Donnerstag, 28. März 2024

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Klingbeil: Anti-Spionageabkommen muss diskutiert werden

In den Koalitionsverhandlungen mit der Union werde man das Thema Anti-Spionageabkommen einbringen, sagt Lars Klingbeil (SPD). Ganz wichtig seien dabei vertragliche Vereinbarungen. Denn die Union müsse beim Thema Bürgerrechte offenbar aufgeweckt werden, ergänzt er.

Lars Klingbeil im Gespräch mit Mario Dobovisek | 25.10.2013
    Mario Dobovisek: George Orwells Vision war weitreichend: Diktatur, Gedankenverbrechen, neusprech ein ominöses Etwas, der große Bruder, der alles und jeden überwacht mit sogenannten Tele-Screens an jeder Wand. Diese Maschinen sind heute längst nicht mehr notwendig, denn fast jeder trägt sie inzwischen ganz freiwillig mit sich herum: die vielen Handys, Smartphones und Computer unserer digitalen Gesellschaft. Die Kanzlerin ist empört darüber, dass sie angeblich von ihrem engsten Verbündeten, den USA, sozusagen im positiven Sinne dem großen Bruder der Bundesrepublik, ausgespäht wurde. Die Kanzlerin telefonierte mit US-Präsident Obama, Außenminister Westerwelle bestellte den Botschafter aus den USA ein und Frankreichs Präsident Hollande kündigt auf dem EU-Gipfel eine deutsch-französische Initiative an. Eine Initiative, um mit den Amerikanern eine Kooperation anzustoßen, um einen gemeinsamen Kommunikationsrahmen zu finden, so sagte es Hollande, und zwar noch bis zum Ende dieses Jahres.
    Die Aufregung ist also groß in Deutschland und auch bei unseren europäischen Nachbarn. Doch in den USA, so scheint es, zuckt man weiter bloß mit den Schultern. Offensichtlich bewusst vermied der Sprecher des Weißen Hauses in seinem ersten Statement die Vergangenheitsform, als er bloß sagte, die USA überwachen Angela Merkel nicht und werden sie auch nicht überwachen. Deutlich mehr war bislang aus Washington nicht zu hören.
    Am Telefon begrüße ich Lars Klingbeil, Netzpolitiker der SPD im Bundestag. Guten Tag, Herr Klingbeil!

    Lars Klingbeil: Schönen guten Tag!

    Dobovisek: Aus den USA haben wir gerade verschiedene Stimmen gehört, unter anderem: Es sei nun mal normale Realität, dass sich auch befreundete Staaten gegenseitig ausspähten. Auch der frühere US-Botschafter in Deutschland, John Kornblum, sagte heute Morgen hier im Deutschlandfunk, die Deutschen reagierten zu emotional auf die Enthüllungen. Ist das so, Herr Klingbeil? Sind die Reaktionen zu aufgeregt?

    Klingbeil: Wir haben jetzt seit gestern die NSA-Affäre mit voller Wucht wieder auch in der Öffentlichkeit. Mir hat damals schon nicht gereicht, wie hier aufgeklärt wurde und was dort an Aktivitäten entwickelt wurde. Aber ich finde Empörung darüber, dass anscheinend die deutsche Bundeskanzlerin abgehört wurde – das sind ja zumindest die Hinweise, die wir gerade haben; ich weiß auch nicht mehr, als öffentlich diskutiert wird -, die Empörung darüber finde ich völlig berechtigt. Das muss jetzt von amerikanischer Seite aufgeklärt werden. Ich selbst habe ein großes Interesse an starken deutsch-amerikanischen Beziehungen, aber dann geht überhaupt nicht, dass man Bürgerinnen und Bürger, die Kanzlerin abhört. Das gehört sich unter Freunden nicht.

    Dobovisek: Ich habe vorhin viel über George Orwell gesprochen. Dann können wir auch gleich ein anderes Zitat nennen, nämlich: Alle Tiere sind gleich, aber manche sind gleicher als die anderen. Gilt das auch für die Kanzlerin? Ist sie gleicher als alle anderen?

    Klingbeil: Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen, ich bin schon verwundert, dass Herr Pofalla, Herr Friedrich, auch die Bundeskanzlerin selbst vor Monaten, vor Wochen das ganze Thema doch immer irgendwie runtergespielt haben. Wir haben gehört, die Daten deutscher Bürger seien nicht betroffen, uns als Opposition wurde Panikmache vorgeworfen, und ich finde, damals hätte man den Botschafter schon einbestellen müssen, damals hätte man sich bei amerikanischer Seite beschweren müssen. Ich finde es völlig berechtigt, dass man sich empört, wenn die Kanzlerin ausgehorcht wurde, dass man da jetzt auch Aktivitäten an den Tag legt, aber das hätte ich mir schon vor Wochen und vor Monaten von der deutschen Bundesregierung gewünscht, dass man das auch macht.

    Dobovisek: Das klingt jetzt nicht nach einer besonders guten Stimmung für die Koalitionsgespräche, die ja laufen.

    Klingbeil: Ich habe meine Meinung nicht gewechselt dadurch, dass wir jetzt Koalitionsverhandlungen führen, und das Thema Bürgerrechte ist eines, was die SPD in die Koalitionsverhandlungen reinbringen wird. Ich habe das Gefühl, wir müssen die CDU da aufwecken bei diesem Thema. Es ist auch unsere Aufgabe als Politiker, das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger wiederherzustellen in Kommunikation. Da geht es darum, ob ein Staat auch handeln kann, ob eine Regierung sich für die Rechte ihrer Bürger einsetzt, und das werden wir als SPD in den Koalitionsverhandlungen einfordern, dieses Thema.

