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Klimawandel
Wo die Erderwärmung in Metern gemessen wird

Anders als in Paris misst man in Österreichs Skigebieten das Weltklima nicht in Grad, sondern in Metern. Wie viele Meter werden sich die Gletscher in diesem Jahr zurückziehen, lautet die bange Frage, die man sich nicht nur am Stubaier Gletscher in Tirol stellt.

Von Susanne Lettenbauer | 10.12.2015
    Sessellift am Stubaier Gletscher in Tirol im August 2011
    In den Alpen ist in diesem Sommer aufgrund des Hitzesommers eine sehr starke Schmelze eingetreten, am Jamtalferner und Silvretta sind zum Beispiel über zwei Meter abgeschmolzen. (imago / Hohlfeld)
    Auf dem Stubaier Gletscher in Tirol herrscht reger Skibetrieb wie jedes Jahr ab Ende September. Die Sonne scheint bei minus zehn Grad. Sechs Meter Neuschnee fielen bislang am Eisgrat auf 3.000 Metern Höhe. Früher rechnete man bis Anfang Dezember mit 14 Metern.
    Das erste was dem Besucher auffällt in diesem Jahr – die Beschneiungsanlagen wurden um zehn Meter bergaufwärts versetzt. Genau die Länge, die sich die Gletscherzunge in diesem Jahr zurückgezogen hat. An Dicke büßte der Gletscher rund zwei Meter ein:
    "Im Schnitt ist es so, dass im Jahr das Eis so ein, zwei Meter an Mächtigkeit zurückgeht, es hat schon Jahre gegeben, das war 2003, da waren es sieben Meter, die er zurückgegangen ist, aber in normalen Jahren so ein, zwei Meter."
    Josef Rauter arbeitet seit fast 40 Jahren am Stubaier Gletscher. Der Betriebsleiter kann sich noch daran erinnern, das man von der Eisgrat-Bergstation zum Gletscher hochgehen musste, jetzt geht es zum Schlepplift auf die Schaufelspitze erst einmal hinunter. Die Bereiche rund um die Liftstützen werden jeden Sommer mit gut 14 Hektar Fliesplanen abgedeckt werden, damit das Eis darunter nicht schmilzt. Die Stützen stehen deshalb mittlerweile auf Eishügeln, fünf bis sechs Meter höher als die nicht abgedeckte Gletscherpiste.
    "Also speziell eben an den exponierten Lagen wie dort bei im Einstiegsbereich der Gondelbahnen oder bei den Sesselbahnen oder Schleppliften, überall wo die Einstiege sind wird abgedeckt. Wenn wir da nicht abgedeckt hätten, wären wir da zwanzig Meter tiefer. Natürlich beunruhigt das, ist ja klar. Uns wäre auch lieber, wenn der Gletscher nicht zurückgehen würde."
    Auftauender Permafrostboden
    Die Situation am Stubaier Gletscher ist symptomatisch für alle Alpengletscher, sagt die Innsbrucker Glaziologin Andrea Fischer vom Institut für Interdisziplinäre Gebirgsforschung. Das auch von UN-Meteorologen offiziell so benannte "Hitzejahr 2015" könne mit dem bisherigen Rekordjahr 2003 verglichen werden:
    "In den Alpen ist im heurigen Sommer aufgrund des Hitzesommers eine sehr starke Schmelze eingetreten, am Jamtalferner und Silvretta sind zum Beispiel über zwei Meter abgeschmolzen, also über mannshoher Eisverlust. Der heurige Sommer zeichnet sich durch diese besonders lange Wärmeperiode aus mit den überdurchschnittlich hohen Temperaturen, die wieder Substanz gekostet haben. Es ist nicht nur an der Zunge Eis abgeschmolzen, sondern die Gletscher waren komplett schneefrei, das heißt, es ist auch das Schneematerial, das in Zukunft Eismaterial werden kann, angegriffen worden, und es ist Schnee von einigen Jahren abgeschmolzen."
    Für den Wasserhaushalt der Alpen habe der Gletscherrückgang weniger dramatische Konsequenzen, so die Glaziologin. Bedenklich wird es durch den auftauenden Permafrostboden vor allem für die Stabilität des Untergrunds und der Felsen. Verstärkte Murenabgänge und Felsschläge seien möglich.
    Neue Stützen, neue Seilbahn
    Die für den Stubaier Gletscher verantwortliche Tirol AG baut deshalb bis Herbst 2016 eine neue Seilbahn mit komplett neuen Stützen, die tiefer im Felsen verankert werden, sagt Reinhard Klier, Vorstandsvorsitzender. Außerdem wird die Gletscherzunge verstärkt beschneit:
    "Wir versuchen darauf zu reagieren, indem wir in den Bereichen, wo es kritisch wird, speziell wo der Gletscher in den Umgebungsgebiet übergeht mit Schneedepots zu arbeiten, das heißt, da wird Schnee zusammengeschoben und mit Flies abgedeckt."
    Aufhalten kann man den Gletscherschwund damit langfristig nicht, weiß Klier ebenso wie die Gebirgsforscherin Fischer. Selbst die Begrenzung der Klimaerwärmung auf zwei Grad, wie in Paris derzeit diskutiert wird, hält die Entwicklung nicht auf, betont Fischer. Die Einzigen, die sich über schmelzende Gletscher freuen sind die Glazioarchäologen. Sie warten schon gespannt auf das, was unter dem Dauereis hervorkommt, zum Beispiel alte Wälder oder Überreste von Siedlern aus der Zeit vor den Gletschern.