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Klimawandel kurbelt Verwitterung an

Klimaforschung. - Dass die Verwitterung vom Klima abhängig ist, überrascht auf den ersten Blick nicht. Schließlich kennen wir aus den Tropen tiefgründig verwitterte Böden, während sie in der Arktis nur sehr dünn sind. Aber erst jetzt konnte dieser Zusammenhang auf Island erstmals direkt bewiesen werden – und mehr noch: Es zeigte sich, dass durch den menschengemachten Klimawandel das Ausmaß der Verwitterung stark steigt – mit Folgen für die gesamten Ökosysteme.

Von Dagmar Röhrlich | 29.08.2007
    Die Erde hat einen eingebauten Thermostaten. Steigt der Kohlendioxidgehalt in der Luft, wird es wärmer. Das treibt die chemische Verwitterung der Gesteine an, die reichlich Kohlendioxid aus der Luft verbraucht und so das Klima wieder kühlt, erklärt Sigurdur Reynir Gislason vom Geologischen Institut der Universität Reykjavik:

    "Dieser Mechanismus zur langfristigen Stabilisierung der Temperaturen ist in den 80er Jahren vorgeschlagen worden. Nun brachte der menschengemachte Klimawandel während der vergangenen 40 Jahre einen rasanten Anstieg von Kohlendioxidgehalt und Temperatur. Deshalb konnten wir nun prüfen, ob die Verwitterung reagiert und wie stark sie angekurbelt worden ist."

    Schließlich haben seit den 60er Jahren ganze Generationen von Geologen in einem Flusssystem in Nordost-Island Proben genommen:

    "Wir haben dort lange Messreihen über Klima, Temperatur, den Wasserstand der Flüsse und wie schnell sie fließen. Wir haben auch Sediment- und Wasserproben genommen und sie im Labor untersucht. Anhand dieser Daten haben wir einen bemerkenswerten Anstieg der Verwitterungsrate von bis zu 500 Prozent gefunden. Das beweist, dass der Temperaturanstieg die Verwitterung ankurbelt."

    Vor allem die physikalische Verwitterung schnellte in die Höhe, also die mechanische Zerstörung der Steine. Vollkommen unerwartet steigerte sie sich auf das bis zu Fünffache. Sie bereitet den Weg für die chemische Verwitterung, und die stieg bislang bereits um bis zu 50 Prozent an. Die mechanische Verwitterung hilft der chemischen, und die chemische Verwitterung bindet erstens Kohlendioxid aus der Luft - und setzt zweitens eine ganze Reaktionskette in Gang, denn sie ätzt wichtige Spurenelemente aus den Mineralen.

    "'"Manche Elemente wäscht die chemische Verwitterung leicht aus dem Gestein, aber Eisen beispielsweise ist weniger gut löslich. Die höheren Temperaturen haben im Testgebiet die Verwitterung angekurbelt, und wir messen im Wasser tatsächlich sehr viel mehr gelöstes Eisen als vor 40 Jahren. Der Fluss trägt das Eisen ins Meer, und dort steuert es als wichtiger Faktor die Primärproduktion des Planktons. Das Meer hungert regelrecht danach. Die sprunghaft steigende Verwitterungsrate auf dem Festland könnte also die Spurenelementversorgung und damit das Algenwachstum in den Meeren beeinflussen. Das Meiste bleibt bestimmt in den Küstenregionen hängen, nur ein Teil könnte die offene See erreichen. Aber der Eisenfluss ist sehr klimaabhängig.""

    Weil pflanzliches Plankton Kohlendioxid aus der Luft bindet, kommt vielleicht ein Rückkopplungseffekt in Gang, erklärt Sirgurdur Reynir Gislason:

    "Es könnte einen doppelten Effekt geben: Die Temperatur steigt, was die chemische Verwitterung ankurbelt, und schon die verbraucht dabei mehr Kohlendioxid. Dabei erhöht die chemische Verwitterung auch den Fluss von Nährstoffen ins Meer, von Silizium, Eisen und Phosphor. Mehr Nährstoffe kurbeln die Biomasseproduktion an, so dass in den Küstenregionen mehr Kohlendioxid aus der Luft gefischt wird."

    Die gesteigerten Verwitterungsraten könnten also den Treibhauseffekt mildern, aber nur ein klein wenig. Es reicht längst nicht, um uns vor dem Klimawandel zu retten oder davor, die Kohlendioxidemissionen verringern zu müssen, betont Gislason:

    "Die Veränderungen in der Verwitterung müssten nun in die Klimamodelle eingearbeitet werden. Denn die arbeiteten noch mit den Werten aus den 70ern, in denen sich die Sprünge nicht widerspiegeln. Es wird also viel zu messen geben."

    Die Veränderungen in der Verwitterung müssten nun in die Klimamodelle eingearbeitet werden. Denn die arbeiten bisher noch mit den Werten aus den 70ern, in denen sich die Sprünge nicht widerspiegeln. Es wird also viel zu messen geben.