    Dobovisek: Müssen wir uns vor unseren Freunden besser schützen?

    Klingbeil: Anscheinend ja. Man muss jetzt natürlich erst mal aufklären, was hier wirklich passiert ist, und noch mal: Ich habe da keine Informationen, die über das, was öffentlich diskutiert wird, hinausgehen. Aber der Bundestag muss sich natürlich fragen, nimmt er seine Kontrollrechte wahr, oder muss man hier zum Beispiel auch das Kontrollgremium ausweiten, Befugnisse ausweiten.

    Es geht um die Frage, brauchen wir ein Anti-Spionage-Abkommen mit befreundeten Staaten. Es geht um die Frage, haben wir zu sehr auch vernachlässigt im Bereich der Sicherheitsentwicklung etwa Forschung, industriepolitische Initiativen, um hier auch eigene Standards setzen zu können. Das sind alles Dinge, die in den Koalitionsverhandlungen eine Rolle spielen werden.

    Dobovisek: No-Spy-Abkommen, Datenschutzverordnung der EU, SWIFT-Vereinbarung, Safe Harbor, alles Stichworte aus dem Datenschutz und auch aus der Spionageabwehr zum Teil. Diese Verträge gibt es zum Teil, andere werden diskutiert. Was bringt ein solcher Vertrag, wenn sich einer der stärksten Partner nicht daran hält?

    Klingbeil: Noch mal: Wir müssen jetzt erst mal genau wissen von amerikanischer Seite, wann da was passiert ist, ob es diese Vorfälle gegeben hat, ob sie unter dem aktuellen Präsidenten waren, ob sie unter dem Präsidenten davor waren. Alles das wird man jetzt aufklären müssen. Hier sind die Regierungen ja anscheinend auch im Gespräch. Und dann geht es auch um die Frage, wie tritt man auf auf amerikanischer Seite, fordert man hier als deutsche Bundesregierung wirklich Aufklärung, aber auch den Stopp solcher Aktivitäten ein. Und dann geht es um vertragliche Vereinbarungen und ganz wichtig für mich ist, dass dieses Thema überhaupt im politischen Diskurs eine große Rolle spielt und nicht, wie das in den letzten Monaten der Fall war, andauernd runtergespielt wird.

    Dobovisek: Wie sollte Deutschland denn in Washington auftreten?

    Klingbeil: Bewusst, selbstbewusst und einfordernd auch, dass wir jetzt wissen wollen, was hier passiert ist, dass wir wissen wollen, welche Konsequenzen die amerikanische Seite aus diesen Vorwürfen, und wenn es diese Taten tatsächlich gegeben hat, welche Konsequenzen die amerikanische Seite daraus zieht.

    Dobovisek: Wie würde das denn klingen, Herr Klingbeil, wenn ein SPD-Abgeordneter beziehungsweise sogar ein SPD-Minister möglicherweise in Washington an die Tür des Oval Office klopft und sagt, wir wollen jetzt Aufklärung?

    Klingbeil: Erst einmal ist ja die Frage, welche Unterlagen wir anfordern, es ist die Frage, welche Rolle das Parlament spielt, ich habe es gerade gesagt, ob etwa das Kontrollgremium ausgeweitet wird. Wir hatten bisher noch keine einzige Parlamentsdebatte auch zu diesem Thema. Und dann geht es um Regierungshandeln und um die deutsch-französische Initiative, die jetzt in Europa auf den Weg gebracht werden soll. Da geht es ja ganz viel um Kommunikation, auch um Verhandlungen mit den Amerikanern, aber es geht in der Tat auch darum, dass eine deutsche Bundesregierung erst mal deutlich macht, ja, es hat hier Verstöße gegeben und diese Verstöße dürfen nicht wieder vorkommen.

    Dobovisek: Grüne und Linkspartei fordern ja eine Parlamentsdebatte, eine Plenarsitzung, eine Sondersitzung im Bundestag. Von Union und SPD kamen da eher momentan zurückhaltende Reaktionen. Ist das möglicherweise schon der erste Ausdruck dafür, dass die kleine Opposition nicht wirklich viel erreichen kann im Bundestag?

    Klingbeil: Das Thema wird ja im Bundestag eine Rolle spielen, da bin ich mir ganz sicher. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, wie es da eine Rolle spielt, aber das ist auch mein Interesse als Parlamentarier, dass wir im Bundestag hier einen Ort finden, wo das ganze aufgeklärt werden kann. Momentan habe ich den Eindruck, dass der amerikanische Kongress intensiver an der Aufklärung der NSA-Affäre beschäftigt ist als der Deutsche Bundestag, und das muss sich ändern. Aber wir hatten jetzt gerade die Wahl, es finden jetzt die Koalitionsverhandlungen statt, aber ich bin mir ganz sicher, dass der Deutsche Bundestag hier seinen Aufgaben nachkommen wird und dass wir uns noch sehr viel mit diesem Thema im Parlament beschäftigen werden.

    Dobovisek: Der Sozialdemokrat Lars Klingbeil über die Konsequenzen aus dem NSA-Abhörskandal, der inzwischen auch die Kanzlerin trifft. Vielen Dank für das Gespräch.

    Klingbeil: Sehr gerne.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.