrocknung, durch verstärkte Bodenerosion und damit durch den Verlust des nährstoffreichen Oberbodens. Zukünftig müssen Methoden entwickelt werden, mit denen sich klimabedingte Bodenveränderungen und Langzeitschäden auch ökonomisch abschätzen lassen."
    Kommunalpolitik in Großstädten widmet sich mehr dem Klimaproblem als in kleineren Gemeinden
    Ein Kapitel in dem neuen Klimareport für Deutschland ist auch Städten gewidmet. Hier stellen die Autoren fest, dass die Anpassung an den Klimawandel bereits häufig in der Kommunalpolitik verankert sei. Allerdings gelte das im Wesentlichen nur für Großstädte:
    "Anders sieht die Situation in kleineren Gemeinden aus, in denen das Thema oft nicht explizit aufgegriffen wird oder in denen es an klarer fachlicher und organisatorischer Zuständigkeit mangelt. Solche Barrieren der Anpassung müssen systematisch angegangen werden, da eine verzögerte Umsetzung notwendiger Maßnahmen zu deutlich höheren Anpassungskosten und Klimaschäden in der Zukunft führen wird."
    Um auf die Ausgangsfrage zurückzukommen: Wir sollten also durchaus besorgt sein. Denn auch in Deutschland ist dem neuen Bericht zufolge mit Klimaauswirkungen zu rechnen, auf die sich die Gesellschaft besser einstellen sollte - durch vorsorgliche Anpassungsmaßnahmen.
    Buchinfo:
    Guy P. Brasseur, Daniela Jacob, Susanne Schuck-Zöller (Hrsg.): "Klimawandel in Deutschland - Entwicklung, Folgen, Risiken und Perspektiven"
    Springer-Verlag, 2016 (kostenlos abrufbar Open Access).